Eine junge Frau namens Shadi flieht aus dem Iran vor der Islamischen Revolution und gelangt nach Luxemburg. Nur mit einem Koffer angekommen, lebt sie hier nun seit vielen Jahren und erinnert sich voller Hoffnung und Trauer an ihre Heimat, die sie vermisst und die ihr in weiter Ferne so nah ist. Hoffnung flammt jedes Mal durch die immer wiederkehrenden Aufstände gegen das Regime auf, Trauer kehrt ein, wenn alles vergebens war und die Hoffnung jedes Mal erlischt. Doch es bleibt jedes Mal eine Glut übrig, die entfacht werden kann, so wie bei den landesweiten Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini, die im September 2022 von der iranischen Sittenpolizei verhaftet und zu Tode geprügelt wurde, weil sie ihr Kopftuch nicht der strengen Vorschrift nach getragen hatte. Daraus ist die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ entstanden.
Die Schauspielerin und Theaterpädagogin Shiva Gholamianzadeh, die am hauptstädtischen Konservatorium mit dem „Prix supérieur en art dramatique et en diction française“ ausgezeichnet wurde und hierzulande schon mehrmals auf der Bühne zu sehen war, spielt Shadi in dem Ein-Personen-Stück und erzählt eine Geschichte, die ihrer eigenen ähnelt. Auch sie kommt aus dem Iran. Es ist eine Geschichte der Flucht. Iranische Kulturschaffende finden nicht selten Zuflucht in ihrer künstlerischen Arbeit, wie etwa Shiva Gholamianzadeh in der Bühnenkunst. Doch sie fliehen auch vor der Repression, der sie in der Heimat durch ihre Arbeit ausgesetzt sind.
Politisches Theater im Iran
Dabei hat das Theater im Iran nicht nur eine gewisse Tradition, sondern ist selbst in der Ayatollah-Diktatur lebendig geblieben – und politisch. „Das iranische Theater war von seinen Anfängen im 19. Jahrhundert an gesellschaftspolitisch orientiert“, sagt der Theaterwissenschaftler und Regisseur Farhad Mohandespour in einem Gespräch mit der in Berlin erscheinenden Fachzeitschrift Theater der Zeit. „Es galt schon immer weniger als Kunst, denn als Kommunikationsmedium und Teilhaber am sozialen Austausch, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass das Theater im Iran in einer Zeit aufkam, in der auch die Konstitutionelle Bewegung (1905-1911), die Frauenbewegung und andere Initiativen gegründet wurden. Ein wichtiges Wort in diesem Zusammenhang ist ‚Medium‘.“ Theater werde als „soziales Phänomen“, als „Mehrwert gesellschaftlicher Zustände“ betrachtet, die auf der Bühne reflektiert werden. Herausragende Stücke wie „Das Gurren der Tauben im heiligen Schrein“ (2008) von Alireza Naderi vermittelten Einsichten in die verborgenen Nischen und spezifischen Bedingungen und Probleme der Frauen in der iranischen Gesellschaft, halten dieser einen Spiegel vor und bringen nach Farhad Mohandespours Worten darüber hinaus „auch weitere Perspektiven auf die Bühne“.

Als die Islamische Revolution 1979 ausbrach und das Schah-Regime gestürzt wurde, herrschte in der Theaterszene des Iran Chaos. Die neuen Machthaber sollten das Theater für eine „Kulturrevolution“ nutzen, die die „Entwestlichung“ des Landes zum Ziel hatte. Auf den Bühnen wurden ideologische, antiamerikanische und allgemein antiwestliche Stücke gezeigt. Es kam zu einem Konflikt zwischen islamistischen Gruppen und der Linken, was zur Schließung einiger Spielstätten führte. Viele Künstler zogen sich zurück. Während des Golfkriegs mit dem Irak (1980-1988) förderte die Regierung Inszenierungen, die Geschichten von der Opferbereitschaft und dem Mut der iranischen Kämpfer erzählten. Es wurde sogar ein „Verband der Heiligen Verteidigung“ ins Leben gerufen. Als sich die Lage entspannte, erhielt Ali Montazeri die Aufsicht. Er war einst einer der bedeutendsten Kritiker des Schah und enger Mitarbeiter des Revolutionsführers Ruhollah Chomeini – dessen designierter Nachfolger er war, aber auch dessen Kritiker. Montazeri unterstützte die Reformer. Unter ihm erhielten die Bühnen mehr staatliche Gelder. Trotzdem seien feste Ensembles rar geworden, erinnert sich der Publizist und Dramatiker Mehdi Mirmohammadi.
