Der Trierer Amokprozess tritt auf der Stelle. Im wahrsten Sinne des Wortes. Schon seit mehreren Verhandlungstagen geht es im großen Sitzungssaal des Landgerichts um das Geschehen auf dem Hauptmarkt. Allein dort wurden am 1. Dezember 2020 durch den Raser drei Menschen getötet, darunter ein neuneinhalb Wochen alter Säugling und der 45-jährige Vater.
Viele Menschen waren damals auf dem Hauptmarkt unterwegs, wurden Augen- und Ohrenzeugen des schrecklichen Gewaltverbrechens. Wenn sie jetzt im Gerichtssaal von den inzwischen fast 15 Monate zurückliegenden Ereignissen berichten, ist das für einige von ihnen so, als erlebten sie das Trauma in der Trierer Fußgängerzone ein zweites Mal.
Eine heute 58-jährige Frau, die damals in der Stadt unterwegs ist, erinnert sich am Mittwoch mit tränenerstickter Stimme an „das gewisse Etwas“, das an jenem Dezembermittag plötzlich auf sie zuflog. „Es sah aus wie ein Teppich“, sagt sie und fügt hinzu: „Es schlug vor mir auf dem Boden auf, ich wurde getroffen und bin mit umgerissen worden.“
„Keine Pupillenreaktion“
Erst wenig später wurde der Zeugin damals klar, dass es sich bei dem „gewissen Etwas“ um eine Frau handelte. Die 52-jährige Lehrerin war mit dem Fahrrad aus Richtung Porta Nigra unterwegs, als der Amokfahrer sie erwischte und vom Rad katapultierte. „Sie hat mich angeschaut. Aber ich dachte, sie ist tot, weil ich keine Reaktion mehr in ihren Augen gesehen habe“, erinnert sich die Zeugin.
Eine Arzthelferin, die zum Zeitpunkt der Amokfahrt gerade mit ihrem Mann und der Tochter in der Innenstadt unterwegs war, kümmerte sich um die schwerstverletzte Lehrerin. „Sie hatte nur noch einen ganz schwachen Puls und keine Pupillenreaktion“, erinnert sich die 41-jährige Zeugin am Mittwoch im Prozess. „Wir haben die Frau dann mit Stofftieren ausgebettet, damit sie nicht auf dem harten Pflaster liegen muss“, berichtet die Arzthelferin. Kurz danach sei der Rettungswagen angekommen.
Die beliebte Berufsschullehrerin hat die Gewaltattacke des Amokfahrers nicht überlebt. Vermutlich hat die 52-Jährige den heranrasenden Geländewagen nicht einmal kommen gesehen, wie eine andere Zeugin sagt. „Sie hatte keine Chance, hat den Wagen nicht gesehen und wurde von dem Raser einfach so von der Straße gefegt.“
Angeklagter erscheint teilnahmslos
Während die Zeugin dies erzählt, sitzt der wegen der Tat angeklagte 52-jährige Mann nur ein paar Meter entfernt – so teilnahmslos, wie auch an den vorausgegangenen Prozesstagen. Der aus dem Trierer Stadtteil Zewen stammende und zuletzt arbeits- und wohnsitzlose Mann hat sich an den bisher 25 Verhandlungstagen immer noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Ob er dies noch tun wird, ist unklar.
Dabei wird er auch am Mittwoch von einer Zeugin, die damals wohl nur durch Glück mit dem Leben davongekommen ist, indirekt angesprochen. „Ich war völlig arglos, bin aus dem Hinterhalt feige und ohne Chance, etwas zu tun, angegriffen worden – von jemandem, den ich nicht kenne und dem ich nichts angetan habe“, echauffiert sich die 57-jährige Frau. Sie war an jenem Dezembermittag mit ihrem Lebensgefährten auf dem Hauptmarkt unterwegs, als der Geländewagen angerast kam. Nur weil der Lebensgefährte zu ihr gesagt habe, „lass uns auf die Seite gehen“, sei sie von dem Amokfahrer nicht erwischt worden. Ihr Freund hatte weniger Glück. Der 66-Jährige wurde von dem Fahrzeug gestreift und zu Boden geschleudert. Er erlitt schwerste Kopf- und Beinverletzungen.
„Schreie, wie ich sie noch nie gehört habe“
Ein als Polizist ausgebildeter Ersthelfer band damals das Bein des Mannes ab, um die Blutung zu stoppen. „Er hat meinem Partner das Leben gerettet – so wie mein Partner mir das Leben gerettet hat“, sagt die Frau. Sie sagt aber auch, dass sie gläubig sei und der festen Überzeugung: „Ich hatte an diesem Tag einen Schutzengel.“
Eine andere Zeugin, die damals gerade Mittagspause hatte, sah, wie plötzlich vor einem Geschäft auf dem Hauptmarkt „ein Mann durch die Luft geschleudert wurde“. Schräg gegenüber habe eine Frau blutend auf dem Boden gelegen, in der Nähe ein zerbeultes Fahrrad. „Dann hörte ich Schreie von einer Frau, wie ich noch nie jemanden schreien gehört habe“, erinnert sich die Zeugin. Die Schreie kommen von der Frau, die auf dem Hauptmarkt kurz zuvor ihren Ehemann und das neuneinhalb Wochen alte Töchterchen durch den Amokfahrer verloren hat. Der eineinhalbjährige Sohn übersteht das Gewaltverbrechen mit leichten Verletzungen im Kinderwagen. „Als ich die Mutter gesehen habe, hat sie den Kinderwagen fest umklammert“, sagt die Zeugin. „Dann war plötzlich Totenstille.“
Der Mordprozess wird nächsten Mittwoch fortgesetzt. Noch bis Ende April sind Verhandlungstage terminiert.
De Maart
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