Heidi Reichinnek hat sich in einen Sessel gesetzt und ein Buch aufgeschlagen. „Die Gute-Nacht-Geschichte heute wird eine Märchenstunde“, sagt sie in die Kamera. „Wir lesen: König Fritze und seine Lügen zum Bürgergeld. Ein Märchen aus Absurdistan.“ Hinter Reichinnek stehen eine Pflanze, ein Bücherregal und eine angeknipste Stehlampe. Die Geschichte, betont Reichinnek, beruhe sogar auf einer wahren Begebenheit.
In der Erzählung geht es um König Fritze, der die Reichen im Schlossturm verschont und stattdessen ein Sparprogramm für die Armen auflegt. Eingestreut in das Video werden thematisch passende Zeitungsschlagzeilen und KI-generierte Bilder von Friedrich Merz als mittelalterlicher Herrscher. Mehr als drei Minuten geht der Beitrag, den man getrost als kreativ und linkspopulistisch bezeichnen darf. Aber er verfängt: Bei Tiktok kommt das Video auf mehr als 280.000 Aufrufe, bei Instagram sind es sogar mehr als 900.000.
Heidi Reichinneks Märchenstunde ist nur ein Beispiel dafür, wie geschickt die Linke ihre politischen Botschaften mittlerweile über die sozialen Medien verbreitet. Längst macht sich der digitale Erfolg auch in Wahlergebnissen bemerkbar: Nach einer langen Durststrecke schaffte die Linke bei der Bundestagswahl im Februar ein starkes Ergebnis von 8,8 Prozent. Bei den 18- bis 24-Jährigen wurde sie mit rund 25 Prozent sogar stärkste Partei. Dass das Comeback gelang, dürfte auch an der erfolgreichen Social-Media-Strategie liegen.
Wie bei jeder Kommunikation ist es wichtig, authentisch zu sein und auf Augenhöhe mit den Menschen zu reden
Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje beschäftigt sich seit längerem mit den Social-Media-Auftritten deutscher Parteien. Er sagt: „Heidi Reichinnek ist der Tiktok-Star der Linken. Ohne sie wäre der Erfolg der Linken nicht denkbar.“ Reichinnek und ihr Team hätten sowohl der Partei als auch einigen Parteikollegen beim Aufbau von Tiktok-Kanälen geholfen. Auch andere Linken-Politikerinnen wie Caren Lay seien auf der Plattform aber erfolgreich, sagt Hillje.
Reichinnek selbst glaubt, dass gute Social-Media-Arbeit nur dann funktioniere, „wenn man auch gute Inhalte zu präsentieren hat“. Dabei sei es aus ihrer Sicht „völlig legitim, scharfe Kritik zu üben“. Allerdings müsse man auch konkrete Lösungen anbieten. „Wie bei jeder Kommunikation ist es wichtig, authentisch zu sein und auf Augenhöhe mit den Menschen zu reden“, sagt Reichinnek dem Tageblatt.
Parlamentsrede für die Follower
Neben eigens für Tiktok produzierten Videos verwertet die Linke auch Talkshow-Auftritte und Bundestagsreden. „Der Linken gelingt der Transfer ihrer Reden vom Parlament auf die Plattform. Es ist kaum vorstellbar, dass Heidi Reichinnek nicht auch an ihre Tiktok-Community denkt, wenn sie eine Rede für den Bundestag schreibt“, glaubt Politikberater Hillje. Schlecht müsse das nicht sein. „Die Zielgruppe einer Parlamentsrede über den Plenarsaal hinauszudenken, kann durchaus demokratieförderlich sein“, sagt er.
Dabei hat die Aufholjagd der Linken bei Tiktok erst vor kurzem an Fahrt aufgenommen. Noch vor knapp zwei Jahren war es die AfD, die die Plattform mit ihren Inhalten dominierte. Die Rechten haben Tiktok damals „als erste Partei systematisch und strategisch bespielt“, so Hillje. Anfang 2024 lag die AfD bei Tiktok noch meilenweit vorne; Hillje befürchtete gar, dass aus der Generation Tiktok die Generation AfD werden könnte. „Die Stärke der AfD auf Tiktok besteht weiterhin, aber ihre Hegemonie ist gebrochen“, konstatiert der Politikberater heute. „Linke und AfD dominieren derzeit gemeinsam den Parteienwettbewerb auf Tiktok.“ Zahlen belegen das.
Im vergangenen Bundestagswahlkampf hat Hillje die durchschnittlichen Videoaufrufe der Parteien auf Tiktok näher untersucht. Aus seiner Analyse geht hervor, dass die AfD weiterhin auf Rang eins liegt. Dahinter kommt mit nicht allzu viel Abstand aber schon die Linke. Allerdings, schränkt Hillje ein, sei die Lage bei den Politikerprofilen nicht so eindeutig. Im Bundestagswahlkampf hätten auch Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP) bei Tiktok gepunktet.
Soziale Medien mitentscheidend bei Wahlen
Dennoch: Insgesamt ist die AfD auf der Plattform weiterhin Spitzenreiter. Während die Linke knapp 410.000 Follower bei Tiktok vereint, schafft die AfD sogar fast 660.000. CDU und SPD folgen mit weitem Abstand. Parteien an den politischen Rändern haben in der Logik sozialer Netzwerke aber auch einen strukturellen Vorteil: Polarisierende Inhalte, Hetze oder steile Forderungen berühren Nutzer stärker als nüchterne Beiträge, die Algorithmen der Plattform belohnen das.
Entscheidend könnte das im kommenden Jahr bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt werden. Der AfD-Spitzenkandidat Ulrich Siegmund zählt bei Tiktok mehr als 570.000 Follower. Eine Landtagsrede von ihm zu Ausländergewalt wurde mehr als eine halbe Million Mal angeschaut. Dass eine Wahlumfrage die AfD in Sachsen-Anhalt zuletzt bei 39 Prozent und damit auf Platz eins sah, hängt wohl auch mit Siegmunds Popularität in den sozialen Medien zusammen. Wie stark der AfD-Politiker 2026 abschneiden wird, dürfte also auch bei Tiktok entschieden werden.
Hillje sieht das ähnlich. „Bei der Bundestagswahl war die Linke unter jungen Frauen die stärkste Kraft, die AfD unter jungen Männern“, sagt er. Diese Polarisierung der Jugend zeige sich in vielen westlichen Demokratien. Tiktok, Instagram und Co. seien zwar nicht die alleinige Erklärung für das Auseinanderdriften des Wahlverhaltens junger Menschen, betont der Experte. Aber auf jeden Fall „ein Faktor“.
"Unsoziale" Medien wie Tiktok & Co verblöden unsere Jugend und auch die Alten und der Funke ist jetzt auf die Politik,die das eigentlich verhindern sollte,übergesprungen. Für Stimmen sind alle Mittel recht und was Propaganda ausmacht war schon Goebbels(Josef,nicht Robert) bekannt. "Rote Lippe" hat das verstanden. Die AfD schon lange.