Das Theater sei „immanent politisch“ und nicht beherrschbar, meint der Dramatiker und Regisseur Mohammad Yaghoubi. Daher sei es in totalitären Staaten keine beliebte Kunstform bei den Herrschenden. Zugleich lässt gerade seine Lebendigkeit es überleben – auch in Diktaturen. „Die Theaterkünstler“, sagt Mohammad Yaghoubi, „sind eine Minderheit in der Gesellschaft, der man versagt, zur Mehrheit zu werden.“ Besondere Lebendigkeit erlangte vor allem realistisches sowie soziales Theater unter dem als Reformer geltenden Präsidenten Mohammad Khatami (1997-2005).
„Frauen, Leben, Freiheit“
Derweil hatten es die Frauen im iranischen Theater traditionell schwer. So etwa Sedigheh Dolatabadi, eine der ersten Dramatikerinnen und Herausgeberin einer Zeitschrift namens „Die Sprache der Frauen“. Die erste Generation von Dramatikerinnen kam in den 1920er-Jahren auf. Das älteste überlieferte Werk einer Autorin in persischer Sprache stammte von der Frauenrechtlerin Malakeh Khanoom Rahmdel: „Die Zivilisation der Frauen“ (1926). Die erste Muslima auf einer iranischen Bühne war Molouk Hosseini, sie musste ihren Beruf und ihre wahre Identität lange geheim halten. Als sie bekannt wurde, überfiel man ihr Haus. Sie musste fliehen.
Seit der Jahrtausendwende haben immer wieder Dramatiker für Aufsehen gesorgt, die die iranische Gegenwart auf die Bühne brachten, so etwa Mohammad Yaghoubi. Wegen seiner provokanten Texte wurde der heute 57-Jährige häufig zensiert. Eines seiner wichtigsten Werke ist „Writing in the Dark“: Während der Straßenproteste in Teheran wird das Mitglied einer Gruppe von Freunden von den Sicherheitskräften verhaftet und später getötet. Das Stück dreht sich sowohl um die äußere Handlung als auch um die Binnendynamik zwischen den handelnden Personen. Yaghoubi, der seine Stücke oft selbst inszeniert, kommt ohne viele Worte aus, seine Sprache ist nüchtern, frei von Überflüssigem, sein Bühnenbild ist karg. Minimalismus bestimmte auch die Inszenierung von „Writing in the Dark“. Es zeigt nicht zuletzt eine Pathologie des kollektiven Handelns im Iran.
Theater auf hohem Niveau mit wenigen Mitteln, hat einmal Roberto Ciulli, der italienische Theatermacher und Mitbegründer des Mülheimer „Theater an der Ruhr“, über das iranische Theater gesagt. Nach der Revolution von 1979 hätten die iranischen Bühnenschaffenden eine spezifische Ausdrucksform entwickelt: „Man verhandelt letztlich alle gesellschaftsrelevanten Themen, aber in einer doppeldeutigen Form. Die Aussagen bekommen auf den zweiten Blick eine andere Bedeutung, als es zunächst den Anschein hat.“ Das iranische Publikum könne dies sehr gut decodieren.
Zwei Jahre nach Beginn der vor allem von den iranischen Frauen getragenen Protestbewegung unter dem Motto „Frauen, Leben, Freiheit“ ist Ernüchterung eingekehrt. Unter der Führung von Ebrahim Raisi, dem im April bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommenen ultrakonservativen Hardliner im Präsidentenamt, wurde der Aufstand niedergeschlagen. Sein Nachfolger Massud Peseschkian führt seinen Kurs fort. Der 85-jährige Ali Khamenei bleibt der oberste geistliche Führer. Seit 1989 im Amt, dürfte sein Nachfolger sein eigener Sohn Modschtaba sein. „Es ist naiv, zu meinen, die Herrschenden interessiere noch eine Legitimation durch das Volk“, betont Katajun Amirpur, Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg.
Was bedeutet das für die Protestbewegung? Einige Beobachter, wie die Journalistin Golineh Atai, stellen fest, wie die massive Repression, die zu vielen Todesopfern führte, bei der Bevölkerung zu einer Depression geführt hat. Katajun Amirpur zitiert eine namentlich nicht genannte Universitätsdozentin: „Obwohl die Menschen auf den Straßen des Iran nicht mehr den gleichen Kampfeifer haben, lodert im Herzen der Universitäten und in den Klassenzimmern der Schulen ein stiller und zugleich tosender Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Er ist vielleicht nicht sichtbar, aber existiert und hört nie auf.“ Und ist vielleicht jene Glut wie bei Shadi im Stück „Téhéran-Luxembourg“, aus der ein Feuer entstehen kann.
Weitere Vorstellungen am 7. und 8. November dieses Jahres.
De Maart







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