Ukraine-KriegGuterres und Erdogan reisen in die Ukraine, während die russischen Angriffe weitergehen 

Ukraine-Krieg / Guterres und Erdogan reisen in die Ukraine, während die russischen Angriffe weitergehen 
Im Dorf Druschkiwka steht ein Junge neben einem Bombenkrater. In der Region Donetsk wird weiter erbittert gekämpft Foto: AFP/Anatolii Stepanov

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Geschosse auf Charkiw, Kämpfe im Donbass – dennoch wollen Ankara und die UN am Donnerstag in der Westukraine die Chancen auf erneute Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien ausloten. Moskau meldet derweil Festnahmen nach Explosionen auf der Krim.

António Guterres und Recep Tayyip Erdogan werden am Donnerstag in der Ukraine zu Gesprächen erwartet
António Guterres und Recep Tayyip Erdogan werden am Donnerstag in der Ukraine zu Gesprächen erwartet Foto: AFP/Ozan Kose

Bemühungen um Verhandlungen

Ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bemühen sich die Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit der Türkei weiter um die Anbahnung einer Verhandlungslösung zwischen den Kriegsparteien. Am Donnerstag wollen UN-Generalsekretär António Guterres und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Lwiw in der Westukraine zu Gesprächen treffen, wie das türkische Präsidialamt in Ankara am Dienstag mitteilte.

Die damit verbundenen Hoffnungen sind jedoch gedämpft: UN-Kreise halten Verhandlungen über eine landesweite Waffenruhe nur für möglich, wenn weder Russland noch die Ukraine nennenswerte Geländegewinne mehr verzeichnen können und vom Ziel eines Sieges Abstand nehmen. Die Ukraine will jedoch ihre verlorenen Gebiete um jeden Preis zurückerobern, um nicht Landsleute der Willkür der russischen Besatzung ausgesetzt zu lassen. Russlands Kriegsziele laufen weiter auf eine weitgehende Unterwerfung der Ukraine hinaus. Gespräche zwischen Kiew und Moskau waren daher bereits in den ersten Kriegswochen ohne Ergebnis abgebrochen worden.

Die MV Brave Commander soll Tausende Tonnen Weizen von der Ukraine nach Äthiopien bringen
Die MV Brave Commander soll Tausende Tonnen Weizen von der Ukraine nach Äthiopien bringen Foto: AFP/Oleksander Gimanov

Getreideexporte nehmen Fahrt auf

Einen gemeinsamen Erfolg haben die Verhandler Guterres und Erdogan allerdings bereits zu verzeichnen: Ende Juli hatten sie die Kriegsparteien bei dem Abkommen zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu einer Einigung gebracht. Laut einer vorläufigen Bilanz des Koordinationszentrums in Istanbul vom Dienstag verließen seit der Öffnung des Seeweges bis zum 15. August bereits 21 Schiffe ukrainische Häfen. 15 Frachter seien in Richtung Ukraine entsendet worden. Damit seien mehr als eine halbe Million Tonnen Getreide und andere Lebensmittel aus der Ukraine ausgefahren worden, hieß es.

Am Mittwoch liefen nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums vier weitere Frachter aus den ukrainischen Schwarzmeer-Häfen Odessa und Tschornomorsk aus.

Weg von der Front: Ein Junge sitzt in einem Evakuierungszug aus der Region Donezk
Weg von der Front: Ein Junge sitzt in einem Evakuierungszug aus der Region Donezk Foto: AFP/Anatolii Stepanov

Angriffe auf Charkiw, Kämpfe in Donezk

Während die Getreideexporte wieder anlaufen, gehen die Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Truppen unvermindert weiter. In Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, schlugen am Dienstagabend russische Geschosse ein. Es gab Schäden an Häusern, in einigen Vierteln fiel der Strom aus.

Ukrainische Militärs berichteten von heftigen Kampfhandlungen, besonders im Donbass im Osten des Landes. Der Kiewer Generalstab sprach in einem Lagebericht von heftigen Angriffen auf ukrainische Stellungen am Nordwestrand der Separatistenhochburg Donezk. Weiter nördlich im Donbass, bei Bachmut und Soledar, sei es gelungen, russische Sturmangriffe abzuwehren.

Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe beschossen russische Flugzeuge bei Schytomyr in der Westukraine einen Fliegerhorst. Unabhängige Bestätigungen gab es nicht. Am kommenden Mittwoch blickt die Ukraine auf genau ein halbes Jahr Abwehrkampf gegen die russische Invasion zurück.

