SerieHistorisches und architektonisches Esch (3): Das Faubourg und seine bemerkenswerten Bauten

Serie / Historisches und architektonisches Esch (3): Das Faubourg und seine bemerkenswerten Bauten
Das Haus 18 bleibt der ländlichen Architektur des 18. Jh. verpflichtet. Man bemerke die zu winzigen Fenstern umgestalteten Belüftungsluken unter dem Dachgesims.  Foto: © Christof Weber, 2019

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Das Faubourg liegt abseits des städtischen Trubels von Esch. Sein Name ist Geschichte, beschreibt es doch ein erstes räumliches Ausbrechen der Ortschaft aus ihrem ursprünglichen Perimeter. Dies als Antwort auf das Bevölkerungswachstum, das am Ende des 18. Jh., demnach bereits vor der Industrialisierung, einsetzte. Heute markieren zeitgenössische Bauwerke den Ein- und Ausgang des Faubourg. Sie haben Vorgängerbauten abgelöst. Trotzdem bietet die Straße noch einige architekturgeschichtliche Highlights, von denen sogar zwei auf der nationalen Liste der schützenswerten Bauten stehen (die Hausnummern 19 und 20).

Das Faubourg war nicht immer eine Oase der Ruhe. Der heutige Wohncharakter der Straße kaschiert deren frühere Geschäftigkeit. Bis in die 1950er Jahre wohnte man nämlich nicht nur in dem Stadtviertel, sondern übte dort auch eine Vielzahl von Berufen aus. So fertigte Frau Schleres-Cremers auf Hausnummer 3 Damenmäntel (1927). Auf Nummer 1 empfing Jean Merten die Kundschaft des Großkaufhauses „Aux classes laborieuses“ (1925). Der Buchbinder Jean Niemeyer arbeitete auf Nummer 7 (1907). Die Schmiede von Jean Kinnen belegte bis in die 1940er Jahre die Häuser 8 bis 10. Auf Nummer 9 arbeiteten nacheinander der Kunstschreiner Nic Gillen (1913), ein Rollladenfabrikant (1915) sowie ein Seifensieder (1917).

Abgelöst wurden sie von Frau Christ-Schwarz, die mit Erfolg Herrenhemden nähte (1919). Der Schlosser Pierre Majerus wirkte im Haus Nummer 13 (1924), während die Modistin Triny Wodny auf Nummer 22 Hüte kreierte (1932). Die Nummer 25 beherbergte das Atelier des Holzdrehers Franz Gebele, der Kegelbahnen produzierte (1929), während sich der Möbelschreiner Tompers auf 28 betätigte (1925). An gleicher Adresse kleidete der Schneider Willy Spielmann die Herren ein (1925), während schräg gegenüber, an Hausnummer 29, die Asselborn-Schwestern den Damen die gleichen Dienste anboten (1923). Auch die Landwirtschaft war vertreten. Paul Stoltz unterhielt Ställe im Faubourg und ließ bis in die 1930er Jahre regelmäßig Vieh vor Ort versteigern. Zur Ruhe kam das Viertel demnach früher wohl selten.

Das Faubourg hält weitere Überraschungen parat. So zeugt das verbliebene architektonische Erbe von einer eher unüblichen gesellschaftlichen Mixität. Hier findet sich eine stattliche Industriellenvilla in direkter Nachbarschaft zu bescheidenen Tagelöhnerwohnungen. Daneben bietet die Straße auf beschränktem Raum eine reiche Palette an Baustilen. Neben Gebäuden, die an die ländliche oder städtische Architektur des 18 Jh. anknüpfen, findet man auch solche, die zum Historismus oder Jugendstil tendieren.

Das dreigeschossige Haus Nummer 7 erinnert mit seiner ausladenden Freitreppe an eine gehobene Stadtwohnung des 18. Jh. Es wurde seit seiner Entstehung – wohl um 1870 – von der Familie Müller-Schmit bewohnt. Hier erblickte der Tausendsassa Jack Müller 1881 das Licht der Welt. Der vielfach begabte Escher lebte abwechselnd in seiner Heimatstadt und in den Vereinigten Staaten. Er verdiente sich sein Einkommen als Grubenbesitzer, Unternehmer, Luftfahrtpionier und Kirchenmaler. Als sogenannter „propriétaire“ (Eigentümer im Hauptberuf) lebte Müllers Vater vom Ertrag seines Besitzes. Die Müllers vermieteten Teile ihres großen Hauses und dessen Nebengebäude an verschiedene Handwerker. Das Nachbarhaus, Nummer 9, mit seinen barockisierenden Fensterstürzen und Balustraden gehörte ihnen ebenfalls.

