Guatemaltekische Bauern erobern ihre Felder zurück

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Unsere Kulturredakteurin Anne Schaaf ist derzeit in Guatemala unterwegs und lebt für zehn Tage mit einem indigenen Volk zusammen. Sie wollte herausfinden, welche Relevanz die Landwirtschaft für diese Bevölkerungsgruppe hat.

Die Landwirtschaft hat eine sehr lange Tradition bei der indigenen Bevölkerung Guatemalas. Vor allem die sogenannten „Kekchí“, welche zur Ethnie der Maya gehören und unter anderem in der Region Alta Verapaz leben, widmen sich der Arbeit auf dem Feld. Im zentralamerikanischen Land stellen sie jene indigene Gruppe dar, die am stetigsten wächst.

Bis heute leben Kekchí überwiegend abgeschieden im Urwald des Landes. Größtenteils ohne Strom und fließendes Wasser. Ihre eigenen Felder und Gärten sind dementsprechend kein hippes Nice to have. Diese sichern ihr Überleben. Die landwirtschaftliche Tätigkeit ist zudem tief in ihrer Kultur verwurzelt. Einer Kultur, die im Laufe der Geschichte mehrfach diskreditiert, ja ihnen förmlich ausgetriebenen wurde. Man beraubte sie ihrer Identität, die sich erst mit der Zeit wieder entwickeln durfte und konnte.

Während Marguarita in einem kleinen Gemüsegarten fernab der Zivilisation steht, wiederholt sie fast mantraartig: „Denn es ist für uns und nicht für andere.“ Was sie damit meint, basiert keineswegs auf Egoismus; die indigene Bäuerin will damit nur sagen, dass der Ertrag aus der eigenhändig durchgeführten Landwirtschaft nun endlich den Bauern selbst zukommt, statt dass sie Felder für andere bestellen müssen, die sie dafür nicht einmal anständig entlohnen.

Jahrzehntelang wurde Guatemala durch Kolonialismus, aber auch durch den schier unendlich wirkenden Bürgerkrieg geprägt, welche beide mit einer verqueren Verschiebung der Hierarchien einhergingen. Ein autonomes, menschenwürdiges Leben der ärmeren Landbevölkerung wurde durch Gier von außen wie auch von innen verhindert. Enteignungen schufen neue Abhängigkeiten.

Erst nach dem Friedensvertrag im Jahr 1996 entstand fruchtbarer Boden für neue Prozesse, es wird sich also erst seit knapp 20 Jahren, langsam und doch nicht vollends sicher, von vergangenen Verhältnissen gelöst. „Denn es ist für uns …“ Marguarita betont es so, als glaube sie es immer noch nicht so ganz, als bekäme die Behauptung erst durch die stete Wiederholung ihre Richtigkeit.

„Oh, da hat wohl ein Tier dran geknabbert“, merkt ein Schüler des Cahaboner „Instituto Agroecológico Fray Domingo de Vico“ an. Antonio, Lehrer an benannter Landwirtschaftsschule, erwidert schmunzelnd: „Das Problem mit den Viechern ist, dass sie zwar essen, aber danach nicht selbst wieder säen.“ Genau dies sollen die Jungs, welche die Schule besuchen, aber neben vielen anderen landwirtschaftlichen Kompetenzen erlernen. Die Klasse steht gerade inmitten einer Parzelle an einem Berghang und analysiert das diversifizierte System, das man dort vorfinden kann. „Mais ist eins der wichtigsten Elemente unserer Ernährung“, erläutert Antonio, „aber es darf nicht das einzige sein, das sich auf den Feldern befindet.“ Indirekt verweist er damit auf die Geschichte Guatemalas, im Laufe derer viele Mitglieder der indigenen Bevölkerung für Großgrundbesitzer in deren Fincas arbeiten und sich auf ihr Geheiß auf Monokulturen fokussieren mussten. Dies laugte nicht nur den Boden, sondern auch die Arbeiter aus, da die Ernährung (nur ein geringer Teil der Ernte war für sie bestimmt) keine Varianz aufwies.

Hilfe zur Selbsthilfe

Antonio fährt fort mit der Beschreibung dessen, was sich vor dem menschlichen Auge in der gellenden Hitze des Urwaldes entfaltet: „Hier sehen wir neben Mais auch Bananenstauden, dort drüben ist Yucca (Maniok) und direkt vor uns befinden sich Chili-Pflanzen. Weiter unten im Hang wachsen verschiedene Obstsorten, darunter auch Papaya.“ Diese Pflanzen dürfen natürlich nicht alle gleichzeitig gesät werden.

