28. Oktober 2025 - 6.45 Uhr
AristonIn „A l’ouest d’Arkham“ gibt es H.P. Lovecraft zu Depeche Mode
Die Bühne im Ariston ist klein, doch in „A l’ouest d’Arkham“ finden darauf zwei Welten Platz: Im Vordergrund das Wohnzimmer von Professor Ammi Pierce (Joël Delsaut) mit Kastenfernseher und Filterkaffeemaschine; im Hintergrund der Hof der Familie Gardner – samt Küchentisch, Brunnen und einem Schotterweg, der unter den Füßen der Schauspielenden knirscht. Interessante Kulissen, gestaltet von Peggy Wurth, die später ineinandergreifen.
Das Original
Die Novelle „The Colour Out of Space“ (1927) bildet die Grundlage des Stücks der Regisseurin Bach-Lan Lê-Bá Thi (u.a. „Leurs enfants après eux“) und des Drehbuchautors Mani Muller (u.a. „Tout le monde veut vivre“). Der US-Autor Howard Phillips Lovecraft, eine Ikone der Horrorliteratur des 20. Jahrhunderts, veröffentlichte die Kurzgeschichte im Science-Fiction-Magazin Amazing Stories. H.P. Lovecraft, der in der zeitgenössischen Literaturwissenschaft wegen rassistischer Ansichten umstritten ist, soll besonders stolz auf diese Kurzgeschichte gewesen sein. Sie gilt als eins seiner bekanntesten Werke und wurde zwischen 1965 („Die, Monster, Die!“) und 2019 („Color Out of Space“) mehrfach verfilmt.

Lovecrafts Geschichte spielt im 18. und im 19. Jahrhundert. Der Autor beschreibt einen Meteoriteneinschlag im Jahr 1882, der das Leben der Bauernfamilie Gardner aus dem Westen Arkhams – einer fiktiven amerikanischen Stadt, die auch in anderen Werken Lovecrafts auftaucht – unwiderruflich verändert. Die Erde, die sie umgibt, ist fortan verseucht. Die Auswirkungen sind folgenreich.
Ein namenloser Erzähler aus Boston wird nach Jahren auf den Vorfall aufmerksam, der zum Zeitpunkt des Ereignisses sowohl die Menschen in Arkham als auch die Forschung bewegte. Jetzt überwiegt betretenes Schweigen. Der Erzähler stößt bei seinen Recherchen auf Ammi Pierce, Nachbar und Freund der Gardners. Was dabei ans Licht kommt: Die Überreste des Meteoriten strahlten eine seltsame Farbe aus, verschwanden jedoch auf mysteriöse Weise aus dem Forschungslabor. Bald darauf ernteten die Gardners riesige, aber ungenießbare Früchte; schlachten Vieh, das den Verstand verlor, und verfielen selbst dem Wahnsinn. Das Ende der Geschichte verraten wir an dieser Stelle nicht. So viel Spannung muss sein. Doch was machen Mani Muller und Bach-Lan Lê-Bá Thi aus dieser Vorlage?
Die Adaptation
Sie verlegen die Handlung in die späten Achtziger, frühen Neunziger. „Die Novelle in diese Zeit zu übertragen, erlaubt uns (…), eine für uns interessante Zeitlichkeit herzustellen: Wie bei Lovecraft beziehen wir uns auf die Vergangenheit – jedoch auf eine jüngere Vergangenheit mit Referenzen zwischen dem Lovecraft-Universum und dem zeitgenössischen Kontext der 80er und 90er Jahre“, begründet Bach-Lan Lê-Bá Thi die Entscheidung im Interview mit dem Escher Theater. „Wir sind mit dieser Fernseh- und Kinokultur aufgewachsen.“

So ist die Figur der FBI-Agentin Doreen Harper (Nora Zrika) eine Anspielung auf die Popkultur dieser Jahrzehnte. Im Ariston löst sie den Erzähler aus Boston ab: Sie reist nach Arkham, um das Mysterium um die Familie Gardner und den Meteoriten zu lösen. Mit Walkie-Talkie und kultigem, beigem Trenchcoat. Detektiv Columbo lässt grüßen.
„[Die 80er-90er waren] eine Phase, in der das Publikum zahlreiche Serien und Filme über die Ermittlungen des FBI, der CIA oder von Spezialagenten entdeckte“, so Lê-Bá Thi über die freie Adaptation des Originals. „Die Intrigen waren oft düster, mysteriös bis übernatürlich. Eine Mischung, die Ermittlungsarbeit und Unheimlichkeit verbindet.“ Die Einführung von Harper ermögliche dem Publikum, in eine „instabile Welt“ einzutauchen und mit der Agentin die Puzzlestücke zusammenzufügen.
Gemeinsam treffen sie auf Pierce. Der ist zuerst skeptisch, dann gesprächsbereit. Er hält Archiv- und Beweismaterial auf VHS-Kassetten bereit. Harper sichtet sie, im Beisein des Publikums, auf seinem Kastenfernseher. Die Aufnahmen reichen von Privatvideos von Pierce über heimliche Videoaufzeichnungen der Farm bis hin zu Ausschnitten einer News-Sendung mit rasendem Reporter. „Das (…) Videogerät ermöglicht es uns, den Fernsehstil der 80er- und 90er-Jahre zu erkunden. Zu dieser Zeit war das Fernsehen in den Haushalten allgegenwärtig. In manchen Familien war die Fernsehnachrichtensendung die wichtigste Informationsquelle“, sagt Lê-Bá Thi. „Dieser Bildschirm hat eine doppelte Funktion: Er illustriert die laufende Untersuchung und verstärkt zugleich die Verzerrung der Realität – als wäre der Zuschauer in eine deformierte Sicht der Vergangenheit eingetaucht.“
Die Szenen in Pierce’ Wohnzimmer wechseln sich mit den Ereignissen auf dem Hof der Gardners ab. Die spielen in der Vergangenheit. Im Hintergrund: eine Leinwand, die sowohl den Wandel der Natur dokumentiert als auch eine Erweiterung der Bühne darstellt – eine entscheidende Wende vollzieht sich allein in der Videoprojektion von Marc Scozzai. Zwischendurch hallt unter anderem Depeche Mode durch das Theater: Merwin (Lucas Jacquemain), der Sohn der Gardners, spielt die Musik auf seinem tragbaren Radio. Ein Bruch mit der sonstigen Soundkulisse, der so vom Regieteam gewollt ist.
Was stört und überzeugt

