Dienstag28. Oktober 2025

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SpanienHunderttausende auf Europas Straßen: Demonstrationen in London, Paris und Madrid

Spanien / Hunderttausende auf Europas Straßen: Demonstrationen in London, Paris und Madrid
Der ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn lief in London in der ersten Reihe mit Foto: AFP/Henry Nicholls

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London, Paris und Madrid wurden am Wochenende von Demonstrationen geprägt. Der Nahost-Konflikt stand in Großbritannien und Frankreich im Mittelpunkt. In Spanien aber marschierten Rechte gegen die Sozialdemokraten auf. 

London: „Völlig unakzeptabel“

Neun verletzte Beamte, 126 Festnahmen, wilde Prügelszenen, ein von Demonstranten wüst beschimpfter, sichtlich bedrängter Kabinettsminister – ausgerechnet am Totengedenktag zum Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs 1918 glich die Londoner Innenstadt am Samstag häufig einem Heerlager. Tags darauf verlief die zentrale Totengedenkfeier, angeführt von König Charles III, im Londoner Stadtzentrum friedlich. Doch die politische Diskussion drehte sich um die hässlichen Szenen vom Samstag und deren Vorgeschichte.

Die bisher größte Demonstration für einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg mit mindestens 300.000 Teilnehmern sowie ein Marsch von wenigen hundert Anhängern der weit rechts stehenden Englischen Verteidigungsliga EDL waren noch nicht vorbei, da meldete sich abends der konservative Premier zu Wort. Die gewalttätigen Szenen im Herzen Londons seien „völlig unakzeptabel“, sagte Rishi Sunak; die neofaschistischen „Schläger“ und die „Hamas-Sympathisanten“ hätten das Andenken der in zwei Weltkriegen und weiteren Konflikten gefallenen Briten geschändet.

Sunak unterließ den normalerweise üblichen Dank an die Ordnungshüter – ein Zeichen dafür, wie angespannt das Verhältnis zwischen der konservativen Regierung und Scotland Yard geworden ist. Sowohl der Premier selbst wie auch Innenministerin Suella Braverman hatten vorab auf ein Verbot des pro-palästinensischen Protestmarsches gedrängt. Der Londoner Polizeichef Mark Rowley hingegen pochte auf geltendes Recht: Das entsprechende Demonstrationsgesetz erlaube kein Verbot ohne klare Erkenntnisse über geplante Gewalttätigkeiten oder gar den Zusammenprall unterschiedlicher militanter Gruppen.

Der Polizei gelang es sehr gut, die beiden Gruppen auseinanderzuhalten. Die weitaus meisten Straftaten begingen die EDL-Anhänger, indem sie die Beamten mit Flaschen bewarfen und Feuerwerkskörper entzündeten. Mehr als 100 Festnahmen waren die Folge. Hingegen verlief der Palästinamarsch überwiegend friedlich, wenn auch kleine Gruppen vermummter Islamisten am Rande der Kundgebung antisemitische Literatur verkauften und in Sprechchören „die Rückkehr von Mohammeds Armee“ beschworen. Festgenommen wurde eine Gruppe von Protestierern, die am Bahnhof Victoria den Kabinettsminister Michael Gove bedrängten und beschimpften. Eine Einsatzgruppe der Polizei gab dem 56-Jährigen, der allein zu Fuß unterwegs war, Schutzgeleit.

Innenministerin Braverman hatte vorab die Demonstranten pauschal als „Islamisten und Hassmarschierer“ denunziert. Zudem beschuldigte sie die Polizei, diese behandele Proteste unterschiedlich, je nachdem, ob ihnen das Anliegen sowie die Demonstranten sympathisch seien oder nicht. Mit solchen Sprüchen habe sie sich ihres Amtes unwürdig erwiesen, argumentierte Labour-Parteichef Keir Starmer. Sein Parteifreund Sadiq Khan, Londons Bürgermeister, ging einen Schritt weiter: Braverman habe den Hass und die Gewalt vom Samstag provoziert und solle zurücktreten.

Paris: Menschenmenge gegen Antisemitismus

In Frankreich hatten die Präsidenten des Senats und der Nationalversammlung gemeinsam zu einer landesweiten Demonstration „gegen Antisemitismus und für die Republik“ am Sonntag in Paris aufgerufen. Die Menschenmenge, die sich vom Palais Bourbon bis zum Palais du Luxembourg versammelte, war beachtlich, wobei auch im restlichen Frankreich etwa 70 weitere Demonstrationszüge stattfanden.

