Die Banken im SturmHeute vor 15 Jahren erreichte die Finanzkrise das Großherzogtum

Die Banken im Sturm / Heute vor 15 Jahren erreichte die Finanzkrise das Großherzogtum
Vor genau 15 Jahren, am Freitag, 26. September 2008, spitzt sich die Lage zu. Von allen Seiten stieg der Druck auf die Fortis-Gruppe. Ein Wochenende hatten die belgische, luxemburgische und niederländische Regierung nun Zeit, um eine Lösung zu finden.  Foto: Editpress-Archiv

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Heute vor genau 15 Jahren passierte das Unvorstellbare. Es war Freitag, 26. September 2008. Luxemburger Kunden rannten zu ihrer Bankfiliale. Sie hatten Angst um ihre Ersparnisse. Sie wollten ihr Geld abheben und in Sicherheit bringen. Die ein Jahr zuvor in den USA ausgebrochene Finanzkrise schlug mit voller Wucht im Großherzogtum ein.

„Ich hatte wirklich große Angst, dass es zu einem Run auf die Konten kommen könnte – und das gleich bei mehreren Banken“, so Jean-Jacques Rommes vor einigen Jahren im Rahmen eines Rückblicks auf 2008. Er war damals Direktor der Bankenvereinigung ABBL. „Die Mehrheit der Banker in Luxemburg erwartete damals, dass es im Finanzsystem zur Kernschmelze kommen würde“, sagte er gegenüber dem Tageblatt.

Weltweit war das Vertrauen in den Finanzsektor damals an einem Nullpunkt angekommen. In den Wochen und Monaten zuvor hatte man in den Medien spektakuläre Fotos von Menschenschlangen vor Banken gesehen. Das alles hatte ein Klima am Rande der Panik erzeugt. Im Fokus der Nervosität in Luxemburg stand an dem Freitag vor 15 Jahren die BGL (damals: Fortis Luxembourg). Sie war seit dem Jahr 2000 Teil der Fortis-Gruppe.

Nur ein Jahr zuvor, als das Gewitter in den USA bereits begonnen hatte, herrschte bei Fortis noch großer Optimismus. Man wollte zu den Größten zählen. Ende 2007 lieferte man sich gemeinsam mit Royal Bank of Scotland und Banco Santander einen Bieterkampf, um die niederländische Großbank ABN Amro zu kaufen. Gemeinsam wollte man rund 71 Milliarden Euro auf den Tisch legen, um das Traditionshaus zu erwerben und unter sich aufzuteilen.

Ohne Krise hätte es klappen können. Doch in den USA war, nach Jahren des Booms, der Immobilienmarkt in eine Notlage gerutscht. Wegen der Rezession konnten viele Hauskäufer ihre Kredite nicht mehr bedienen – während die Immobilien gleichzeitig an Wert verloren. Diese Immobilienkredite waren in sogenannten Subprime-Anleihen gebündelt und in die halbe Welt verkauft worden – mit ernsthaften Folgen für die Märkte. Die Papiere waren plötzlich wertlos. Niemand wollte sie mehr kaufen. Wer noch welche besaß, hatte Pech und musste sie abschreiben.

Von der Krise getroffen

Fortis wurde von der Krise gleich mehrmals getroffen. So sprudelten die Gewinne nicht mehr wie gewohnt, während sich Verluste in Höhe von mehreren Milliarden aus dem Subprime-Bereich ansammelten. Es wurde immer schwieriger und teurer, sich mit dem täglich notwendigen liquiden Geld an den Märkten zu versorgen.

Am 15. September rutschte dann die US-Investmentbank Lehman Brothers in die Pleite. Und zum Schock vieler Banker entschied sich die US-Regierung gegen eine Rettung. Diese Entscheidung entfachte aber die Krise. Ohne den Staat als möglichen Retter war das Vertrauen in die Finanzbranche komplett hin. Es brach Panik aus. Man fragt sich: Wer wird der Nächste sein? Die Aktienkurse der Kreditinstitute (auch von Fortis und Dexia) fielen immer tiefer. Der Interbankenmarkt trocknete ganz aus. Keine Bank wollte einer anderen mehr Geld leihen. Die Angst vor einer Ansteckungsgefahr ging um.

Doch gerade in dem Moment brauchte Fortis Geld. Keine zwei Wochen später standen dann auch am Finanzplatz Luxemburg Menschen vor Bankfilialen Schlange, weil sie Angst um ihre Ersparnisse hatten. Noch viel höhere Summen zogen derweil institutionelle Kunden (Firmen, Organisationen, Professionelle) von Fortis ab.

Für das Management der Bank sowie für die Aufsichtsbehörden und für die Politik war klar: Es muss etwas geschehen. Ohne Unterstützung von außerhalb würde Fortis den kommenden Montag nicht überleben. Tausende Jobs, Milliarden Sparguthaben und selbst das Funktionieren der Wirtschaft standen auf der Kippe. Den Regierungen Luxemburgs, Belgiens und der Niederlande blieb ein Wochenende, um die Katastrophe abzuwenden. Bevor die Schalterbanken am Montag ihre Tore wieder öffneten.

