Freitag19. Dezember 2025

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AnalyseHaushaltspolitische Spezialoperation: Warum Europa jetzt einen großen Finanzwurf hinkriegen müsste

Analyse / Haushaltspolitische Spezialoperation: Warum Europa jetzt einen großen Finanzwurf hinkriegen müsste
Der Planungsentwurf für die sieben Jahre von 2028 bis 2034 sieht zwei Billionen Ausgaben für die gesamte Union vor   Foto: dpa/Alicia Windzio

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Die Kommission hat ihren Vorschlag für die mehrjährige Finanzplanung von 2028 bis 2034 vorgestellt. Der wurde prompt von fast allen Seiten verrissen. Tatsächlich bietet dieser Entwurf die Chance, durch etwas zusätzliche Kreativität und Mut, einer haushaltspolitischen Spezialoperation. Russland bringt mit einer solchen Operation Menschen um. Die Union sollte damit ihre Finanzen fit für die Zukunft machen – und selbst an Relevanz gewinnen.

Der Planungsentwurf für die sieben Jahre von 2028 bis 2034 sieht zwei Billionen Ausgaben für die gesamte Union und alle ihre Politiken vor. Darin ist die Verwaltung selbstverständlich inbegriffen, also alle Beamten, alle Abgeordneten, alle Kommissare, alle Richter und alle Fahrer der Institutionen. In Prozentpunkten ausgedrückt sind das 1,26 Prozent des BNE (Bruttonationaleinkommen) aller EU-Mitgliedsstaaten. Mehr als die 1,12 in der laufenden Planungsperiode, aber doch eher ein millimetrischer Fortschritt. Damit bewegt sich der Entwurf für 28-34 unterhalb der aktuellen „Eigenmittelobergrenze“ von 1,4 Prozent des Unions-BNE. Ab jetzt wird’s dann interessant.

Frank Engel analysiert in einer Artikelreihe die internationale und die nationale Politik für das Tageblatt
Frank Engel analysiert in einer Artikelreihe die internationale und die nationale Politik für das Tageblatt Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Die geplanten Mehrausgaben gegenüber der heutigen Sachlage sollen auch mit neuen „Eigenmitteln“ der EU finanziert werden, also „eigenen“ Steuereinnahmen für den EU-Haushalt. Keine, die die Bürger belasten, sondern neue, moderne, auf CO2-Einfuhren, Elektromüll und solche Dinge. Das Ganze in einem Volumen von knapp 60 Milliarden pro Jahr – das wären über 400 Milliarden in sieben Jahren, rund ein Fünftel der geplanten Ausgaben. Sollte dies angenommen werden, bräuchten die „Beiträge“ der Mitgliedsstaaten nicht zu steigen. Noch besser wäre es, wenn sie sinken könnten.

Es werden sich zusätzliche Herausforderungen in den kommenden Jahren ergeben, wie steigende Verteidigungsausgaben und das Abwenden eines möglichen französischen Staatsbankrotts, denen der vorliegende mehrjährige Planungsentwurf nicht zu begegnen vermag. Das sollte aber die Ambition sein. Was uns zu ein paar weiter reichenden Überlegungen animiert. In Richtung haushaltspolitischer Spezialoperation.

Finanztransaktionssteuer

Die Europäische Kommission hat 2011 den Vorschlag einer europäischen Finanztransaktionssteuer gemacht. Dessen Schicksal ist bekannt. Heute sollte man allerdings einmal folgende Rechnung anstellen, anstatt sich in ablehnender Kampfrhetorik zu ergehen:

– Der damalige Kommissionsvorschlag basierte auf Besteuerungssätzen von 0,01 und 0,1 Prozent je nach Transaktion – und zwar spekulative Transaktionen zwischen Akteuren des Finanzmarktes, nicht Überweisungen eines Rentnerehepaares an ihre studierende Enkelin

– Es wurde berechnet, dass dies Einnahmen von knapp 60 Milliarden pro Jahr einbringen würde – Stand damals fast die Hälfte aller Ausgaben des EU-Haushalts

– Würde man dies heute neu berechnen, dann lägen die prognostizierten Einnahmen wohl zwischen 100 und 120 Milliarden Euro

– Und rechnete man dann diese und die knapp sechzig aus den heute vorgeschlagenen neuen Eigenmitteln zusammen, dann käme man auf ein Volumen von tatsächlichen „Eigenmitteln“ der EU von 170+ Milliarden jährlich – ohne die Verbraucher zusätzlich zu belasten.

