StandpunktInvestitionen in weltweite Impfstoffgerechtigkeit als Anerkennung unseres gemeinsamen Schicksals

Standpunkt / Investitionen in weltweite Impfstoffgerechtigkeit als Anerkennung unseres gemeinsamen Schicksals
Menschen in Uganda stehen Schlange, um eine Dosis eines Corona-Impfstoffes zu erhalten. Das Land hat am 9. August die Corona-Impfung nach einem wochenlangen Lieferengpass wieder aufgenommen.  Foto: dpa/Hajarah Nalwadda

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Die außerordentlichen weltweiten Bemühungen zur Entwicklung sicherer und wirksamer Covid-19-Impfstoffe in Rekordzeit unterstreichen die Macht von Impfungen, wenn es darum geht, unseren Liebsten wieder näher zu sein und eine wohlhabendere, gerechtere Welt zu schaffen, in der alle über die Chance verfügen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Impfstoffe gehören zu den größten Innovationen der modernen Medizin und verschaffen Milliarden Menschen die Möglichkeit auf ein gesundes Leben. Will man allerdings Ausbrüchen von Krankheiten, die durch Impfungen vermeidbar sind – nicht nur Covid-19 – ein Ende setzen, gilt es, mit Impfkampagnen eine kritische Masse an impfwilligen Menschen zu erreichen.

Man denke an Polio. Schulschließungen zum Schutz der Kinder vor Covid-19 mögen beispiellos erscheinen, aber ein Polio-Ausbruch im Jahr 1937 in den Vereinigten Staaten regte zur Entwicklung von Unterrichtsprogrammen via Radio an – eine frühe Innovation im Bereich Fernunterricht. Damals ging man davon aus, dass Polio nur die Industrieländer betrifft, bis ein großer Ausbruch 1948 in Südafrika zur Gründung der ersten afrikanischen Stiftung für Polio-Forschung führte und das Bewusstsein für die weltweiten Belastungen durch die Krankheit schärfte. In den 1950er Jahren erlitten jedes Jahr im Schnitt 600.000 Menschen Lähmungen aufgrund einer Infektion.

Um 99 Prozent reduziert

Glücklicherweise entwickelte die Wissenschaft noch im selben Jahrzehnt die ersten Polio-Impfstoffe. Und seit der Gründung der Globalen Initiative zur Ausrottung von Polio im Jahr 1988 hat man mit den Impfstoffen die weltweite Inzidenz der Polio-Infektionen mit dem Virus-Wildtyp um mehr als 99 Prozent reduziert, und zwar von jährlich hunderttausenden Fällen auf einmal eine Handvoll Infektionen in zwei Ländern: nämlich in Afghanistan und Pakistan. Im Jahr 2020 wurde Afrika für frei von Polio-Wildtyp-Viren erklärt, was dem Kontinent inmitten der Covid-19-Pandemie einen dringend benötigten Hoffnungsschimmer verlieh. Aufgrund der hohen Durchimpfungsrate kann man davon ausgehen, dass Polio nach den Pocken die zweite, durch Impfung ausgerottete Krankheit sein könnte.

Allerdings tickt die Polio-Uhr noch immer: Im Jahr 2014 schlug die Weltgesundheitsorganisation Alarm und erklärte die Krankheit zu einer Notlage der öffentlichen Gesundheit von internationalem Belang. Insbesondere Gebiete mit niedrigen Impfquoten und somit niedrigem Schutzniveau sind auch durch seltene, aber dennoch immer häufiger auftretende Ausbrüche der Impfstoff-abgeleiteten Polioviren gefährdet, die entstehen, wenn der abgeschwächte, ursprünglich in den oralen Polio-Impfstoffen enthaltene Erreger am Ende wieder virulent wird.

Fehlende Ressourcen

Heute übersteigt die Zahl der Ausbrüche durch Impfstoff-abgeleitete Polioviren die Zahl der Fälle von Wildtyp-Polio. Obwohl wir dem Virus zunehmend zu Leibe rücken, kämpfen wir noch immer darum, einen weit verbreiteten Impfschutz aufrechtzuerhalten, um derartige Ausbrüche zu verhindern. Die Gründe dafür sind fehlende Ressourcen, Konflikte oder Unruhen sowie pandemiebedingte Unterbrechungen von Immunisierungsprogrammen.

Bislang mussten aufgrund der Covid-19-Krise 57 lebensrettende Impfkampagnen in 66 Ländern aufgeschoben werden, wovon hunderte Millionen Menschen – vorwiegend afrikanische Kinder – betroffen sind. Im November 2020 riefen WHO und Unicef zu Notfallmaßnahmen auf, um eine sekundäre Krise mit Masern- und Polio-Ausbrüchen aufgrund unterbrochener Impfkampagnen abzuwenden.

Auch wenn wir uns im Kampf gegen COVID-19 zusammentun, fordern PATH und andere Partner nationale Regierungen und Geber weiter auf, die Anstrengungen gegen Polio und andere durch Impfung vermeidbare Krankheiten erheblich zu verstärken. Das kürzlich ins Leben gerufene globale Rahmenwerk Immunisierungsagenda 2030 muss eine entscheidende Rolle dabei spielen, sowohl verlorene Zeit gutzumachen als auch unsere kollektive Widerstandskraft zu stärken. Wie die Pandemie gezeigt hat, ist die grenzüberschreitende Ausbreitung von Infektionskrankheiten eine allgegenwärtige Gefahr. Wir haben daher alle ein starkes Interesse an einer internationalen Durchimpfung.

Investitionen in die Krankheitsvorbeugung durch die Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen bieten allen Schutz und werden in den nächsten Jahren auch Früchte tragen. Es sollte uns daher ermutigen, wie erstaunlich rasch es der Wissenschaft – unterstützt durch die jahrelange Forschung zu anderen Coronaviren – gelang, an einem Strang zu ziehen, um wirksame Covid-19-Impfstoffe zu entwickeln.

Diese Investitionen machen sich nicht nur im Hinblick auf Covid-19, sondern auch im Fall von Polio bezahlt. Nach einem Jahrzehnt der Forschung und Entwicklung bekam der neuartige orale Polio-Impfstoff vom Typ 2 als erstes Vakzin eine Zulassung der WHO als Notfallimpfstoff. Die Wissenschaft geht davon aus, dass dieser neuartige orale Impfstoff die Wahrscheinlichkeit neuer Ausbrüche der Impfstoff-abgeleiteten Polioviren verringern kann und damit zur schnelleren Ausrottung von Polio beitragen wird.

Schicksalsgemeinschaft

Im Hinblick auf hochinfektiöse Krankheiten wie Covid-19 oder Polio bilden wir alle eine Schicksalsgemeinschaft; von den Ereignissen in einem Teil der Welt sind alle betroffen. Mit Investitionen in Bemühungen, die nur einem Land zugutekommen, erreicht man wenig, wenn es um die Kontrolle oder Eliminierung von Gesundheitsbedrohungen geht. Vielmehr gilt es, den weltweiten Zugang zu Impfstoffen in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen zu stellen. Zusagen auf nationaler Ebene und die Finanzierung der Immunisierungsagenda 2030 können uns helfen, dieses Ziel zu erreichen.

Durch die Globalisierung sind wir bereits näher zusammengerückt. Wenn wir uns für einen gerechten Zugang zu Impfungen engagieren, kann die Welt einer gemeinsamen Zukunft in Gesundheit und Wohlstand entgegensehen.

* Rosemarie Muganda ist Regionalleiterin für Interessensarbeit bei PATH, einer in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ansässigen Gesundheitsorganisation.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org