3. Dezember 2025 - 15.30 Uhr
Akt.: 3. Dezember 2025 - 15.36 Uhr
Über Schule und Widerstand„Hei danzt keen aus der Rei“ – Marc Angels neue Graphic Novel wirft einen Blick ins Luxemburg der 1930
„Wann et een Rouden ass, da muss e fort.“ Die Warnung fällt in einer Kneipe im Westen Luxemburgs der 1930er-Jahre. Mil Gregorius wird erwartet: Der neue Lehrer kommt aus Schifflingen – „e Minettsdapp, stell dir vir!“ – und fällt schon vor seiner Ankunft auf, weil er der Sonntagsmesse fernbleibt. Das Dorf befürchtet, er sei Kommunist. Es fühlt sich bestätigt, als Gregorius, statt Frontalunterricht zu halten, zum Naturspaziergang einlädt.
Die erste Mahnung des Bürgermeisters lässt nicht lange auf sich warten: „Hei danzt keen aus der Rei. Et mécht ee seng Aarbecht, geet Sonndes an d’Mass an hält sech un d’Gesetzer. Och déi ongeschriwwen. A wat d’Politik ugeet, déi iwwerloosse mer deenen, déi eppes dervu verstinn.“ Es folgt ein Hinweis auf das geplante Verbot gegen die „Bolschewike-Partei“, das der Bürgermeister befürwortet.
Nach wahren Begebenheiten
Gemeint ist das „Maulkuerfgesetz“ von 1937, wie der Autor Marc Angel im Gespräch mit dem Tageblatt erklärt. Es taucht später in der Erzählung erneut auf. Das Gesetz sah ein Verbot der kommunistischen Partei und anderer politischer Organisationen vor, die nach Ansicht der Regierung eine Gefahr darstellten. Die Luxemburger Bevölkerung stimmte in einem Referendum dagegen.

In „Ongeschriwwe Gesetzer“ steht die Entscheidung noch aus. Die politischen Entwicklungen polarisieren, die Dorfgemeinschaft ist gespalten. Mil gerät ins Fadenkreuz, zumal er mit der Lehrerin Loni Mayers anbändelt und sein Freund Abbes keinen Hehl aus seiner antifaschistischen Haltung macht. Das Dreiergespann – und wer mit ihm sympathisiert – ist in Gefahr.
Sonia Mousel, Präsidentin der „Fédération générale des instituteurs luxembourgeois“ (FGIL), deutet im Vorwort des Buches an: „De [Marc Angel] erzielt eng Geschicht, déi sech esou zwar net zougedroen huet, déi sech awer vu reellen Evenementer inspiréiert.“ Das Buch entstand als Auftragsarbeit zum 125. Jubiläum des Verbands. Über die Inhalte bestimmten die FGIL und Angel gemeinsam – und der Autor bestätigt: Neben den politischen Ereignissen basieren auch die Figuren teilweise auf historischen Persönlichkeiten.
Von historischen Figuren inspiriert
„Ich habe nur die Namen verändert und ihre Geschichten so miteinander verwoben, dass eine spannende Erzählung entsteht“, sagt Angel. „Es gab ein entsprechendes Lehrerpaar und Abbes erinnert an Albert Wingert: ein Lehrer, Widerstandskämpfer und KZ-Häftling während des Zweiten Weltkriegs. Auch die Anwältin Betty Stroben ist an einer historischen Figur inspiriert.“
In dem Buch kommt Stroben zum Einsatz, nachdem Loni entlassen wird. Warum? Das verraten wir an dieser Stelle nicht – ein bisschen Spannung muss sein. Ein Blick in Luxemburgs Frauenrechtsgeschichte verrät jedoch: Anfang der 1930er-Jahre klagte eine Lehrerin aus Hobscheid gegen die Gemeinde, weil sie aufgrund ihrer Heirat entlassen wurde. Der Staatsrat gab ihr recht, doch das Urteil hatte keine Signalwirkung. Die breite Öffentlichkeit lehnte die Berufstätigkeit verheirateter Frauen ab.

Für Angel stellt die Darstellung der Frau in seinen historischen Werken immer eine Herausforderung dar. „Ich setzte alles daran, sie anders abzubilden, als sie in der damaligen Männerwelt wahrgenommen wurden“, betont er. „Das sind Rollenbilder, die ich nicht reproduzieren möchte. Hier habe ich es so gelöst: Anfangs ist Loni zurückhaltend und skeptisch, später übernimmt sie die Führung. Das wäre zu der Zeit nicht undenkbar, aber modern gewesen.“
Bezug zur Gegenwart
Umgekehrt stellt sich die Frage: Wie viel Gegenwart steckt in Angels’ Graphic Novel? Zwar ist die politische Lage unvergleichbar mit jener aus den 1930er-Jahren, doch macht sich in Luxemburg ein ähnlicher Unmut über „moderne“ Lerninhalte und engagierte Lehrkräfte bemerkbar. Letzteren wird dabei oft unterstellt, die Kinder und Jugend mit ihren Ansichten zu verderben.2023 wurden Bildungseinrichtungen teils scharf für die Organisation von Kinderlesungen mit der Drag-Künstlerin Tatta Tom kritisiert. 2024 befassten sich zwei Petitionen mit LGBTQ+-Inhalten an Luxemburgs Schulen: Eine forderte das Verbot, die andere die Thematisierung – beide wurden öffentlich in der Abgeordnetenkammer diskutiert.
In demselben Jahr erhielt Tom Delles, Direktor der Ackerbauschule in Ettelbrück, Gegenwind von der ADR. Die beschwerte sich in einem offenen Brief an den Minister des Öffentlichen Dienstes, Serge Wilmes (CSV), über Delles: Er hatte den ehemaligen Abgeordneten Jeff Engelen (ADR) bei einer Gedenkfeier für die Zwangsrekrutierten des Zweiten Weltkrieges öffentlich bloßgestellt – mit Hinweis auf die rechtsextremen Gesinnungen in der Partei. Die ADR, die sich kürzlich auch über die ausbleibende Einladung zu einem politischen Rundtischgespräch der Schülervereinigung des Escher Lycée Hubert Clément echauffierte, hinterfragte daraufhin Delles’ Berufsethik.
Erinnerungen, die einem bei der Lektüre von „Ongeschriwwe Gesetzer“ in den Sinn kommen – und sie umso spannender macht. Marc Angel ist darüber erfreut. „Die Geschichte wiederholt sich, wenn auch nicht eins zu eins“, gibt er zu bedenken. „Es ist mir immer ein Anliegen, Parallelen zur Gegenwart zuzulassen. Wenn mir das gelungen ist, habe ich gute Arbeit geleistet.“ Das hat er. Einziger Minuspunkt: Angel hätte mehr in die Tiefe gehen können. Die Komplexität der angerissenen Themen gibt es jedenfalls her.
Wie Angels’ Geschichte um Mil, Loni und Abbes endet, bleibt offen. So, wie es der Autor nach eigener Aussage mag. Eine Fortsetzung ist derzeit nicht geplant, doch er schließt sie nicht aus: „Es ist ein Thema, das ich weiterverarbeiten kann. Es mag kitschig klingen, aber wenn ich Figuren aufs Papier bringe, wünsche ich mir natürlich, dass sie weiterleben. Ein Wunsch, der jedoch nicht immer in Erfüllung geht.“ Was auf der letzten Buchseite zu sehen ist? Ein Messer mit Hakenkreuz.
„Ongeschriwwe Gesetzer“ von Marc Angel ist im Buchhandel erhältlich.
De Maart
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