KinoHollywood-Auteur, heute: Das Kino von Denis Villeneuve

Kino / Hollywood-Auteur, heute: Das Kino von Denis Villeneuve
Der kanadische Filmemacher Denis Villeneuve bei einem Fototermin zur Werbung seines Films „Dune: Part Two“ in Mexiko-Stadt Foto: Marco Ugarte/AP/dpa

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Er ist einer der angesagtesten Filmemacher der Gegenwart: der Frankokanadier Denis Villeneuve. Mit nur drei kleineren Filmen, „Incendies“ (2010), „Prisoners“ (2013) und „Enemy“ (2013), ist er zu einem vielversprechenden Regisseur avanciert. Nun steht sein Name für den künstlerischen, großen Blockbuster – unter diesem Zeichen freilich wird sein neuester Film „Dune 2“ vermarktet. Bevor der Kanadier wieder auf den Wüstenplaneten einlädt, sollen seine Filmvisionen näher betrachtet werden.

In der amerikanischen Filmindustrie wurden entsprechende Großprojekte ab den 70er Jahren als Blockbuster bezeichnet: großbudgetierte Studiofilme, die eine „vision d’auteur“ im Kontext des New Hollywoods einschlossen; dieser Umstand hat zu einer doppelten Identität des amerikanischen Kinos geführt. Heute, Stand 2024, hat sich die Filmindustrie entlang der Schnittstellen von Unterhaltung, Mainstream, Prestigeprojekten, Genre- und Autorenkino gewandelt. Wenn Denis Villeneuve also zum zeitgenössischen Super-Blockbuster-Autor aufsteigen konnte, dann auch, weil die große Studioproduktion sich neu ausrichten musste: Zum einen sind die damaligen Filmemacher heute nicht mehr so jung und erfolgreich, zum anderen steht da die Konjunkturphase der Marvel-Superheldenfilme, die das Konzept des Blockbusters als ein Franchise aus erzählerisch zusammenhängenden Film-Universen neu ausrichteten und jeden Anspruch an persönliche Filmvisionen degradierten.

Die schematisierte und äußerst mutlose Massenproduktion von Marvelfilmen, die unter der Werbelogik, ein Produkt und keine Filmkunst zu verkaufen, rezipiert werden, begünstigen diese Lesart umso mehr: In dieser Verlagerung ergibt sich ein äußerst vereinfachtes dreistufiges Modell – das mehrere Zwischenstufen beinhalten mag – der Filmwahrnehmung: Die konfektionierte und einheitliche Massenware der Marvel-Großproduktionen, den großen Autoren-Genrefilm und die Peripherie, die das amerikanische Arthousekino und den Independent-Film einschließen. Villeneuve situiert sich auf zweiter Ebene und steht somit als der verlängerte Arm einer Reihe ihm vorausgegangenen Regiekollegen, die das binäre Unterscheidungsmodell von Genre- und Autorenfilm aufbrachen: Martin Scorsese, Ridley Scott, Brian De Palma, Francis Ford Coppola – und Michael Mann. Ganz ähnlich wie Villeneuve wurde spätestens mit dem Erscheinen von „Inception“ (2010) der amerikanisch-britische Regisseur Christopher Nolan rezipiert – als ein Purist des Kinos, der komplexe filmische Zeitlichkeit sehr essayistisch behandelt, aber über die Budgets groß angelegter Blockbuster verfügt – tatsächlich gibt es zwischen beiden Filmemachern mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick meinen möchte.

Das Handwerk

Dröhnende Musik, satte und kontrastreiche Farben, isolierte Figuren in trostlosen Landschaften – allein der Trailer zu „Dune 2“ wartet mit einer Ästhetik auf, die man unverkennbar als die von Villeneuve identifiziert haben möchte. Villeneuve weiß intuitiv, wie er die filmischen Gestaltungsmittel – Schnitt, Kameraführung, Beleuchtung, Sounddesign – so einzusetzen hat, dass die Immersion zum zentralen, verführerischen künstlerischen Prinzip wird. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass er sich mit innovativen Handwerkern umgibt. Seine Filme lassen das Publikum unmittelbar in die Geschichte, die er erzählt, eintauchen. Mit Roger Deakins hat er einen der angesagtesten Kameramänner Hollywoods zur Verfügung, der die Bildästhetik seiner Filme maßgeblich prägt. Der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson steuerte die sehr individuellen, mitunter äußerst befremdlichen Sounddesigns bei, die die Grenzen zwischen orchestraler Partitur und reiner Geräuschkulisse zunehmend aufhoben. Hans Zimmer erweiterte dieses Repertoire dann mit „Blade Runner 2049“ und „Dune“.