Die Einwände gegen Finanztransaktionssteuern und ähnliches sind bekannt: Alle laufen weg, wir verlieren an Wettbewerbsfähigkeit, Europa geht den Bach runter, so klingt das ja immer. Das ist natürlich Unsinn, denn ein Finanzdienstleister, der auf den europäischen Markt angewiesen ist und/oder über den realwirtschaftliche Transaktionen mit Staaten in der EU und den europäischen Institutionen laufen, der rennt nirgendwo hin, weil ihm der Zugang zum europäischen Markt sonst versagt bleibt. Der bleibt, weil es wirtschaftlich für ihn sehr viel mehr Sinn ergibt, nicht, weil er so ein guter Mensch ist.

Stellen wir uns einmal folgende Situation vor. Frankreich steht potenziell vor dem Meltdown seiner öffentlichen Finanzen. Wie der funktionieren könnte, mag der interessierte Leser in einem fast 20 Jahre alten Werk der Fiktion nachlesen: „Le jour où la France a fait faillite“, Oktober 2006, Autoren Philippe Jaffré und Philippe Riès. François Bayrou, französischer Premierminister, ist der Ansicht, ein solcher Moment der Wahrheit stünde unmittelbar bevor. Wenn Frankreich sein heute in BNE-Anteilen ausgedrücktes Defizit nicht schnell aus der prozentualen Zweistelligkeit (sic!) herausführt, dann wird es ein ähnliches Schicksal wie Griechenland erleiden. Mit dramatischen Konsequenzen für die gesamte Union.

Wenn man sich nun vorstellt, dass die Kürzungen, die Bayrou in Frankreich vorschlägt, nicht 44 Milliarden Euro ausmachten, sondern – dadurch, dass Frankreich an europäischen Beiträgen spürbar entlastet wird – vielleicht die Hälfte; wenn man sich weiter vorstellt, dass dies eine dauerhafte Einrichtung wäre, die Beiträge aller Mitgliedsstaaten dadurch tatsächlich deutlich sinken, dass die EU sich endlich wirkliche „Eigenmittel“ verschafft, und auch damit eine Förderpolitik der Wirtschaft in den Mitgliedsstaaten finanzieren kann, die dort bemerkt und positiv aufgenommen wird – dann hätte die Europäische Union mehr für die Resilienz der europäischen Gesellschaften erreicht, als mit jeder ihrer regelmäßigen Werbekampagnen. Und nebenbei das Rassemblement National vom Regieren abgehalten. In anderen europäischen Staaten könnte ähnliches gelingen.

Mehr Haushaltsspielraum

Eine haushaltspolitische Spezialoperation müsste also heute so aussehen:

– Die EU fährt ihre tatsächlichen Eigenmittel (der am BNE gemessene „Beitrag“ der Mitgliedsstaaten ist eher eine Art Mitgliedsbeitrag) auf über 170 Milliarden pro Jahr hoch, womit die Staaten noch gut 110 Milliarden jährlich beizutragen hätten

– Damit wird den Staaten rund die Hälfte ihres EU-Beitrages erlassen, mit dem sie Haushaltsspielraum zu Hause gewinnen

– Es bleibt gegenüber der aktuellen Haushaltsplanung 28-34 noch ausreichend Marge, um gegebenenfalls gemeinschaftlich mehr in Verteidigung und Resilienz zu investieren, und die Staaten wiederum entsprechend weniger aufwenden müssten.

Würde die EU das hinkriegen, wäre sie binnen kürzester Zeit ein respektierter Akteur in internationalen Zusammenhängen. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum würden sich aus einem neuen europäischen Elan der resilienten Entschlossenheit ergeben. Wir wären wieder wer. Wäre doch schön.