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ForumIm Zweifelsfall von Völkermord-Gefahr ausgehen: Michel Erpelding ist gegen das Schweigen der Luxemburger Politik

Forum / Im Zweifelsfall von Völkermord-Gefahr ausgehen: Michel Erpelding ist gegen das Schweigen der Luxemburger Politik
 Archivfoto: Anjum Naveed/AP/dpa

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Im Nahen Osten mehren sich die Anzeichen, dass die israelische Staatsführung einen Völkermord gegen die Palästinenser verüben lässt. Der Großteil der Luxemburger Politik reagiert darauf mit Schweigen. Dabei ist es gerade ihre Pflicht, die Verhinderung und Ahndung dieser rechtlich klar definierten Straftat zu gewährleisten. 

Michel Erpelding ist promovierter Völkerrechtler und arbeitet als Forscher in Deutschland
Michel Erpelding ist promovierter Völkerrechtler und arbeitet als Forscher in Deutschland

Julian Fernandez und Olivier de Frouville sind die wohl renommiertesten französischen Strafvölkerrechtler. Am 11. April 2025 veröffentlichten sie eine Stellungnahme, in der sie Israels Führung offen des Völkermords bezichtigten. Über Israels Verteidigungsminister Katz schrieben sie u. a., dass „[s]elten in der Geschichte […] ein hochrangiger Staatsvertreter […] so offen seine Absicht zum Ausdruck gebracht [hat], einen Teil einer Bevölkerungsgruppe zu vernichten“.1) Mit ihrer Einschätzung sind die beiden Völkerrechtler keineswegs isoliert. William Schabas, Verfasser des Standardwerks „Genocide in International Law“, geht ebenfalls von Völkermord in Gaza aus.2) Sein deutscher Kollege Kai Ambos hält es seinerseits für unklug, dass die Bundesregierung Israel die Fähigkeit zum Genozid pauschal abspricht.3) In anderen Worten: Völkerrechtler*innen rechnen damit, dass Israel derzeit einen Völkermord gegen die Palästinenser verüben lässt.

In der öffentlichen Debatte über Gaza kommen aber Völkerrechtler*innen kaum zu Wort. Stattdessen werden historische Vergleiche aufgestellt, die auf sterile Konfrontationen hinauslaufen müssen. Solche Diskussionen entbehren nicht nur jeder Wissenschaftlichkeit, sondern verhindern das Zustandekommen eines Minimalkonsenses, zu dem unsere Gesellschaften gerade beim Thema Völkermord eigentlich fähig sein müssten.  

Die rechtliche Definition des Völkermords

Die Grundlage für diesen Konsens sollte die rechtliche Definition des Völkermords bilden, die u.a. in der Völkermordkonvention von 1948, dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998 und Art. 136bis des luxemburgischen Strafgesetzbuches nachzulesen ist. Wie diese Definition auszulegen ist, geht aus den Diskussionen von Fachleuten, den Stellungnahmen von Staaten und den Entscheidungen von Gerichten hervor. Entscheidend beim Völkermord ist die „Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen“. Den Beweis für eine solche Völkermordabsicht in Gaza könnten neben den Aussagen einzelner israelischer Führungskräfte auch eine Reihe von Handlungen liefern, die indirekt darauf hindeuten. So hatten u.a. Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich im IGH-Verfahren Gambia gegen Myanmar argumentiert, dass gezielt gegen Kinder gerichtete Kriegshandlungen und Vertreibungen von Zivilisten den Beweis für eine Völkermordabsicht liefern könnten.4)

Dieses Argument sollte man auch auf Gaza anwenden, wo Dutzende Ärzt*innen und Sanitäter*innen der New York Times gegenüber von systematischen israelischen Kopf- und Brustschüssen gegen Kinder unter zwölf Jahren berichteten.5) Pläne, den Gazastreifen von seiner noch überlebenden Bevölkerung ethnisch zu säubern, laufen ebenfalls darauf hinaus, das palästinensische Volk in Nachbarstaaten aufgehen zu lassen und damit als solches auszulöschen.

Vor dem Gesetz sind alle gleich

Trotz des Ernstes der Lage scheint bei einem Großteil der westlichen Politik und Medien nach wie vor das Postulat zu gelten, dass ein von Überlebenden eines Völkermordes aufgebauter und sich auf demokratische Prinzipien berufender Staat faktisch unfähig sei, das „Verbrechen aller Verbrechen“ zu begehen. Doch entbehrt diese Annahme jeder rechtlichen Grundlage. Genau wie im nationalen Recht gilt auch im Völkerrecht das Gleichheitsprinzip. Kein Staat ist über den Verdacht des Völkermords erhaben. Das gilt für Luxemburg, dessen Verfassung nicht zuletzt aus diesem Grund einen Artikel über den Internationalen Strafgerichtshof enthält. Das gilt ebenso für Palästina, dessen international anerkannte Führung die möglicherweise ebenfalls völkermörderischen Taten der Hamas6) ahnden muss. Und selbstverständlich gilt es auch für Israel.  

