Sonntag21. Dezember 2025

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Forum von Guy RewenigHerr Frieden geht spazieren. Oder: Der Regierungschef verschwindet in der Natur.

Forum von Guy Rewenig / Herr Frieden geht spazieren. Oder: Der Regierungschef verschwindet in der Natur.
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Ein Journalist fragte: Was tun Sie am 28. Juni, dem Tag der gewerkschaftlichen Großdemo, Herr Frieden? Wie hat der Premier geantwortet? Sagte er: Ich bin zwar nicht vor Ort, werde mich aber auf dem Laufenden halten? Oder: Ich beobachte das Geschehen, bilde mir meine Meinung und analysiere das Ausmaß der aktuellen Konflikte, wie es sich für einen verantwortungsbewussten Staatslenker gehört? Nein, der Regierungschef konterte kurz und bündig: „Es ist ein Samstag und es ist gut möglich, dass ich an dem Tag spazieren gehe, denn ich bin ein großer Naturliebhaber“ (cf. Wort, 14.06.25).

Selbst wenn er Gewerkschaften nicht mag und lieber als Arbeitgebermaskottchen glänzt, ist Herr Frieden als Kopf der Firma Luxemburg immer noch für all seine Landsleute zuständig. Doch er gibt den Gewerkschaften zu verstehen: Ich bin nicht da. Ich verkrümele mich. Ich stehe nicht zur Verfügung. Ich mache mich nicht mit dem Pöbel gemein. Ich bin zu Höherem berufen. Eure Sorgen lassen mich kalt. Dass er ausgerechnet die breite Mehrheit der arbeitenden Menschen vor den Kopf stößt, also jene, die den Wohlstand überhaupt erst schaffen, ist nicht nur höchst provokant und verächtlich. Herr Frieden sagt damit insgeheim auch: In diesem armseligen Land wird meine überragende Intelligenz nicht anerkannt. Ich habe 2013 schon einmal mit meiner Parlamentsflucht demonstriert, was ich von den Institutionen dieses schäbigen Staates halte, der mich per Wählerentscheid abstrafte. Mein Warnschuss wurde nicht honoriert. Luxemburg kann mir leider nicht das Wasser reichen. Heilige Deutsche Bank, wo bist du? Elo gëtt mol an der Natur gemotzt.

„Kein Freund der Straße“

„Ich bin kein Freund der Straße“, schreibt der CEO den Gewerkschaften ins Stammbuch. Die Straße, jenes konfuse Terrain des gemeinen Volkes, ist ihm ein Gräuel. Auf der Straße paradieren die Stänkerer und Schreihälse, die Aufmüpfigen und Demokratiebesessenen, die dem CEO immer nur dreinreden, statt seiner monumentalen Weisheit zu vertrauen. Spruchbänder, Parolen, Megaphone und Brandreden treiben Herrn Frieden zur Weißglut. Er ist kein Mann des biederen Volkes, sondern ein Auserwählter, ein Alleingänger mit königlichen Allüren. Seine Heimat ist nicht die gewöhnliche Straße, sondern der pompöse Finanzboulevard. Die Enklave der Elite, wo nur Geldschränke in Menschengestalt verkehren, unbeeindruckt von gewerkschaftlichen Animositäten. Der CEO liebäugelt offen mit Autokraten. Eine seiner ersten Amtshandlungen führte ihn nach Budapest, wo er Herrn Orban, dem Totengräber der EU, die Füße küsste. US-Vizepräsidenten Vance hieß er herzlich willkommen in Europa, kurz bevor Trumps aggressiver Sekundant Europa zur Schnecke machte, weil hier angeblich die Freiheiten der Rechtsextremen bedroht sind. Hat der CEO seine fatalen Seilschaften bereut? Nein, nein, er macht keine Fehler. Er hat immer recht. Neulich verkündete er: „Luxemburg wird die neuen NATO-Ziele mittragen.“ Luxemburg? Bringt er hier den Volkswillen zum Ausdruck? Hat er die Luxemburger um ihre Ansicht gebeten? Wir sehen das wohl zu eng. Herr Frieden ist Luxemburg. Ganz allein. Ganz souverän. Die Straße soll bitte schweigen.