In den vergangenen Monaten wurden Schritt für Schritt, in mühevoller Handarbeit, verschiedene Samen gesetzt. „Wir greifen dabei auf mehr als 20 unterschiedliche Kalender zurück, die wir über die Jahre gemeinsam mit den Schülern erstellen konnten, weil wir durch etliche Experimente herausfanden, welche Pflanzen man zu welchem Zeitpunkt miteinander kombinieren kann.“ Der Weg hin zu einer sinnreichen Diversifikation vollzog sich folglich in mehreren Etappen, und das über Jahre, denn die Bildungsanstalt existiert nun seit 22 Jahren. Religion spielt im zentralamerikanischen Land eine essenzielle Rolle und kommt häufig im katholischen Gewand daher. Dieses ist dennoch mit zahlreichen volksreligiösen Ornamenten verziert. Für die indigene Bevölkerung ist die Liebe und Verbundenheit zur „Madre Tierra“, also zu Mutter Erde, nicht aus dem Alltag wegzudenken. Die praktische Umsetzung dieser Verehrung findet sich folgerichtig auch in der Landwirtschaft wieder. Die Liebesbeziehung sollte von Respekt und Nachhaltigkeit geprägt sein, denn „unser Volk hat noch immer mit Ernährungsproblemen zu kämpfen. Der Boden muss uns also wohlgesinnt sein, damit wir etwas zu essen haben“, so Antonio.

Supermärkte im herkömmlichen Sinne existieren außerhalb der wenigen großen Zentren nicht. Wer etwas braucht, das er nicht auf seinem eigenen Feld vorfindet, der besucht den Markt. Hier wird in der Regel das verkauft, was Bauernfamilien nicht für sich selbst benötigen. In diesem Kontext sind die „vier As“, die sich ins Gedächtnis eines jeden Schülers einbrennen, von Relevanz, wie Antonio erörtert: „A la tierra steht an erster Stelle. Erst muss der Boden genährt werden, damit im zweiten Schritt a la familia folgen kann. A las animales nimmt den dritten Platz ein, denn die Tiere brauchen Futter, bevor sie selbst zum Nahrungsmittel werden. Erst an vierter und letzter Stelle kommt al mercato, also der Markt.“

In Bezug auf Letzteres kam es laut den Aussagen vieler Einheimischer zu Denkfehlern seitens mehrerer NGOs und Hilfswerke, die ins Land hineinströmten, als der Bürgerkrieg nach 36 Jahren endlich ein Ende fand. Durch Sach- und Geldspenden habe man in nicht wenigen Fällen der indigenen Bevölkerung dabei helfen wollen, relativ zügig Geld zu verdienen. Eine gewisse Grundsicherung sei dabei jedoch in den Hintergrund getreten oder gar außen vor gelassen worden. Nach den ersten zehn Jahren hieß es diesbezüglich im Weltagrarbericht, dieser erkenne zwar an, dass „aufgrund wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte bedeutende Erfolge bei der erheblichen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität erzielt wurden“, man jedoch „etlichen der unerwünschten sozialen und ökologischen Folgen dieser Errungenschaften bisher (damals 2008) wenig Aufmerksamkeit geschenkt“ habe. Sogenannte „Entwicklungshilfe“ stand also, wie in vielen anderen Regionen der Welt auch, in Guatemala vor allem zu Anfang mehr für temporäre als für nachhaltige Lösungen. Hilfsprojekte wurden teils aus eurozentrischer Sicht heraus konzipiert und man versuchte dann, die hiesige Situation in das vorgefertigte Gerüst hineinzuzwängen, statt es genau umkehrt anzugehen.

Hinter diesem Institut steht indes die „Fray Domingo de Vico“-Stiftung. Sie arbeitet seit zwei Jahrzehnten neben lediglich einem Geistlichen aus der Schweiz, der die Geschicke vor Ort von Anfang an begleitet hat, ausschließlich mit einheimischem und indigenem Personal, das Leitungs- wie Verwaltungsposten und Lehrstühle unter sich aufteilt. Dieses wird zu großen Teilen von Partage.lu, ehemals „Bridderlech deelen“, finanziert. Der luxemburgischen Organisation ist daran gelegen, dass eine kontinuierliche und kompetente Begleitung durch Ortskundige garantiert werden kann.

Essenziell für die Ausrichtung der Lehranstalt ist die „encuentro de saberes“, also die Bündelung von bereits vorhandenem Wissen. „Ein goldener Schlüssel bringt wenig, wenn er nicht auf eine alte Tür passt“, erläutert Christoph Gempp, den man hier nur „padre Cristobal“ nennt. Eine Überakademisierung der Lehrbetriebs ist seiner Auffassung nach der Situation vor Ort nicht dienlich. Erstens gebe es ohnehin wenige Agronomen, die ausreichend Tropenwissen mitbrächten.