Viel politische Präsenz beim Marsch gegen Antisemitismus am Sonntag in Paris
Viel politische Präsenz beim Marsch gegen Antisemitismus am Sonntag in Paris Foto: AFP/Thomas Samson

Die Mobilisierungswette wurde eindeutig gewonnen, da es nicht darum ging, die Strategie von Benjamin Netanjahu zu unterstützen, sondern gegen die Zunahme antisemitischer Taten in Frankreich zu protestieren – seit dem 7. Oktober sind es nun fast 1.300. Neben Nicolas Sarkozy und François Hollande, die an der Spitze des Demonstrationszuges standen, nahmen viele weitere Abgeordnete, Minister und ehemalige Minister teil. Auch Präsident Macron musste seine Abwesenheit mehr als einmal bedauern, obwohl er in einem Interview, das gestern in der Zeitung Le Parisien veröffentlicht wurde, erklärte, er sei „in Gedanken und im Herzen anwesend“.

Nicht nur das zahlenmäßige Ausmaß, sondern auch die politische Dimension dieser Demonstration stellen eine schwere Niederlage für Jean-Luc Mélenchon dar, der alles daran gesetzt hatte, dass die Franzosen nicht gegen Antisemitismus marschieren, und der darin „eine Mobilisierung der extremen Rechten“ sehen wollte. Insbesondere die Anwesenheit zahlreicher Persönlichkeiten der Linken an der Spitze des Zuges, Schulter an Schulter mit Vertretern der anderen republikanischen Familien, und in der anonymen Menge unzählige Sympathisanten der Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die alle mehrfach eine schwungvolle Marseillaise anstimmten, können als eine sehr deutliche Antwort auf die feindselige Rede des Chefs von La France Insoumise gesehen werden.

Madrid: Steine und Faschistengruß

Spaniens alter und voraussichtlich neuer Premier, der Sozialdemokrat Pedro Sánchez, steht vor bewegten Zeiten. Seine angestrebte Mitte-links-Regierung ist noch nicht im Amt, aber sie hat jetzt schon mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Weil Sánchez sich die parlamentarische Unterstützung der katalanischen Separatisten mit einer Generalamnestie für die Unabhängigkeitsaktivisten erkaufte, feuert die konservative Opposition aus allen Rohren, spricht von „Verrat“, „Staatsstreich“ sowie „Wahlbetrug“ und schickt ihre Anhänger auf die Barrikaden.

Seit zehn Tagen kommt es zu Straßenschlachten in Madrid, bei denen Rechtsradikale mit Faschistengrüßen und Gewalt für hässliche Bilder sorgen. Jeden Abend ziehen Tausende Menschen zum Hauptquartier von Sánchez‘ sozialdemokratisch orientierter Sozialistischer Arbeiterpartei in Madrid. „Pedro Sánchez ist ein Hurensohn“, skandieren sie. Oder: „Sánchez ins Gefängnis.“ Es beginnt stets friedlich, bis vermummte Jugendliche, die sich mit erhobenem rechten Arm als Neonazis zu erkennen geben, Steine auf Polizisten und Journalisten werfen.

Der „Puerta del Sol“-Platz in Madrid am Sonntag 
Der „Puerta del Sol“-Platz in Madrid am Sonntag  Foto: AFP/Oscar del Pozo

Den vorläufigen Höhepunkt der Massenproteste erlebte das Land an diesem Sonntagmittag, als Hunderttausende in Madrid und 50 weiteren Städten auf die Straße gingen. Zu den Kundgebungen aufgerufen hatte die konservative Volkspartei und ihr Verbündeter, die rechtsnationale Partei Vox. Volksparteichef Alberto Núñez Feijóo nannte den Amnestiepakt zwischen Sánchez und Separatisten „eine Schande“. „Nein zur Straflosigkeit“, sagte Feijóo.

Auch beim Kongress der sozialdemokratischen Parteien Europas in der südspanischen Badestadt Malaga wurde das Kongressgebäude stundenlang von Demonstranten belagert, die gegen die „illegale Amnestie“ protestierten und riefen: „Spanien verkauft man nicht – man verteidigt es.“

Die durch Spanien rollende Protestwelle wird vermutlich noch weitergehen und sich vor das spanische Abgeordnetenhaus verlagern. Voraussichtlich am Donnerstag wird das Parlament über Sánchez‘ neue Regierung abstimmen. Wenn alles nach Plan läuft, kann der Sozialdemokrat mit einer überraschenden absoluten Mehrheit von 179 Ja-Stimmen rechnen. Das sind acht Stimmen mehr als die konservative Opposition aus Volkspartei und Vox haben.

Dann muss Sánchez nur noch das Kunststück gelingen, Spaniens gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Das dürfte angesichts der tiefen Gräben zwischen den beiden politischen Lagern nicht einfach werden. Trotzdem verspricht Sánchez: „Wir werden für alle Spanier regieren.“

luxmann
12. November 2023 - 20.49

Danke an herr Corbyn dass er sich fuer gerechtigkeit in Palaestina einsetzt.