Lust zu lesen„Gut gemeinter“ Rassismus: „Ein schönes Ausländerkind“ legt den Finger in die Wunde

Lust zu lesen / „Gut gemeinter“ Rassismus: „Ein schönes Ausländerkind“ legt den Finger in die Wunde
Die Autorin Toxische Pommes ist Juristin und tourt nebenbei mit ihrem Kabarettprogramm durch Österreich und Deutschland Foto: Muhassad Al-Ani

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Josef Hader schwärmt von ihr, Saša Stanišić auch, weshalb wir mitmachen wollen im Hype um eine Autorin, die sich wie eine Alternative-Rock-Band mit Juxfaktor nennt: Toxische Pommes.

Greta Schloch und Mundstuhl lassen grüßen, und doch ist/sind Toxische Pommes mehr als die Wiederkehr einer witzigen Indie-Schnoddrigkeit unter deutlich veränderten Rahmenbedingungen. Mit „Ein schönes Ausländerkind“ erscheint das erste Buch von Toxische Pommes, welche nach Auskunft ihres Verlags im wahren Leben Irina mit Vornamen heißt. Wenn Irina nicht als Juristin in Wien arbeitet, tritt sie unter besagtem Pseudonym mit ihrem Kabarettprogramm „Ketchup, Mayo und Ajvar – Die sieben Todsünden des Ausländers“ auf mittlerweile immer größer werdenden Locations in Österreich und Deutschland auf. Toxische Pommes war bis vor kurzem vor allem ein Internet-Phänomen. Mit ihren kurzen Videos unterhält sie auf TikTok und Instagram zigtausend Follower. Dass sie auch auf dem unfashionablen Markt für Leserinnen und Leser von Büchern reüssieren will, ist nur konsequent. Und vor allem: ein Gewinn!

„Gute Ausländer“

Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die in den 1990er-Jahren vor dem Krieg im zerfallenden Jugoslawien nach Österreich floh. Man will sich als Gastarbeiter, nicht als Asylanten eine neue Existenz aufbauen. Aber eine Arbeitserlaubnis scheint es in dem Alpenland so selten zu geben wie einen Sechser im Lotto. Zumindest für den Vater, der als Schiffsbauingenieur offenbar weit weniger zu gebrauchen ist wie die Mutter als Kindermädchen und Putzhilfe. In Diskussionen um gesamtgesellschaftliche Zustände ist nicht nur in Österreich viel von strukturellem Rassismus die Rede. Toxische Pommes liefert mit ihrem Buch genügend Anschauungsmaterial, wie subtil die Benachteiligungen, Ausgrenzungen und Geringschätzung von Migranten auf allen nur erdenklichen Ebenen wirksam sind.

Gern kommt der Rassismus wohlmeinend daher. So wird der blonden und blauäugigen Ich-Erzählerin „immer und immer wieder“ versichert, was für „ein schönes Ausländerkind“ sie sei. Auch bestätigen Nachbarn und die Familien ihrer Freunde regelmäßig, sie und ihre Eltern „seien nicht wie die anderen“. Wir haben es hier also mit „guten Ausländern“ zu tun, mit welchen, die im Straßenbild nicht weiter auffallen und die man gern auch schwarz bei der Weinernte und im Haushalt für die Hälfte des üblichen Lohns schuften lässt. Eher zufällig wird die Mutter in dieser ach so wohlmeinenden Umgebung erfahren, dass ihre Ausbildung als Pharmazeutin sehr wohl in Österreich anerkannt werden würde, vorausgesetzt, sie absolviert eine Reihe von universitären Prüfungen.

Vater zieht sich zurück

Längst hat sich da schon die traditionelle Familienaufstellung umgedreht. Während die Mutter das Geld nach Hause bringt, besorgt der Vater Haushalt und Tochter, wobei sich hier eine zweite, sehr anrührende Erzählebene aufspannt. Denn während Mutter und Tochter sozusagen in Österreich ankommen, verbleibt der Vater nicht zuletzt auch sprachlich in einem seltsamen Zwischenbereich und zieht sich immer weiter in die virtuellen Weiten des Internets zurück. Mit dem Umzug der Familie in eine größere Wohnung eskalieren die Streitereien, sodass die Tochter irgendwann auch schamvoll wegen der Mitschuld an der einsetzenden Entfremdung konstatiert: „Dass ich meinen Vater noch bis vor ein paar Jahren als meinen besten Freund bezeichnet hätte, blieb nichts als eine dunkle Erinnerung.“

Spätestens jetzt wäre wohl der Zeitpunkt für den Hinweis gekommen, dass „Ein schönes Ausländerkind“ vor allem auch ein humorvolles Buch ist. In dem sich beispielsweise über den wohl weitverbreiteten Parfüm-Fimmel auf dem Balkan lustig gemacht wird – als würden dort sogar Hunde, Katzen und Kanarienvögel des Morgens mit Eau de Cologne gurgeln! Dass dann ausgerechnet der in Parfüm getränkte Vater auf wundersame Weise die Familie über die Einbürgerungsprüfung rettet, will man dann doch in Anbetracht der angesprochenen Problematiken nicht als vorläufiges Happy End abtun, das zu schön ist, um wahr zu sein.

Infos

Toxische Pommes: „Ein schönes Ausländerkind“
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024
208 S., 23,00 Euro