Identität und Vermächtnis: Über die Erhaltung historischer Bausubstanz in Luxemburg

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Als Direktor des „Service des sites et monuments nationaux“ war Georges Calteux zwischen 1982 und 2004 eine der treibenden Kräfte, die sich für die Erhaltung und die Restaurierung von historischen Gebäuden und alten Bauernhöfen einsetzten. Der 82-Jährige spricht mit dem Tageblatt über das architektonische Vermächtnis im ländlichen Raum und darüber, wie es zu den genannten Maßnahmen kam.

Von Laurent Graaff (Text), Anne Lommel (Foto)

Reichlich Überzeugungsarbeit, unzählige Gespräche und viel Energie. All das sei notwendig gewesen, erzählt Georges Calteux, denn das Projekt „Eist Duerf soll liewen“ war alles andere als ein Selbstläufer. „Als es darum ging, den ländlichen Raum in Luxemburg aufzuwerten, mussten zunächst einmal die Menschen sensibilisiert werden. Dieses Vorhaben ex cathedra zu verkünden, wäre gleichbedeutend mit einem Scheitern gewesen.“ Es ging also anfangs in erster Linie darum, den Betroffenen das Projekt schmackhaft zu machen.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die Presse. „Sie hatte letztlich großen Anteil daran“, so Calteux. Zugute kam ihm die Tatsache, dass er über Kontakte zu den beiden RTL-Journalisten Menn Bodson und Jean Octave verfügte. Das sonntägliche „Hei elei, kuck elei“ und die rund 50 Radio-Sendungen, bei denen Calteux mit von der Partie war, trugen ihr Übriges dazu bei.

„Irgendwann gab es so eine Art Schneeball-Effekt“, erinnert er sich. Nach und nach stieß das Projekt auf immer mehr Interesse. Zuschauer und Zuhörer riefen an, um sich zu informieren.

Mit den Gemeinden musste eine weitere Hürde bewältigt werden. Auch sie wurden bei den geplanten Instandsetzungsarbeiten und Restaurierungen mit ins Boot genommen. „Ich habe 30 Jahre lang in Useldingen Fußball gespielt, war auch beim Militär und bin seit meinem zwölften Lebensjahr musikalisch aktiv. Diese ganzen Kontakte öffneten uns viele Türen, als wir vorstellig wurden, um unsere Ideen zu präsentieren“, erinnert sich Calteux, dessen berufliche Laufbahn einst als „Zeecheproff“ im Echternacher Lyzeum begann.
Denkmalpflege war bereits während seines Kunststudiums in Wien ein Thema gewesen. In einer Art Streitgespräch vor seinen Kommilitonen musste er einen Waschbrunnen in Kärnten vor dem Abriss verteidigen.

Das sei letztlich eine gute Vorbereitung auf all das gewesen, was in seiner Zeit als Direktor des „Service des sites et monuments nationaux“ auf ihn zugekommen sei. „Die ganzen Treffen und Gespräche haben mir stets eine Menge Spaß bereitet, auch wenn es da manchmal hoch herging“, erzählt Calteux lachend.

Robert Krieps, der von 1984 bis 1989 unter anderem Kulturminister war, habe ebenfalls entscheidenden Anteil am Erhalt von historischer Bausubstanz gehabt. „Krieps hatte frühzeitig erkannt, dass man sich mit dem Ende der Stahlindustrie-Ära hierzulande Gedanken darüber machen musste, wie man dieses Industriegut für die Nachwelt präservieren kann.“ Hinzu kam die Erhaltung des sogenannten „patrimoine rural“.
In dem Zusammenhang war auch Calteux’ Mitgliedschaft im „Conseil d’Europe“ von großer Bedeutung. Dort wurde laut über den Erhalt von Kulturgut nachgedacht, auch wenn es sich dabei in erster Linie um Burgen, Kathedralen oder Schlösser handelte.

Ein Bewusstsein schaffen

Anfang der 80er-Jahre gab es in dem Zusammenhang eine europäische Kampagne, die sich am luxemburgischen Modell orientierte. „Luxemburg war von der Größe her überschaubar, aber vor allem hatten wir einen Plan“, so Calteux. Das Modell sah vor, dass der Staat die Restaurierungsarbeiten zu 25 Prozent bezuschusste. Den gleichen Prozentsatz musste der Bauträger (Handwerker und Bauunternehmen) dem Staat anschließend als Steuern zahlen. Im Fachjargon bezeichnete man dies als „opération nulle“. Hinzu kam, dass die Objekte mindestens 80 Jahre alt sein mussten.

Das Modell machte Schule. Es gab auch hierzulande Umnutzungen wie bei der „Dumontsmillen“ in Schifflingen und beim Servais-Haus in Mersch, wo die Eigentümer dem Staat die Gebäude vermachten. Insgesamt gab es landesweit 180 solcher Beispiele.
„Wir Luxemburger hatten eigentlich immer Probleme mit unserer Identität und auch damit, dass wir 400 Jahre lang besetzt waren. Hinzu kamen die Erlebnisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs, wobei der Generalstreik im August 1942 ein Schlüsselmoment war“, erläutert Calteux die Ursachen der anfänglichen Skepsis.

Es habe erst ein Bewusstsein geschaffen werden müssen. Das Bewusstsein, dass die Gebäude, Häuser und Bauernhöfe, die unsere Vorfahren schufen, Teil einer nationalen Identität und eines Vermächtnisses sind. „Das musste erst einmal verinnerlicht werden. Hinzu kam, dass wir eigentlich herzlich wenig über unsere eigene Geschichte wussten.“ Sie sei nicht oder nur in geringem Umfang im Unterrichtsplan der Schulen vertreten gewesen. „Luxemburgs Geschichte und all das, was unsere Vorfahren geleistet haben, waren ein Tabuthema, das stets irgendwie ausgeklammert wurde.“ Das architektonische Erbe ist Teil unserer Identität und muss deshalb auch erhalten werden, sagt der 82-Jährige unmissverständlich.

Ein Spion aus dem Saarland

Es gibt da allerdings etwas, vorüber auch Georges Calteux nicht gerne spricht: In den 30er-Jahren erstellte der Saarländer Dr. Josef Schmithüsen eine Art Inventar über die Bauernhöfe in Luxemburg. Dies jedoch nicht nur für wissenschaftliche Zwecke, sondern auch als Vorbereitung der Okkupation des Großherzogtums durch Nazideutschland. Kurz: Schmithüsen war ein Spion, der wertvolle Informationen lieferte.

Lange nach dem Krieg nahm die Ehefrau des Verstorbenen Kontakt mit Calteux auf und übergab ihm das gesamte Archiv ihres Mannes. „Ich hatte nun reichlich Unterlagen und unzählige Fotos. Das war zwar hilfreich, aber irgendwie fühlte ich mich nicht wohl dabei.“
Als Katalysator in Sachen Erhalt der alten Bausubstanz entpuppte sich auch, dass sich unsere deutschen Nachbarn rasch für das Wirken und Werken von Calteux und seines „Service des sites et monuments nationaux“ interessierten. Nachdem er durch Luxemburg gepilgert war und dabei erfolgreich Überzeugungsarbeit geleistet hatte, appellierte man jenseits der Mosel ebenfalls an ihn.

Speziell in der Eifel. Auch die deutschen Medien begannen sich dafür zu interessieren. Calteux war in Sendungen des Südwestfunks zu sehen. Ein Luxemburger im deutschen TV! „Das wiederum hatte ebenfalls einen positiven Einfluss bei uns“, so Calteux. Für seine Verdienste in Sachen Denkmalschutz in Deutschland wurde er vom damaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.