Verhandlungsmarathon am Wochenende

Ein Verhandlungsmarathon begann. Bis Sonntagabend hatten sich die drei Länder dann mit der Fortis-Gruppe auf ein Abkommen geeinigt. Das Resultat: Das Kapital der nationalen Fortis-Banken sollte aufgestockt werden. Insgesamt 11,2 Milliarden an neuem Kapital sollten die Filialen der Gruppe von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden erhalten. Dafür bekam jedes Land 49,9 Prozent der Anteile an „ihrer“ Fortis-Bank. In Luxemburg musste die Bank zudem ihre Aktienanteile an Paul Wurth und Bourse de Luxembourg für den symbolischen Euro an den Staat abtreten.

Doch die Krise war noch nicht vorbei. Zum Erschrecken aller Beteiligten hatte der Markt die Hilfen nicht so wahrgenommen wie geplant – sie wurden gar als Bestätigung von negativen Szenarien gewertet. Eine zweite Rettungsaktion war unumgänglich.

Im Laufe des Sonntagabends war derweil noch ein anderer Telefonanruf in die Verhandlungen mit Fortis geplatzt. Die Behörden in Belgien und Luxemburg mussten nun erst einmal die Dexia retten, ehe sie sich wieder der Fortis widmen konnten. Seit der Pleite von Lehman Brothers hatte auch die Dexia-Gruppe den Druck der Finanzmärkte gespürt. Das Institut hatte langfristige Kredite vergeben, sich das dafür notwendige Kapital aber immer nur für kurze Zeitspannen an den Märkten besorgt. Der Zinsunterschied ermöglichte es Dexia so, jahrelang eine gute Marge zu verdienen. Nun jedoch wurde es – falls überhaupt noch jemand Geld anbot – immer teurer für Dexia, sich auf den Märkten zu finanzieren. Dexia brauchte dringendst eine Kapitalerhöhung.

In der Nacht von Montag auf Dienstag (30. September 2008) einigten sich die Vertreter Belgiens, Frankreichs und Luxemburgs – wieder in Brüssel – auf eine staatliche Geldspritze für die Dexia-Gruppe. Doch sollte es auch ihr in dieser Woche nicht besser ergehen als der Fortis. An den Märkten wollte das Vertrauen nicht zurückkehren. Eine neue Rettung wurde erforderlich. In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober einigte man sich schließlich auf eine Garantie in Höhe von 150 Milliarden Euro für die Dexia-Gruppe.

Von 20.000 auf 100.000 Euro

Am Wochenende dazwischen (3. bis 5. Oktober) war für den Fall Fortis in Brüssel und parallel auch in Luxemburg mit BNP Paribas verhandelt worden. Als Resultat wurde die französische Großbank Mehrheitseigentümer von Fortis in Belgien und Belgien zum größten Aktionär der BNP Paribas. Auf Kirchberg einigte man sich so: Von den 49 Prozent, die Luxemburg an der BGL hielt, verkaufte es 16 Prozent an die BNP Paribas. Dafür erhielt der Staat ein Prozent der Aktien der BNP-Gruppe. Die restlichen 33 Prozent der BGL-Anteile behielt der Staat. Die andere Hälfte plus eine Aktie gehörte weiterhin der damaligen Fortis-Bank in Belgien. Aus Fortis Luxembourg wurde somit BGL BNP Paribas.

Praktisch zeitgleich mit den jeweils doppelten „Rettungen“ von Fortis und Dexia brach in Island das Finanzsystem des Landes komplett zusammen. Drei Banken (Glitnir, Landsbanki und Kaupthing) aus dem nordeuropäischen Land waren damals in Luxemburg vertreten – heute keine mehr. Die Einlagensicherungsgarantie musste mit rund 300 Millionen Euro einspringen, um Kunden zu entschädigen. Kurz darauf wurde die von der Einlagensicherung garantierte Mindestsumme von 20.000 auf 100.000 Euro verfünffacht.

Lange sollte auch die BIL nicht mehr zur Dexia gehören. Im Oktober 2011 wurde Dexia erneut zum Opfer einer Krise, diesmal der europäischen Schuldenkrise. Die Finanzgruppe musste wieder gerettet werden. Diesmal erhielt Luxemburg die Gelegenheit, die BIL aus der maroden Gruppe herauszukaufen. Im Gegenzug boten die drei Staaten der französischen Dexia Crédit Local (Teil der Dexia-Gruppe) eine neue Garantie an. Die BIL wurde von der Gesellschaft Precision Capital gekauft, die auch bereits die Privatbank KBL, ehemalige Luxemburger Tochter der belgischen Finanzgruppe KBC, übernommen hatte.

Dass sich die Rettungen der beiden großen Banken des Landes gelohnt haben, ist aus heutiger Sicht klar. Zwar konnte auch Luxemburg den konjunkturellen Folgen der Finanzkrise in den Folgejahren nicht entkommen. Im Jahr 2010 ging es dann jedoch wieder aufwärts. Hätten die Rettungen nicht stattgefunden, dann wären innerhalb einer Woche zwei der wichtigsten Banken des Landes das Geld ausgegangen. Rund 4.000 Beschäftigte hätten um ihre Jobs fürchten müssen. Wer mehr als 20.000 Euro auf dem Sparbuch hatte, hätte um sein Erspartes bangen müssen.