Rezessionen und die sich mehrende Konkurrenz perlen an der krisenfesten Branche spurlos ab. Bunte Ballons künden in der Belgrader Njegova-Straße von der Eröffnung einer weiteren Spielhölle. Die wie Pilze aus dem Boden schießenden Glücksspielhallen und Wettbüros seien in Serbiens Hauptstadt „einfach überall“ – auch in unmittelbarer Nähe von Schulen, klagt die Psychologin Jelena Manojlovic, die Koordinatorin des „SOS Zentrum zur Heilung von pathologischem Glücksspiel“: „Je ärmer ein Land und je zerrütteter eine Gesellschaft, desto stärker ist der Drang zum Glücksspiel.“
Auf bis zu 300.000 beziffert die heimische Presse die Zahl der Spielsüchtigen in dem 6,8-Millionen-Einwohner-Land. Etwas veraltete Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2008 weisen den Balkanstaat neben Bosnien und Herzegowina als das Land mit der höchsten Anzahl von Glücksspieltempeln pro Kopf in Europa aus.
Je ärmer ein Land und je zerrütteter eine Gesellschaft, desto stärker ist der Drang zum Glücksspiel
Offizielle Statistiken über die Zahl der Glücksspielsüchtigen würden in Serbien nicht geführt, so Manojlovic, die deren Anteil „auf über zwei Prozent der Bevölkerung“ beziffert. Nicht eingerechnet seien die Familien der Betroffenen, die oft am meisten unter deren Spielsucht zu leiden hätten: „Drogen- und Alkoholabhängige zerstören und töten sich selbst. Der Spielsüchtige zerstört erst alles um sich herum – und erst ganz am Ende sich selbst.“
„Das Leben ist ein Spiel!“: Es sind die bekanntesten Schauspieler, Pop- und Sportstars, die im Zockerparadies Serbien in TV-Spots, im Internet oder großflächigen Anzeigen launig für das schnelle Geld per Glücksspiel werben. Allzu strenge Gesetzesauflagen hat die sich gerne als soziale Wohltäter profilierende Zockerbranche beim EU-Anwärter nicht zu fürchten. Im Gegenteil.
Glücksspielhalle neben der Schule
Im Februar unterzeichnete Marktführer „Mozzart“ gar ein Abkommen mit Serbiens Gesundheitsministerium zur Finanzierung von Brutkästen und der Ausrüstung von Kinderkliniken. Als „gutes Beispiel von gesellschaftlicher Verantwortung“, an dem sich andere Unternehmen ein Beispiel nehmen sollten, pries Gesundheitsministerin Danic Grujicic hernach den Glücksspielkonzern. Auch an der kreativen Auslegung des vorgeschriebenen Mindestabstands von 200 Metern zu den Schulen durch die Hallenbetreiber scheint sich Belgrad kaum zu stören. Selbst wenn ein Glücksspieltempel direkt gegenüber einer Schule liege, werde mit Verweis auf einen 150 Meter entfernten Zebrastreifen ein 300 Meter langer Weg und Abstand berechnet, berichtet Manojlovic.
Die Zeiten, dass in heruntergekommenen Wettbüros eine Handvoll ergrauter Männer vor flimmernden Schirmen Quoten und Spielübertragungen stumm verfolgen, sind längst vorbei. Der neue „Las-Vegas-Stil“ der überholten und vergrößerten Hallen der Buchmacher, die mittlerweile die ganze Palette elektronischer Glücksspiele anbieten, kommt beim Zielpublikum an.
Das Ausgangsleben der „Generation Glücksspiel“ beginne, sich von den Parks und Cafés in die Spielhallen zu verlagern, so Manojlovic: „Schöne Hostessen, gratis Kaffee und keine Uhren, damit man nicht sieht, wie viel Zeit man dort bereits verbracht hat: Vor allem junge Leute springen darauf an.“ Das Durchschnittsalter der von ihr betreuten Spielsüchtigen sei in den letzten 15 Jahren von 35 auf 23 Jahre gesunken, gleichzeitig habe sich die Zahl der Patienten allein in ihrem Zentrum verdreifacht, berichtet die Psychologin. Junge Frauen machten nur fünf Prozent ihrer Klientel aus, aber die Dunkelziffer sei höher: „Oft schämen sie sich, um Hilfe zu ersuchen.“
Mit erstem Gewinn in die Abhängigkeit
Nicht selten erweist sich der erste Gewinn als der Einstieg in die Abhängigkeit. Mit den Einsätzen steigt das Risiko. Wenn die Süchtigen die Wucherzinsen ihrer bei Kredithaien angehäuften Spielschulden nicht mehr begleichen können, geraten auch ihre Angehörigen unter Druck. Die massiven Drohungen der Wucherer seien für die Familien „eine „Psychofolter“, berichtet Manojlovic: „Die Leute werden selbst mit Todesdrohungen eingeschüchtert. Sie müssen für die Schulden ihrer Kinder oft ihr Auto oder Haus verkaufen und sind am Rande des Nervenzusammenbruchs.“
Die laxe Haltung des Staats gegenüber der Glücksspielbranche sei auch mit den stattlichen Steuereinnahmen zu erklären, sagt Manojlovic. Doch in Ländern, in denen der Sektor kaum Beschränkungen unterliege, sei die Chance für Jugendliche, in die Kriminalität und Prostitution abzugleiten, um 70 Prozent größer als in Staaten, in denen es strenge Auflagen gebe: „Doch bei uns wird oft nur an den kurzfristigen Nutzen und nie an die Folgen gedacht.“
De Maart
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