Umwelt Hotspots der Biodiversität: Mehr Natur für dicht besiedelte Gebiete

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Das Rathaus von Niederanven: Trotz viel Beton wurde hier das Möglichste getan, um Inseln der Biodiversität zu schaffen. Die Gemeinde hat sich von den Experten der biologischen Station des „Syndicat intercommunal à vocation multiple“ (SIAS) beraten lassen. Foto: Editpress/Julien Garroy

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Wie viel Natur brauchen dicht besiedelte Räume? Und was bewirkt eine Bebauung, die neben Wohnraum Naturräume berücksichtigt? Fragen wie diese beantworten Stadtökologen. Dafür ist Tom Dall’Armellina (27) da. Er arbeitet seit eineinhalb Jahren beim „Syndicat intercommunal à vocation multiple“ (SIAS), in dem sich 22 Gemeinden im Land zusammengeschlossen haben, und berät sie.

Das Rathaus von Niederanven hat Alleinlage. Es liegt in einem großen Park, hat ein Wasserbecken davor und viele Staudenbeete, die im Sommer Insekten ernähren. Das Flachdach des Gebäudes ist begrünt und mit Fotovoltaik ausgestattet. „Im Moment ist nicht so viel zu sehen“, entschuldigt sich Tom Dall’Armellina. Er hat den Ort als ein Beispiel für „Best Practice“ ausgesucht. Es ist halt Winter und an diesem Tag grau und kalt.

Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude zeigt er auf zartes Grün in den offenen Fugen zwischen den Pflastersteinen. „So wünschen wir uns das“, sagt er und weiß, das ist der Albtraum all derer, die „gepflegte“ Plätze haben wollen. Auf denen wird Grün zwischen Steinen als ungewollt bekämpft. Und richtige Fugen verhindern, dass Frauen mit Stöckelschuhen hängen bleiben. Das hört Dall’Armellina sehr oft als Begründung für versiegelte Fugen. Er hat einen anderen Blick darauf.

Das Grün zwischen den Steinen hat eine Funktion. „Moos bindet sehr viel CO2 und Bodenlebewesen können nach draußen“, sagt er. Im Fachjargon heißt das „teilentsiegelt“. „Außerdem kann hier Wasser versickern“, sagt er. Auf voll versiegelten Flächen sucht es sich woanders Raum, wie die Überschwemmungen im Sommer gezeigt haben. Die Flächenversiegelung in Luxemburg ist angesichts des Bevölkerungswachstums rasant.

Flächenverbrauch in Luxemburg groß und ein Problem 

Täglich werden im Land 1,3 Hektar Fläche verbraucht, wie der „Strategie und Aktionsplan für die Anpassung an den Klimawandel in Luxemburg 2018-2023“ des Umweltministeriums festhält. Das rund 150 Seiten starke Papier beschäftigt sich mit der Thematik und wurde zusammen mit dem „Luxembourg Institute of Science and Technology“ (LIST) entwickelt.

„Der Thematik des hohen Flächenverbrauchs sowie der Boden-Übernutzung sollte im Hinblick auf den Klimawandel eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen“, schreiben die Verfasser. Das betrifft hauptsächlich Ballungsgebiete. In denen ist es vor allem im Sommer oft heißer als im Umland. Deswegen ist Grün in Form von begrünten Dächern und Fassaden, aber auch Parks oder Bäumen so wichtig und sollte bei einer Bebauung von vorneherein nicht ausgeschlossen werden.

Studien in Hongkong oder Warschau belegen diese These und zeigen, Parks haben bei großer Hitze einen kühlenden Effekt. Den haben die Bäume auf dem Parkplatz vor dem Niederanvener Rathaus auch – ganz abgesehen von ihren anderen Fähigkeiten wie den Staub zu filtern und Wasser in die Atmosphäre abzugeben. „Wenn die Flächen richtig angelegt sind, sind sie Hotspots der Biodiversität“, sagt Dall’Armellina.

Das ist das eine. Dann sind die anderen positiven Aspekte von Natur in der Stadt noch nicht erwähnt. Bereits 2015 weisen fünf australische Wissenschaftler in einem Artikel im Fachmagazin Bioscience auf andere Aspekte hin. „Mehr als 30 Jahre Forschung haben gezeigt, dass die städtische Natur ein vielversprechendes Instrument zur Verbesserung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens der wachsenden Stadtbevölkerung ist“, schreiben sie dort.

Gegen eingefahrene Vorstellungen

Deswegen machen Städter eine Landpartie, wenn ihnen nach Natur zumute ist. „Das stimmt“, sagt der Stadtökologe. „Aber durch die vielen Monokulturen der Landwirtschaft geht auch dort die Biodiversität zurück.“ In seiner Optik haben Städte und Ballungsgebiete, wie die immer mehr zusammenwachsenden Dörfer im Land, viel Potenzial für Biodiversität. „Grüne Fassaden oder grüne Dächer bieten Lebensraum für Insekten, sie kühlen und reduzieren den Lärm von draußen“, sagt er.

Alles schön und gut, aber herumliegende, herabgefallene Blätter auf dem Gehsteig vor der Haustür wollen viele nicht vor ihrer Haustür. Dall’Armellina weiß das und hält dagegen. „Viele sehen zuerst nur den Aufwand, aber nicht den Nutzen der Bäume“, sagt er. In die Hand spielt ihm, dass sich das offensichtlich ändert. Immer häufiger gibt es Anfragen bei der biologischen Station des SIAS nach einer artenreichen Begrünung von Bushaltestellen, Gebäuden oder monotonen Rasenflächen. SIAS berät Gemeinden auf dem Weg zu mehr Grün.

„Das ist unsere Rolle”, sagt Dall’Armellina in dem Wissen, dass er gegen jahrzehntelang antrainierte Bilder im Kopf anrennt, wie Gehsteige oder Straßenzüge auszusehen haben. „Fridays for Future hat uns sehr geholfen“, sagt er. Aber nicht nur. Der 2020 verabschiedete „Naturpakt“ will die Gemeinden mit ins Boot nehmen. „Belohnt“ werden Kommunen, die ökologische Maßnahmen umsetzen, mit Punkten, die sich in eine Zertifizierung umsetzen lassen.

Und es gibt Zuschüsse des Staates für ökologische Maßnahmen. 250 Stunden Beratung übernimmt der Staat, wenn eine Gemeinde sich dazu entschließt. Dann kommt jemand wie Dall’Armellina. Den Wasser-, Natur- und Klimaschutz will sich der Staat etwas kosten lassen. Insgesamt sind 32 Millionen Euro bis 2030 vorgesehen. Das ist bitter notwendig.

Im letzten Bericht des „Observatoire de l’environnement naturel“ für die Periode zwischen 2013 und 2016 bescheinigt die Beobachtungsstelle einen „alarmierenden Erhaltungszustand der europaweit geschützten Arten und Lebensräume“. Demnach sind 75 Prozent der Lebensräume und Arten in Luxemburg in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Das lässt aufhorchen.