Die Nummer 18, ein zweistöckiges Gebäude, das heute den städtischen Sportdienst beherbergt, erinnert mit seinen Belüftungsluken unter dem Dachgesims an ein Landhaus des ausgehenden Ancien Régime. Es wurde von der Familie des 1937 verstorbenen Grubenchefs Jules Meder bewohnt. In diesem Haus fand der kommunistische Kämpfer und spätere Bürgermeister der Stadt Esch Arthur Useldinger (1904-1978) im Zweiten Weltkrieg Zuflucht vor den Nazi-Häschern.

Die herrschaftliche Villa auf Nummer 20 würde man eher in einem der gehobenen Wohnviertel der Hauptstadt vermuten. Mit ihrem quadratischen Grundriss, dem flachen Dach und dem Eingang über einen Seitenanbau erinnert sie an die Villa Vauban (1873), in der heute die Kunstsammlung der Stadt Luxemburg untergebracht ist. Gebaut wurde das stattliche Haus für den Industriellen Henri Schuler, der einen Großhandel mit Grubenzubehör, Kohlen und Mineralölprodukten betrieb. Es wurde später unter der Bezeichnung Villa Ettinger bekannt, weil es über viele Jahre von Simone Dondelinger, der Enkeltochter des Unternehmers, und ihrem Ehegatten Franz Ettinger bewohnt wurde. Vorübergehend wurde das Wohnhaus auch für andere Zwecke genutzt. So diente es 1934 als Klassenraum für die Septima des benachbarten Mädchenlyzeums und beherbergte in den 1980er Jahren für kurze Zeit ein Lokalmuseum.

Das Haus Nummer 19 reiht sich in eine Zeile von gehobenen Einfamilienhäusern ein. Im Kontrast zu seinen historisierenden Nachbargebäuden entspricht sein geschwungenes Dekor dem Jugendstil. Laut einem Verkaufsangebot von 1921 war das Haus mit jeglichem damals angesagten Komfort ausgestattet (WC auf allen Etagen, Bad …). Das Gebäude blieb stets im Besitz der Familie Weinand. Sie war neben den Müllers die zweite traditionelle Dynastie von „Eigentümern im Hauptberuf“ des Faubourg. Beide Familien standen in enger Verbindung. So kaufte 1914 Jean-Baptiste Weinand-Müller, auch Besitzer des bestbekannten Wirtshauses „An der Chapelle“, das Geburtshaus von Jack Müller, während Nicolas Müller-Weinand 1921 die Häuser 17 und 19, die er von einer Schwägerin Weinand geerbt hatte, veräußerte.

Die Serie

Von April bis Juli 2020 lädt das Tageblatt seine Leser zu einem Spaziergang durch die Geschichte einer außergewöhnlichen Stadt ein: Esch/Alzette, Hauptstadt des luxemburgischen Erzbeckens. Als Vorschau auf die Veröffentlichung des „Guide historique et architectural Esch-sur-Alzette“ im Juli 2020 stellt das Tageblatt jeden Tag eines der rund 150 für das Buch ausgewählten Gebäude vor. Georges Büchler, Jean Goedert, Antoinette Lorang, Antoinette Reuter und Denis Scuto sind die Autoren. Die Fotos stammen von Christof Weber. Der Stadtführer wird vom Luxembourg Centre for Contemporary History (C2DH) und der Gemeinde Esch herausgegeben und vom Verlag capybarabooks veröffentlicht. Die Texte und Fotos stellen nicht nur die verschiedenen Architekturstile vor, sondern gehen auch auf den historischen Kontext der Wohn- und Geschäftshäuser, Verwaltungs-, Industrie-, Sakral- und Kulturbauten ein. Die Herangehensweise ist chronologisch: Gezeigt werden Gebäude aus dem 18. Jahrhundert bis heute, vom Turm des Berwart-Schlosses zur Cité des Sciences, von Al Esch zu den Nonnewisen, vom Friedhof Sankt Joseph zum Café Pitcher. Der Führer beschreibt die Entwicklung der Stadt Esch und seines Kulturerbes nicht nur aus der Perspektive der Kunst-, Architektur- und Urbanismusgeschichte, sondern auch aus jener der Sozial- und Industriegeschichte.

de Prolet
14. April 2020 - 18.46

Von wegen alte Bausubstanz gehört abgerissen. Dieses herrliche Patrizierhaus , ein Stück alt Esch, muss unbedingt der Nachwelt erhalten bleiben. Wenn Steine reden könnten!