Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton hat am Donnerstag seinen Vorschlag zur neuen Euro-7-Abgasnorm noch nicht ganz präsentiert, da hat er es schon mit einer doppelten Ablehnung zu tun. Michael Bloss, der Grünen-Experte für Luftreinhaltung im EU-Parlament, nennt es ein „Armutszeugnis“, sagt Nein zu diesem „Einknicken vor der Autolobby“. Zugleich greift auch Jens Gieseke, der EVP-Verkehrsexperte im Europa-Parlament, zur roten Karte, will dieses „falsche Signal“ und die „Verschärfung der Grenzwerte durch die Hintertür“ unbedingt verhindern. Wenn es dem einen nicht weit genug geht, dem anderen zu weit, hat dann also die EU-Kommission den goldenen Mittelweg gefunden?
Breton jedenfalls ist sich sicher, eine „extrem wichtige Transformation“ auf den Tisch gelegt zu haben. Seine Hauptmotivation: „Wir sprechen über die Luftqualität.“ Diese sei nach wie vor derart belastet, dass pro Jahr rund 70.000 Menschen in Europa vorzeitig ihr Leben ließen. Und deshalb will die Kommission die Grenzwerte der derzeit geltenden Euro-6-Norm verbreitern, vertiefen und verstetigen: 60 Milligramm Stickoxid je Kilometer sollen nicht nur für Benziner, sondern auch für Diesel (bislang 80) gelten, die Einhaltung auch bei starkem Frost, großer Hitze und kurzen Strecken vorgeschrieben werden, für Lkw und Busse ebenfalls deutliche Verschärfungen kommen und die Lebenszyklen der Fahrzeuge mehr in den Blick genommen werden. Schließlich, so Breton, würden Fahrzeuge nach ihrer Erstnutzung oft ein zweites, vor allem im Osten sogar drittes oder viertes Leben vor sich haben.
Auch Elektrofahrzeuge sind im Visier
Was also ab Mitte 2025 für neue Pkw und neue Vans Zulassungsvoraussetzung ist, soll auch noch gelten, wenn sie alt geworden sind. Statt bisher fünf Jahre und 100.000 Kilometer müssen die Grenzwerte nun mindestens zehn Jahre und 200.000 Kilometer eingehalten werden. Und erstmals bezieht die Kommission auch Elektrofahrzeuge mit ein. Denn für das tückische Mikroplastik und den gefährlichen Feinstaub, der durch Brems- und Reifenabrieb entsteht, sind auch sie mitverantwortlich, wegen der schweren Batterie an Bord oft sogar noch mehr als Benziner. Längst tüfteln Autohersteller und Zulieferer an besseren Reifenzusammensetzungen und dem Absaugen von Partikeln. Das will die Kommission bereits in Euro 7 integrieren und hier auch Grenzwerte vorgeben.
Zudem will Breton geradezu im Vorbeifahren auch Vorbehalte gegenüber E-Fahrzeugen minimieren, indem er die Haltbarkeit der Elektrotechnik mit hineinschreibt: Nach fünf Jahren oder 100.000 gefahrenen Kilometern soll die Batterie noch mindestens 80 Prozent ihrer Leistung bringen müssen. Durch das komplette Paket könnten nach Kommissionsberechnungen die Stickoxidemissionen durch Autos bis 2035 um 35 Prozent, bei Lkw und Bussen um 50 Prozent sinken. Auf der anderen Seite erwartet Breton, dass sich Pkw um 120 Euro und Lkw um 2.700 Euro verteuern.
Für die Grünen macht die EU-Kommission aus Sicht von Bloss mit „diesem unambitionierten Vorschlag“ den Weg frei für „dreckigere Produkte von überall“, statt auf das Prinzip Vorsprung durch Technik zu setzen. Weil es keine neuen Standards für Pkw gebe, nehme die Kommission der europäischen Autoindustrie einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber China.
Investitionen zurück zu Verbrennern verlagern
Das sieht die Autoindustrie selbst deutlich anders. Bereits mit Euro 6 verfüge die EU über die „umfassendsten und strengsten Standards der Welt“, hält der Verband europäischer Automobilhersteller fest. Verbandspräsident Oliver Zipse sieht den Umweltnutzen des Kommissionsvorschlages als „sehr gering“ an, während die Fahrzeugkosten dadurch „sehr erhöht“ würden. Euro 7 konzentriere sich auf extreme Fahrbedingungen, die kaum einen realen Bezug hätten. Der Vorschlag falle für Lkw „besonders hart“ aus und vernachlässige vollständig die sich schnell beschleunigende Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge. Um die Vorgaben erfüllen zu können, müssten Lkw-Bauer „erhebliche technische und finanzielle Ressourcen von Batterie- und Brennstoffzellen von Elektrofahrzeugen zurück zum Verbrennungsmotor verlagern“, klagt Zipse.
Für die EVP-Fraktion stellt Gieseke in Frage, ob der Vorschlag aus Umweltgesichtspunkten überhaupt nötig ist. Die aktuell größte Herausforderung für die Luftqualität sei schließlich die Bestandsflotte. Würden diese Fahrzeuge durch die aktuell am besten verfügbare Euro-6-Technologie ersetzt, könnten die Stickoxid-Emissionen sehr schnell um fast 70 Prozent reduziert werden. „Diesen Übergang fördern wir aber nicht, wenn wir unsere Hersteller nun zu immer neuen Investitionen zwingen“, kritisiert Gieseke.
Zu dem Vorschlag der Kommission werden jetzt sowohl das Parlament als auch der Rat der Regierungen eigene Positionen entwickeln. Voraussichtlich im nächsten Sommer wird dann zwischen den beiden Institutionen unter Vermittlung der Kommission die verbindliche Norm ausgehandelt.
Vorschriften seit drei Jahrzehnten
– Die erste Regulierung erfolgte mit Euro 1 bereits im Jahr 1992.
– Die aktuelle Vorschrift Euro 6 ist seit 2015 in Kraft.
– Die neue Euro 7 soll für Pkw und Transporter ab Mitte 2025 gelten, für Lkw und Busse zwei Jahre später.
De Maart
Da fällt mir nur ein Satz ein: "sich selbst ins Knie schießen"