Übrigens ist Herr Frieden, ganz in der Rolle des Alleinherrschers, um keinen Widerspruch verlegen. Er betont: „Unsere Hand ist für den Sozialdialog immer ausgestreckt und das wird auch so bleiben“. Wie muss man sich das vorstellen? Läuft er am 28. Juni mit ausgestreckter Hand durch den Wald und führt den Sozialdialog mit Käfern, Hasen, Rehen und Eichhörnchen? Man weiß ja, wie sehr auch das Tierreich und überhaupt die Natur unter der fahrlässigen Umweltpolitik der Regierung Frieden leiden. Am Ende des Tages wird der CEO vor lauter Handausstrecken einen steifen Arm haben. Und das Wild im Wald wird dennoch nicht zufrieden sein. Undank ist der Welt Lohn. Verfluchte tierische Gewerkschaftsfront!

Erhabene Einsamkeit

Im Ernst: Was treibt Herr Frieden eigentlich mutterseelenallein in der Natur, während die Gewerkschaften auf der Straße den Staat zur Rechenschaft ziehen? Er könnte sich doch eine friedliche Promenade in seinem Wohnort Contern leisten und die „Place Luc Frieden“ ansteuern, seine offizielle Freiluftresidenz. Dort dürfte er in erhabener Einsamkeit seine verschmähte Einmaligkeit ausstellen. Ist dieser Zufluchtsort etwa unter seinem CEO-Niveau? In der Tat: Was hat seine christliche Parteifreundin, die Bürgermeisterin von Contern, ihm da angedreht? Huet déi et net zoufälleg fauschtdéck hannert den Oueren? Wie kann sie es wagen, dem großen Conducator ausgerechnet einen der hässlichsten Plätze landesweit zu widmen? Die „Place Luc Frieden“ ist so ausstrahlungsarm wie ihr Namensgeber. Der CEO müsste in einem ganz anderen, weitaus würdigeren Dekor thronen. Zum Beispiel auf dem Glacis-Feld in der Hauptstadt, das man aus Gründen der Staatsräson zum „Platz des himmlischen Friedens“ umtaufen könnte. Natürlich müsste die elende Blechlawine weichen, die täglich das weite Areal überschwemmt. Ein politisches Edelgewächs wie Herr Frieden wird sich nie dazu herablassen, inmitten von Hunderten geparkter Autos aufzutreten. Das wäre wider seine Natur. Obwohl er behauptet: „Ich bin ein begeisterter Autofahrer.“ Huch! Er ist also doch auf der Straße aktiv. Begeisterter Autofahrer und großer Naturliebhaber? Wie passt das zusammen? Auf ein Paradox mehr oder weniger kommt es beim CEO wirklich nicht mehr an.

Der naturvernarrte CEO sollte lieber im Wald bleiben und sich eine Alternative überlegen. Vielleicht stößt er im Gebüsch ja auf einen Jägerhochsitz, das ideale Podest für einen selbstherrlichen Regierungschef seines Formats. Von oben herab könnte er kopfschüttelnd verfolgen, was auf dem Waldboden alles undiszipliniert kreucht und fleucht. Nicht auszudenken, wenn sich in seinem geliebten Wald plötzlich ein paar Bettler herumtreiben sollten. Platzverweis renforcé! Höchste Zeit, die christlich-martialischen Gloden-Brigaden herbeizupfeifen! Seine unberührte Natur lässt sich der große Naturliebhaber nicht vermiesen. Seine Hand ist immer ausgestreckt. Für den Befehl zum Durchgreifen.

Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Mir fällt ein Stein vom Herzen und zertrümmert meinen dicken Zeh. Miniaturen“.
Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Mir fällt ein Stein vom Herzen und zertrümmert meinen dicken Zeh. Miniaturen“.  
Dunord Hagar
21. Juni 2025 - 8.08

Was haben Bausch und Frieden gemeinsam... 2 Floskeln

"Mir mussen mol kucken..."

