Immer häufigerer Rückgriff auf Klimaklagen: Die fortschreitende Klimakrise und ihre katastrophalen Auswirkungen sind bekannt, dennoch können Staaten sich oft nicht zu einem entschiedenen Gegensteuern durchringen. Aus Frustration darüber wenden sich immer mehr einzelne Betroffene, Organisationen oder auch ganze Staaten an Gerichte. „Wenn politische Systeme versagen, wird die Justiz als ein Werkzeug angesehen, (…) die Umsetzung von eingegangenen Verpflichtungen zu erzwingen“, sagt der stellvertretende Leiter der Rechtsabteilung des UN-Umweltprogramms (Unep), Andrew Raine.
Erleichtert werden die Klagen durch die zunehmend präzise und detaillierte Klimawissenschaft. Bis Ende 2024 wurden fast 3.000 Klimaklagen in fast 60 Staaten eingereicht, wie das Forschungsinstitut Grantham darlegt.
Nicht all diese Klagen waren erfolgreich und manche von ihnen richteten sich sogar gegen Klimaschutzmaßnahmen. Es gab in den vergangenen Jahren allerdings auch Verfahren, die eine entschiedenere Klimapolitik erzwangen. So erwirkte die niederländische Umweltorganisation Urgenda 2019 eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Landes, dass die Regierung bis Ende des Folgejahres die Treibhausgasemissionen um ein Viertel verringern müsse.
2021 erklärte das deutsche Verfassungsgericht auf Grundlage von Klagen junger Menschen aus Deutschland, Bangladesch und Nepal das deutsche Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig, da es die Freiheitsrechte künftiger Generationen beeinträchtige. Die Karlsruher Richter räumten mit ihrem Urteil dem Recht auf Klimaschutz Verfassungsrang ein.
Laut Unep-Rechtsexperte Raine nimmt die Zahl der grenzüberschreitenden Verfahren zu. 24 Klagen wurden demnach bereits vor regionalen oder internationalen Gerichten oder anderen Einrichtungen eingereicht. Dieses transnationale Vorgehen markiere einen „Wendepunkt“ und entspreche der grenzüberschreitenden Bedeutung der Klimapolitik, betont Raine.
Historische Gerichtsentscheidungen: Besonders zwei Klimaklagen haben nach Einschätzung von Experten das Verständnis von Regierungen, Unternehmen und der Justiz von klimapolitischer Verantwortung geprägt.
Recht auf ein gesundes Klimasystem
Im vergangenen Jahr legte der Internationale Seegerichtshof in einem Gutachten dar, dass klimaschädliche CO2-Emissionen als Meeresverschmutzung eingestuft werden können und Staaten eine Rechtsverpflichtung haben, Maßnahmen zur Verringerung dieser Meeresverschmutzung zu ergreifen. Die Schutzverpflichtung der Staaten ist demnach nicht auf die Bestimmungen des Pariser Klimaabkommens oder die Vorgaben des UN-Klimasekretariats UNFCCC beschränkt. Große Emittenten hatten zuvor argumentiert, die UN-Rahmenbestimmungen reichten aus und Gerichte dürften nicht darüber hinaus Auflagen formulieren.
Zudem veröffentlichte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem Monat ein Gutachten, in dem er das Recht auf ein gesundes Klimasystem und die Schutzrechte der Natur bekräftigte. Das wohl stärkste Statement des Gerichts war aber die Gleichsetzung des Schutzes vor irreversiblen Folgen des Klimawandels mit internationalen Bestimmungen gegen Völkermord und Folter, wie der Klima-Rechtsexperte César Rodríguez-Garavito von der New York University sagt.
Das Gericht stellte demnach fest, dass die „massive und ernsthafte Schädigung des Klimasystems durch Emissionen“, die Zerstörung von Wäldern und andere Aktivitäten „vom internationalen Recht absolut untersagt“ seien. Rodríguez-Garavito betont, dies sei die bislang entschiedenste Stellungnahme eines internationalen Gerichts überhaupt zur Pflicht von Staaten, schwere Umweltzerstörungen zu vermeiden.
Reparationszahlungen für Klimaschäden
Nächste wegweisende Klima-Rechtssprechung?: Der Internationale Gerichtshof könnte nun nachlegen. Vanuatu, ein besonders stark von den Folgen der Erderwärmung bedrohter Inselstaat, hat das Gericht in Den Haag zu einer Stellungnahme zur Pflicht von Staaten aufgerufen, ihren Treibhausgasausstoß zu verringern. Dahinter steht die brisante Frage, ob große Treibhausgasemittenten rechtliche Konsequenzen ihres klimaschädlichen Vorgehens fürchten müssen und wenn ja, welche.
„Das sind Fragen der globalen Gerechtigkeit“, sagt Experte Rodríguez-Garavito. Das Gerichtsverfahren berühre kontroverse Fragen wie Reparationszahlungen für Klimaschäden an diejenigen, die am wenigsten für die Emissionen und den daraus resultierenden Klimawandel verantwortlich sind.
Unep-Rechtsexperte Raine hebt hervor, dass die Umsetzung von Entscheidungen wie der anstehenden des IGH zwar nicht juristisch erzwungen werden könne, Klima-Urteile aber dennoch großes Gewicht hätten. „Sie stellen klar, wie internationales Recht auf die Klimakrise anzuwenden ist, und das wirkt sich auf nationale Gerichte, Gesetzgebungsverfahren und öffentliche Debatten aus“, sagt der UN-Experte. „Das zwingt Staaten zwar nicht zum Handeln, aber es zeigt ihnen, wo das Recht steht und wohin sie sich bewegen sollten.“
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können