Villeneuve entwickelt somit für den Blockbuster eine immens sinnliche Qualität der Filmsprache, die durch den überwiegenden Verzicht digitaler Effekte und dem Verlass auf praktische, „in-camera“-Effekte sowie realen Sets, echten Kulissen und Bauten gewährleistet wird – deshalb gilt er, ebenso wie Nolan, als ein entschiedener Vertreter einer puristischen Form des Kinos. In allen Fällen gilt: Villeneuve ist zuvorderst ein Formalist. So wie Nolan am Anfang seiner Regiekarriere mit Filmen wie „Memento“ (1999) oder „Insomnia“ (2001) auf Krimierzählungen setzte, die er narrativ äußerst komplex anlegte, so schien Villeneuve diesem Beispiel mit Filmen wie „Prisoners“ oder „Enemys“ zu folgen: routiniertes Genrekino, das mit Verwirrspielen, doppelten Identitäten und dramatischen Spannungskurven aufwartete – für Villeneuve war der Weg geebnet, kostspieligere Projekte anzugehen.

Auf das ambitionierte Science-Fiction-Projekt „Arrival“ (2016) folgte mit „Blade Runner 2049“ (2017) die Fortsetzung des Science-Fiction-Kultfilms von 1982 – wie sein Vorgänger scheiterte der Film an den Kinokassen, indes war ihm sein Kultstatus sofort sicher. Ferner war Villeneuve nun definitiv als ein singulärer Filmkünstler innerhalb großer Genreproduktionen etabliert, nicht zuletzt, weil ihm mit dieser Fortsetzung der Status inne war, nun ganz direkt ein Erbe Ridley Scotts zu sein. Sein „Dune“ ist die dritte Adaption der literarischen Vorlage, die Villeneuves Rang als großartiger Filmemacher festigte, auch weil er für viele dort reüssierte, wo Kultregisseure wie David Lynch oder Alejandro Jodorowsky scheiterten – einmal mehr wog da die Last dieses filmkulturellen Erbes, das auch Werbezweck ist. Dieser werbewirksame Moment war der französischen Autorentheorie der Fünfzigerjahre ohnehin inhärent.

Ein Kreis schließt sich

Die filmkritische Rezeption des Frankokanadiers scheint sich auf diesen Aspekt zu einigen: Villeneuve gilt als ein versierter Handwerker, ein craftsman, dessen eindrückliche Filmwelten über die handwerkliche Kunstfertigkeit errichtet werden – ein Kino der Überwältigung, das sich über den direkten auditiven Sinneseindruck entfaltet, er ist kein Regisseur, dessen Filme sich primär über den Intellekt erschließen würden. Das meint nicht, dass Villeneuve nicht an anspruchsvollen Themenfeldern interessiert ist, schon gar nicht, dass seine Werke keine inhaltlichen Motive und thematische Konstanz ausprägen würden: Themen wie Identität, Doppelung und Verwechslung strukturieren Filme wie „Incendies“, „Enemy“ und „Blade Runner 2049“. Ferner bieten seine Filme spannende Anregungen in Bezug auf Fragen der schicksalhaften Determination in „Prisoners“, „Arrival“ und „Dune“.

All diese Filme haben letztlich eines gemeinsam: Zuvorderst erschließt sich einem der Autorenstatus Villeneuves sehr intuitiv über die überwältigende Ästhetik – noch bevor stoffliche Aspekte, wie Themenkomplexe und Motivik sich ins Zentrum der Wahrnehmung schieben könnten. Da gibt es die Bildebene, die visuellen Schauwerte, das aufwendige Produktionsdesign für fremde Welten, dann das innovative Sounddesign, bass-lastig, ohrenbetäubend laut. Dass Villeneuve in dieser Hinsicht kaum umstritten ist, verwundert dann aber mehr. Dies sind freilich keine Einwände gegen die Qualität seines Schaffens, vielmehr sind es Ansätze zum besseren Verständnis heutiger Vermarktungsstrategien Hollywoods. Und damit haben wir vielleicht wirklich einen grundlegenderen Punkt getroffen: Am Beispiel Villeneuves zeigt sich, dass sich in Hollywood ein Kreis schließt. Im kinematografischen Zeitalter der digitalen Abbildungen und Franchisebildungen ist aus der Vorstellung eines Filmautors als visionärer Künstler im Gegensatz und in Abgrenzung zu einem „technisch begabten Handwerker“ nun wieder zuvorderst ein Handwerker geworden, dem ein Mindestmaß an „vision du monde“ genügt.


„Dune: Part One“ wird aktuell wieder im Kinepolis Kirchberg und Belval gezeigt. „Dune: Part Two“ erscheint am Mittwoch, 28. Februar, in den Kinos.