Freitag7. November 2025

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Balkan-StaatenImmer mehr Klagen über Misshandlung in den Altenheimen

Balkan-Staaten / Immer mehr Klagen über Misshandlung in den Altenheimen
Grenzüberschreitend mehren sich in Südosteuropa die Klagen über die Vernachlässigung und Misshandlung von Heimbewohnern (Symbolbild) Foto: Angelika Warmuth/dpa

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Die Emigration sorgt in Südosteuropa für eine zunehmende Zahl von alleinstehenden Alten – und lässt die Geschäfte privater Altersheime brummen. Windige Investoren wittern schnelles Geld. Gleichzeitig mehren sich die Klagen über die Vernachlässigung und Misshandlung von Heimbewohnern.

Wimmernd und mit erhobenen Händen versuchte die gebrechliche Frau, die Schläge ihrer Peinigerin abzuwehren. Doch gegen ihre wesentlich jüngere Pflegerin hatte die 70-jährige Bewohnerin des Altenheims „Orenda“ in der Kosovo-Stadt Peja (Pec) keine Chance. Lachend schlug die Krankenschwester Aurona P. der dementen Frau minutenlang ins Gesicht und in den Bauch, während eine ihrer Kolleginnen feixend die Misshandlung filmisch festhielt. Sie habe sich „nur verteidigt“, behauptete die Frau nach ihrer Verhaftung in der letzten Woche: Die Heimbewohnerin habe sie „angegriffen“.

Die in den sozialen Medien verbreiteten Aufnahmen der Prügelorgie haben nicht nur im Kosovo, sondern in der ganzen Region für Entsetzen gesorgt. Drei Pflegerinnen sind wegen der Misshandlung ihrer Schutzbefohlenen sowie der widerrechtlichen Aufnahme ohne Zustimmung der Betroffenen mittlerweile in Untersuchungshaft. Kosovos Sozialministerium hat die vorläufige Schließung des Altersheims angeordnet, nachdem es auf frühere Klagen von Angehörigen über die Misshandlung von Heimbewohnern nicht reagiert hatte. Ein Einzelfall ist der Skandal derweil keineswegs: Grenzüberschreitend mehren sich in Südosteuropa die Klagen über die Vernachlässigung und Misshandlung von Heimbewohnern.

Traditionell sind die Familienbande auf dem Balkan sehr eng. Die Jüngeren kümmern sich um die Älteren, wenn sie älter und gebrechlicher werden, so der ideale und überkommene Brauch. Staatliche Altersheime wurden zu sozialistischen Zeiten im 20. Jahrhundert zwar eröffnet. Doch deren Zahl hielt sich jahrzehntelang genauso in Grenzen wie die Nachfrage.

Schnelles Geld mit alten Menschen

Doch inzwischen ist Altenpflege in den rasch vergreisenden Balkanstaaten zum boomenden Business geworden: Es ist die anhaltende Emigration, die in Südosteuropa für eine rasch steigende Zahl von Alten ohne nahe Angehörige sorgt – und die Geschäfte der privaten Seniorenheime brummen lässt.

Windige Investoren wittern schnelles Geld. Gleichzeitig ist der Wildwuchs enorm, die Kontrolle der Wachstumsbranche unzureichend – und das schlecht ausgebildete und mies bezahlte Personal mit seiner Aufgabe völlig überfordert. „Die meisten Fachkräfte sind längst in den Westen abgewandert“, umschreibt in der serbischen Hauptstadt Belgrad die in einem Altersheim beschäftigte Sozialarbeiterin Ivana Avalic (Name auf Wunsch geändert) gegenüber dem Tageblatt das Hauptproblem des Sektors. Die branchenfremden Investoren der wie Pilze aus dem Boden schießenden Privataltenheime würde derweil „oft nur der Umsatz interessieren – und sonst nichts“.

In Serbien haben beispielsweise 20 Inspektoren 38 staatliche und 250 private Altersheime zu kontrollieren (Stand: 2021). Zwar sind in den letzten 15 Jahren allein in Serbien über 140 private Seniorenheime wegen fehlender Lizenzen oder grober Verstöße geschlossen worden. Doch die an die Öffentlichkeit gelangenden Klagen über geschlagene, ausgehungerte oder an Dehydrierung verstorbene Heimbewohner scheinen sich eher zu vermehren als zu vermindern.

Auch auf den Geruch im Heim achten

Es gebe durchaus auch private Altenheime, die sich um die Einhaltung der Standards bemühen würden, aber denen der Mangel an ausgebildeten Fachkräften zu schaffen mache, sagt Nadzeda Sataric vom Sozialverband „Amity“ in Belgrad. Ungeschultes Personal wisse oft nicht, wie man mit dementen Alten kommuniziere und greife „im Stress“ manchmal zu gewalttätigen Mitteln. Saratic empfiehlt Angehörigen, sich das Altersheim nicht nur persönlich genau anzusehen, sondern auch auf den Geruch zu achten und andere Heimbewohner über deren Erfahrungen zu befragen: „Das Beste ist es, ein Seniorenheim in der Nähe zu suchen, wo man seine Angehörigen regelmäßig besuchen kann.“

Wenn die Kinder in Berlin, Stuttgart oder Wien leben, fällt es ihnen aus der Ferne schwer, die genaue Ursache für das plötzliche Verschlechtern des Gesundheits- oder Gemütszustands ihrer im Altersheim untergebrachten Eltern auszuloten. Selbst wenn die Angehörigen klare Hinweise erhalten würden, dass ihre Mutter oder ihr Vater im vermeintlichen Luxus-Altersheim an den Folgen von Dehydrierung, nachlässiger Pflege oder falscher Medikamentierung verstorben sei, würden sie den Todesfall „oft auf sich beruhen“ lassen, ist die Erfahrung von Sozialarbeiterin Avalic: „Sie haben ein schlechtes Gewissen und manchmal auch Angst, dass ihnen die Verwandtschaft vorwirft, ihre Eltern mit der Unterbringung im Altersheim frühzeitig in den Tod geschickt zu haben.“