„Die Klangwelt ist (…) ein wichtiges Element, das natürliche Umgebungsgeräusche mit intimeren (…) Melodien verbindet, die Merwins Charakter widerspiegeln“, erklärt Lê-Bá Thi. „[Dies] im Einklang mit der Musik der damaligen Zeit (Rock, New Wave, wie Depeche Mode, OMD oder The Cure) und im Kontrast zu einer größeren und beängstigenden Welt.“ Manche dürften die Musikeinschübe eher stören. Sie reißen aus der Handlung, wirken wie ein bemühtes Experiment, Lovecraft und Pop zusammenzubringen.
Ähnlich verhält es sich mit der oben erwähnten FBI-Agentin Doreen Harper. Nicht, weil Zrika schlecht spielt – ganz im Gegenteil! –, sondern weil es der Figur an Substanz fehlt. Sie bleibt eine Hülle und ist als solche keine Bereicherung. Zwar treiben ihre Ermittlungen die Handlung voran, doch verträgt der Charakter mehr Tiefe. Anders verhält es sich mit dem verschrobenen, vielschichtigen Pierce oder der ausdrucksstarken Nabby (Yasmine Laassal). Aus ihrem zarten Singsang wird im Verlauf der Vorführung ein quälendes Klagen, das dem Publikum durch Mark und Bein geht. Eine Figur, die das Unbehagen der Novelle verkörpert wie keine andere.
Weitere Höhepunkte sind die Licht- und Videoarbeiten von Marc Thein und Marc Scozzai. Beiden gelingt es, das Publikum in die verstörende Welt von Arkham zu versetzen. Sei es durch die atmosphärische Lichtgestaltung, sei es durch die Projektion von Szenen, die genauso gut in einen Horrorstreifen passen würden. Sie sind kein Beiwerk, sondern integraler Bestandteil der Inszenierung. Eine bewusste Entscheidung des Teams, so die Regisseurin Lê-Bá Thi: „Wir haben die vielfältigen Möglichkeiten der Bühne genutzt, um Spannung und Angst darzustellen.“
„A l’ouest d’Arkham“
Weitere Vorstellungen: 28., 29. Oktober um 20 Uhr im Ariston (9, rue Pierre Claude, Esch/Alzette); Dauer: 2 Stunden; Sprache: FR
Koproduktion von La Compagnie du Grand Boube; Escher Theater; CAPE – Centre des arts pluriels Ettelbruck
Mit Joël Delsaut, Lucas Jacquemain, Yasmine Laassal, Jérôme Varanfrain und Nora Zrika
Weitere Infos: theatre.esch.lu
Neben der Verbreitung von Angst und Schrecken regt der Text aber auch zur Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen den Menschen und ihrer Umwelt an. Zunächst steht die Natur im Einklang mit den Gardners, später scheint sie deren Gegenspielerin. „Die üppige Vegetation, die den Bauernhof zu Beginn umgibt, wird plötzlich unbezähmbar, verfault und ist unfruchtbar“, resümiert die Regisseurin. Die Milch wird ungenießbar, das Wasser zur Infektionsquelle. Wer will, kann daraus Kritik an der Ausbeutung der Natur durch den Menschen herauslesen. Obwohl es im Stück die Falschen trifft: Die Bauernfamilie betreibt immerhin keine Massentierhaltung.
Die Stimmen im Foyer des Ariston vermischen sich nach der Vorstellung mit dem Nachhall der letzten Szene. Zwischen der Vergabe von Garderobenmarken und Abschiedsworten stellt jemand die entscheidende Frage: „Würdet ihr das Stück weiterempfehlen?“ Es bleibt kurz still – dann ein Stirnrunzeln, ein unentschlossenes Nicken, ein zögerliches „Jein“. Vielleicht ist das genau die Stärke des Stücks – es lässt keine einfachen Antworten zu. Weder inhaltlich noch bei der Bewertung.
De Maart

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