Ein Bild der Explosionen von Dienstag auf der Krim
Ein Bild der Explosionen von Dienstag auf der Krim Foto: AFP/Marie-Laure Messana/ESN

Festnahmen auf der Krim

Unklar ist weiterhin, wer für die Explosionen auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim am Dienstag verantwortlich ist. Während Moskau im Anschluss von einem „Sabotageakt“ gesprochen hatte, äußerte Kiew Genugtuung, übernahm aber keine Verantwortung. Es war bereits die zweite Explosion auf der Krim innerhalb von rund einer Woche.

Am Mittwoch informierte nun Moskau über die Festnahme von sechs Männern, die laut russischem Inlandsgeheimdienst FSB der verbotenen islamistischen Vereinigung Hizb-ut-Tahrir angehören. Ohne einen direkten Zusammenhang zu den Detonationen zu ziehen, teilte der FSB mit, dass einige der Festnahmen in der Stadt Dschankoj auf der Krim erfolgt seien, unweit derer am Dienstag ein Munitionslager explodiert war.

Wer genau die Festgenommenen sind, gab der FSB nicht bekannt. Seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 wurden aber unter dem Vorwurf der Hizb-ut-Tahrir-Mitgliedschaft mehrfach ukrainische Krimtataren inhaftiert und verurteilt. Große Teile der muslimischen Minderheit, die zu Sowjetzeiten massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt war, lehnen die jetzige russische Regierung ab.

Russland hat nach den Explosionen auf der Krim unterdessen den Chef der Schwarzmeer-Flotte ausgewechselt, berichtet die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf Insider.

 Die Ukraine droht indirekt mit einem militärischen Angriff auf die russische Brücke zur Krim
Die Ukraine droht indirekt mit einem militärischen Angriff auf die russische Brücke zur Krim Foto: AP

Drohungen gegen Brücke

Die Ukraine hat zur „Demontage“ der für Russland strategisch äußerst wichtigen Brücke zur Krim über die Straße von Kertsch aufgerufen. Die Brücke sei ein „illegales Objekt“ und müsse abgebaut werden – „egal wie: freiwillig oder nicht“, erklärte der Berater des ukrainischen Präsidenten, Mychailo Podoljak, am Mittwoch im Messengerdienst Telegram. Er drohte damit indirekt mit einem militärischen Angriff auf die Brücke.

Die Brücke über die Straße von Kertsch ist die wichtigste Straßen- und Bahnverbindung zwischen dem russischen Festland und der Krim. Das 19 Kilometer lange Bauwerk war im Mai 2018 von Kremlchef Putin eingeweiht worden, der damals als erster in einem Lastwagen an der Spitze einer Fahrzeugkolonne über die neue Brücke fuhr. Vier Jahre zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel annektiert.

Nauseda und Selenskyj, die Präsidenten Litauens und der Ukraine, trafen sich zuletzt Ende Juli 
Nauseda und Selenskyj, die Präsidenten Litauens und der Ukraine, trafen sich zuletzt Ende Juli  Foto: AFP/Sergej Supinsky

Litauen will europaweite Regelung zu Touristenvisa

Das baltische EU- und NATO-Land Litauen regte weitere internationale Maßnahmen gegen Russland an. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sprach sich am Mittwoch in Vilnius für einen europaweiten Vergabestopp von Touristenvisa für russische Staatsbürger aus. „Am besten sollte es eine Entscheidung auf europäischer Ebene sein, mit der einfach die Gültigkeit dieser Visa aufgehoben wird und jeder damit aufhören würde, sie auszustellen“, sagte er.

Litauen hatte als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitestgehend ausgesetzt – ähnlich wie Estland und Lettland. Andere EU-Staaten und auch die EU-Kommission in Brüssel lehnen einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa ab.

„Visa-Krieg gegen Russen“: eine russische Familie auf Urlaub in Finnland
„Visa-Krieg gegen Russen“: eine russische Familie auf Urlaub in Finnland Foto: AFP/Alessandro Rampazzo

Kremlgegner kritisiert EU

Der prominente Kremlgegner Wladimir Milow hat angesichts der Debatte in der Europäischen Union über Einreisesperren für seine Landsleute vor einem „Visa-Krieg gegen Russen“ gewarnt. Der Vertraute des inhaftierten Moskauer Oppositionspolitikers Alexej Nawalny sagte, dass einige europäische Politiker auf Russen „spucken“, sie als „Müll“ und „Schweinehunde“ betrachten würden. Das schade den im Westen gepredigten demokratischen Werten und spiele Kremlchef Wladimir Putin in die Hände, sagte Milow in einem am Mittwoch im Nawalny-Telegram-Kanal verbreiteten Video.

Milow, der selbst im Exil im Ausland lebt, kritisierte ausdrücklich auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der gefordert hatte, Russen die Einreise in westliche Staaten zu verbieten. Auch wenn das Land gegen Putins Angriffskrieg kämpfe, habe keiner das Recht, alle Russen über einen Kamm zu scheren.