Donnerstag6. November 2025

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Deutschlands Kanzler im PorträtIm zweiten Anlauf: Der lange Weg von Merz ins Kanzleramt

Deutschlands Kanzler im Porträt / Im zweiten Anlauf: Der lange Weg von Merz ins Kanzleramt
Deutschland „back on track“? Merz vor dem zweiten Anlauf zu seiner ersten Kanzlerschaft am Dienstag  Foto: AFP/Ralph Hirschberger

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Es ist ein Paukenschlag: CDU-Chef Friedrich Merz fällt im ersten Wahlgang bei der Wahl zum Bundeskanzler durch. Union und SPD erreichen nicht die erforderliche Mehrheit. Was nun? Für Merz ist es ein großer Rückschlag. Nahbetrachtung eines Ehrgeizigen.

Friedrich Merz kann es kaum fassen. Konsterniert ist gar kein Ausdruck für seinen Gesichtsausdruck. Es ist kurz nach zehn Uhr am Dienstag, und er hat die erste Hürde bei seiner Wahl zum Kanzler nicht genommen. Erstmals kam bei einer Kanzlerwahl im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit zusammen. Der 6. Mai, der Tag der Kanzlerwahl – auf den der 69 Jahre alte Jurist seit Jahrzehnten hingearbeitet hat – entpuppt sich als schwarzer Tag. Was für ein Desaster für den CDU-Vorsitzenden. Es ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. In einem zweiten Wahlgang am Nachmittag stimmt es dann. Er erhält 325 Stimmen. Politische Katastrophe abgewendet.

Merz hatte noch nie einen Regierungsposten inne. Exekutive Erfahrung bringt er also nicht mit ins neue Amt – wohl aber schon vor dem heutigen Tag die Erfahrung des politischen Scheiterns. 2002 verdrängte CDU-Chefin Angela Merkel den aufstrebenden Christdemokraten aus dem Sauerland vom einflussreichen Fraktionsvorsitz. Merz zog sich grollend in die zweite Reihe zurück und trat schließlich 2009 nicht mehr für den Bundestag an. Der Jurist wechselte in die Wirtschaft, hatte einen lukrativen Spitzenposten beim Investmentkonzern Blackrock.

Finanziell hatte Merz also ausgesorgt, als er 2022 in die aktive Politik zurückkehrte. Die CDU wählte ihn nach der vergeigten Bundestagswahl zu ihrem Vorsitzenden – im dritten Anlauf: Auf den Bundesparteitagen 2018 und 2021 war er noch unterlegen.

Einige Zumutungen

Was zeichnet den Sauerländer aus? Merz geht ins Risiko, er ist ohne Zweifel ein rhetorisches Talent, verfügt über viel Ehrgeiz. Manchmal hat er keine gute Selbsteinschätzung, wirkt teilweise arrogant, auch wenn er es oft nicht so meint. Er ist ungeduldig, legt Wert auf vollendete Umgangsformen, hat manchmal einen ziemlich trockenen Humor. 

Nach der Wahl hatte Merz seiner eigenen Partei einiges zugemutet – eine massive Neuverschuldung, die die CDU doch immer abgelehnt hatte. In der Partei war die Stimmung danach ziemlich schlecht. Das hatte auch mit dem Wahlergebnis zu tun. Wie konnte es passieren, dass man trotz der in der Bevölkerung verhassten Ampel-Koalition kein Ergebnis über 30 Prozent einfahren konnte, sondern bei 28,5 Prozent landete? Ist das Durchfallen beim ersten Wahlgang auch die Quittung für das schlechte Wahlergebnis?

Merz muss nun das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, es wird seine größte Aufgabe sein. Die äußeren Umstände könnten schwieriger nicht sein. Merz selbst hat immer wieder betont, die neue Regierung habe möglicherweise die letzte Chance, die Stimmung im Land noch einmal zum Besseren zu drehen, um die rechtsextremistische AfD von der Macht fernzuhalten. Zu Amtsantritt sieht sich Merz nun einer AfD gegenüber, die in einigen Umfragen die Union überholt hat.

Und der Merz von heute ist nicht mehr der Merz der Merkel-Jahre. Jenen Christdemokraten, denen Merkels Kurs zu liberal war, galt Merz lange als verlässlicher Bannerträger eines soliden bürgerlichen Konservativismus. Dieses Bild hat Risse bekommen – an Teilen der Basis machte sich die Furcht breit, dass Merz der SPD zu weit entgegengekommen ist. Auch diese Zweifel wird Merz als Bundeskanzler ausräumen müssen.

Ein „Wir-Gefühl“ mit Merz?

Es brannte in Merz in den vergangenen Jahren. Er wollte mehr. Doch genau das kann eine Falle sein, deswegen trichterte ihm sein Team ein: Ruhe, Gelassenheit. Es hat gewirkt. Vorerst. Er ist, das muss man als Kanzler auch sein, schnell im Auffassen von Sachverhalten, dem Weiterdenken und dem Schlüsseziehen. Problem dabei war oft, dass Merz seinem Gegenüber ins Wort fiel, ruppiger erschien, als er es womöglich beabsichtigte. Doch er hat gelernt, hörte auf die, die ihn beraten. Und mäßigte sich.

Schafft es Merz, sein eigenes Ego hintanzustellen, und die schwarz-rote Regierung zum Erfolg zu führen, auch wenn das Geländegewinne für die Sozialdemokraten bedeuten wird? Wird er es schaffen, dem Land ein neues „Wir“-Gefühl zu vermitteln? Merz ist bewusst, dass die Lage im Land auch für einen Unions-Kanzler schwierig ist. Die AfD-Debatte wird auch durch die Hochstufung der Partei als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz nicht einfacher. Die Weltlage wird Merz außerdem sehr häufig einen Strich durch die Rechnung machen.

Merz wird vor allem durch sein Wirken nach außen überzeugen wollen. Sein Herz schlägt für Europa, viel stärker als das seiner Vorgänger im Amt. „Germany is back on track“, sagte Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Er wird beweisen müssen, dass Deutschland wieder vorne mitspielt.