Auch Luxemburger Politik in der Verantwortung

Laut Art. 1 der Völkermordkonvention von 1948 haben Staaten nicht nur die Pflicht, Völkermord zu bestrafen, sondern auch, ihn zu verhindern. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, sollte die Luxemburger Politik vier Arten von Maßnahmen ergreifen. Zuallererst sollte sie im Zweifelsfall davon ausgehen, dass in Gaza zumindest die Gefahr eines Völkermordes besteht. Nur so würde sie beweisen, dass sie die nötigen Lehren aus den zu spät erkannten Völkermorden in Ruanda und in Bosnien gezogen hat. Um sich ein besseres Bild der Lage in Gaza zu verschaffen, sollten Außenminister Bettel und Abgeordnete es Emmanuel Macron gleichtun und sich an die ägyptisch-palästinensische Grenze begeben. Zweitens sollte Luxemburg israelische Kader, die zum Völkermord aufrufen, mit individuellen Sanktionen belegen. Drittens sollten luxemburgische Politiker*innen endlich davon ablassen, die legitime Mobilisierung der Zivilgesellschaft für Gaza zu behindern.

Der Versuch des Petitionsausschusses der Abgeordnetenkammer, eine israelkritische Petition ohne jegliche rechtliche Grundlage abzulehnen, stellt in dieser Hinsicht einen Präzedenzfall dar, der sich nicht wiederholen darf. Auch Gemeinden und öffentliche Einrichtungen sollten Versammlungen und Demonstrationen, die auf Verbrechen in Nahost hinweisen, nicht auf rechtswidrige Art und Weise schikanieren. Letztens sollten politische Entscheidungsträger*innen sich schon jetzt Gedanken über die Zukunft der Beziehungen Luxemburgs und Europas zu Israel machen. Denn genauso wie Trumps USA steht auch das nach rechtsaußen abgedriftete Israel heute für eine Politik, die weder mit den strategischen Interessen Europas noch seinen viel beschworenen „Werten“ von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz in Einklang zu bringen ist. 

1) https://www.lemonde.fr/idees/article/2025/04/11/julian-fernandez-et-olivier-de-frouville-juristes-les-declarations-du-ministre-israelien-de-la-defense-sont-l-expression-transparente-d-une-intention-genocidaire-a-gaza_6594187_3232.html 

2) https://www.spiegel.de/international/world/interview-with-human-rights-expert-william-schabas-a-strong-case-that-israels-response-constitutes-the-crime-of-genocide-a-da7e4524-ab3b-40e4-b409-f8fca9c081b8 

3) https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/jung-naiv-kai-ambos-spannende-ueberforderung 

4) https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/178/178-20231115-wri-01-00-en.pdf. 

5) https://www.nytimes.com/interactive/2024/10/09/opinion/gaza-doctor-interviews.html 

6) Wie vom Verfasser bereits am 27.10.2023 beschrieben: https://www.land.lu/page/article/946/340946/DEU/index.html

Guy Mathey
1. Mai 2025 - 13.19

Hervorragender Artikel von Michel Erpelding, solide argumentiert.
Das Palästinensische Volk ist nicht die Hamas und die Bewohner Israels sind nicht die Netanyahu - Regierung, das scheinen so manche Politiker*innen einfach nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen.
Es ist einfach unfassbar, dass das verbrecherische Netanyahu - Regime immer noch, trotz des Genozids am Palästinensischen Volk, fast uneingeschränkte Unterstützung westlicher Regierungen erhält.
Dabei ist diese autoritär agierende Regierung auch innerhalb Israels längst hochumstritten.

Luxmann
1. Mai 2025 - 10.00

Dass eine Luxemburger gemeindeverwaltung aus solidaritaet mit Palaestina deren flagge an der mairie hisst wird man leider nie erleben.
Zum glueck folgt meines wissens auch keine hierzulande dem beispiel der BRD oder Tschechiens wo die israelische flagge an so manchen offiziellen gebaeuden wehte ,um die solidaritaet mit den verbrechen der netanyahu regierung auszudruecken.

Grober J-P.
30. April 2025 - 20.13

Steht der Abbas unter der Fuchtel der Hamas?

DanV
30. April 2025 - 12.07

JEDE Verurteilung der israelischen Handlungen ist eine Unterstützung der Hamas.

Geben Sie den Regierungen eine Formel, wie beides gleichzeitig verurteilt werden kann, OHNE dass die Hamas jubeln wird und jeder Staat, der die Menschenrechte respektiert, wird sie mit Kusshand übernehmen.

Grober J-P.
30. April 2025 - 12.06

Die Zionisten haben nichts aus der Geschichte gelernt, echte Juden schon, fragt man sie über Bibi und seine Handlanger wird der Unterschied schon deutlich.