"Ech sin bereet fir all Dialog"

Guy Mathey
20. Juni 2025 - 14.30

Toller Kommentar, vielen Dank!

Josh
20. Juni 2025 - 10.57

Und wieder ein lustiger leider der Wahrheit entsprechender Kommentar.
Nosferato ging nur bei Dunkelheit Blut saugen ....

Hottua Robert
20. Juni 2025 - 10.22

Herr FRIEDEN kommt aus der BECH-Tradition. Zwei Auszüge aus dem Buch von Herrn Emile KRIER: "Deutsche Kultur- und Volkstumspolitik von 1933-1940 in Luxemburg" (Seite 69) (…) Die sozialistische Arbeiterpartei war mit dem vorläufigen Ergebnis der Debatte nicht zufrieden. Zusammen mit den Gewerkschaftsverbänden veranstaltete sie am 12.11.1933 eine Demonstration in Luxemburg-Stadt, an der circa 2.500 Personen teilnahmen. Die Demonstration richtete sich gegen die "faschistischen Umtriebe" im Großherzogtum und die "wohlwollende Unterstützung" die diese durch den Staatsminister (BECH) erfahren würden. Im Demonstrationszuge wurden zwei Bilder mitgeführt. Auf dem einen war ein blutiges Hakenkreuz mit HITLERbild abgebildet und auf dem anderen ein Faschistenbeil mit einer Fratze MUSSOLINIs. Die luxemburgische Polizei wollte gegen die Aufstellung dieser Bilder einschreiten, doch konnte sie sich nicht durchsetzen, und nach einem Handgemenge wurden die Bilder von den Demonstranten verbrannt. Nach diesem Zwischenfall nahm der deutsche Gesandte Rücksprache mit dem italienischen Gesandten, um ihr Verhalten in dieser Angelegenheit aufeinanderabzustimmen. Der Italiener erklärte, er beabsichtige keine Vorstellungen beim luxemburgischen Staatsminister zu erheben, da die Polizei ihr Möglichstes getan habe, um die Aufstellung der Bilder zu verhindern, und da er annahm, der Staatsminister werde ihm bei der nächsten Zusammenkunft sein Bedauern über diesen Vorfall aussprechen, hielt der deutsche Gesandte sich auch ermächtigt, von Vorstellungen abzusehen. Das Auswärtige Amt schloß sich der Ansicht des Gesandten an, von einer Démarche abzusehen, doch betonte es ausdrücklich die Unabhängigkeit dieser deutschen Entscheidung von dem italienischen Verhalten, da es für das Reich "egal ist was Italien tut." (…) (Seite 103) (…) Der deutsche Gesandte ging in diesem Bericht auch näher auf das Schreiben der AO (Auslandsorganisation der NSDAP) ein. Zu der von Gauleiter BOHLE dort angeschnittenen Frage der Einführung von Identitätskarten für Ausländer schrieb er, daß für die "naheliegende Vermutung", diese richte sich ''besonders" gegen die Reichsdeutschen,"die bisherige Praxis der Regierung keinen Beweis liefert", daß diese Maßnahme vielmehr aus der "Besorgnis der Regierung vor einer Überfremdung und aus ihrem Bemühen diese Gefahr durch gesetzliche Maßnahmen zu bekämpfen" zu erklären sei. Die luxemburgische Regierung versuche durch diese Abwehrmaßnahmen auch, wie Luxemburger Kreise immer wieder betonen würden, "den zunehmenden und der luxemburgischen Regierung höchst unerwünschten Zustrom von Emigranten und namentlich von Juden (…), die in letzter Zeit in immer größerer Zahl Luxemburg als bevorzugtes Asyl wählen", zu drosseln. Der Gesandte versicherte, sein italienischer Kollege in Luxemburg führe die Luxemburger Fremdenpolitik auf dieselben Motive zurück. (…) MfG, Robert Hottua

Pierrard Romain
20. Juni 2025 - 8.48

Es ist immer wieder ein Genuss Ihre Kommentare zu lesen, Herr Rewenig