Außerdem sei Laborarbeit nicht das, was die Kekchí voranbringe. Vielmehr betreibe man hier „Feldforschung“ im wahrsten Sinne des Wortes und frage allem voran die Bauern nach ihrer Erfahrung. Denn letztendlich obliege ihnen die weitreichendste Expertise. Das Wissen, das sie in sich trügen, habe sich über Jahrzehnte angesammelt und sei tief in ihrer Kultur verwurzelt. Dementsprechend habe es einen großen Wert, und zwar eben nicht nur auf der Ernährungsebene, sondern auch auf der Ebene der Identität, die nicht einfach als schlicht oder gar pöbelhaft abgetan werden dürfe. „Schon allein das Nachfragen und Miteinbeziehen der Bauern schafft ein sehr empowerndes Moment“, so Christoph Gempp. Man habe es nicht mit einem Einbürgern von neuen, sondern vielmehr mit einem Wiedereinbürgern von bereits bekannten Techniken zu tun.

Natürlicher Kreislauf

Im „Insituto Agroecológico Fray Domingo de Vico“ können männliche Jugendliche eine landwirtschaftliche Ausbildung ablegen, die sich auf drei Jahre erstreckt und eine Besonderheit hat, die im direkten Zusammenhang mit der indigenen Kultur zu sehen ist. Die Familienstruktur in Guatemala ist sehr eng verwoben und von größter Wichtigkeit. Auf landwirtschaftlicher Ebene versteht es sich von selbst, dass alle Mitglieder der Familie vom Ertrag leben können und somit zusammenarbeiten müssen. Daher brächte es nichts, Kindern etwas beizubringen, das sich nicht auch ihren Eltern erschließe. So besuchen nicht nur die Jungs die Schule, sondern auch ihre Mütter und Väter müssen dreimal pro Jahr zwei Tage vor Ort sein, um zu diskutieren, sich auszutauschen und die Praxis mitzuerleben.

Arnulfo, welcher auf viele Jahre als Lehrer im Institut zurückschauen kann, geht auf diese Entwicklung ein: „Die Eltern waren nicht von Anfang an Teil des Konzeptes, aber uns wurde schnell klar, dass es wichtig ist, sie stärker mit einzubinden, damit die Familie im Verbund das Erlernte anwenden kann. Erwachsene erfahren hier eine andere Kredibilität als Kinder und Jugendliche, sodass es zu einer Voraussetzung wurde, auch ihnen die Methoden näher zu bringen, bevor sie sie annehmen und umsetzen können.“ In diesem Kontext spielt das System der „Alternanzia“ eine wichtige Rolle. Die Schüler drücken nicht nur die Schulbank, sie gehen auch regelmäßig nach Hause, um ihr neues Wissen praktisch umzusetzen. Ein vor Schulbeginn mit Kindern und Eltern vereinbarter Plan hält fest, was bis zum Ende des Schuljahres auf einer bestimmten Fläche des eigenen Feldes erreicht werden soll.

Gilberto steht vor Stolz strahlend vor seiner 3 ha großen Parzelle, oben auf einem Berg im Urwald. Der Ausblick ist fantastisch, hat aber auch seinen Preis. Der nächste Fluss ist mehr als einen Kilometer entfernt, was im Umkehrschluss bedeutet, dass fast täglich Wasser geholt werden muss, das dann eigenhändig steil bergauf zur Holzhütte transportiert wird, in der es wiederum keinen Strom gibt. Das heißt, Gilberto hat alles, was man auf dem Feld erblickt, gemeinsam mit seiner Familie ohne technische Hilfsmittel erbracht. Wer hier überleben möchte, braucht also die richtige Methodik. Obwohl sein Sohn das Schuljahr noch nicht abgeschlossen hat, sind sie bereits über das vereinbarte Ziel hinaus, was den Anbau unterschiedlicher Pflanzen angeht. Ananas schießt aus dem Boden, die Süßkartoffeln sprießen und nicht weit davon entfernt sieht man Zuckerrohr sowie Kardamom, Basilikum und Oregano. Oben am Steilhang hängt Kakao wie eine Art sommerliche Christbaumkugel vom Baum.

Der Vater hat Techniken umgesetzt, die er beim „Padre/Madre Día“ in der Schule sowie von seinem Sohn gezeigt bekommen hat. Er hält seine Begeisterung nicht zurück und tauscht sich nun im Rahmen eines Workshops mit anderen Bauern aus, die zwar keine Kinder im Institut haben, aber ebenfalls am Prozess interessiert sind. Es sind auch Promotoren mit von der Partie, die von der Landwirtschaftsschule ausgebildet und gesandt werden, um in abgelegenen Bergdörfern als Multiplikatoren zu fungieren. Gerade schauen alle gebannt auf jenen Komposthaufen, über den gesprochen wird. Ein Großteil der indigenen Bevölkerung könnte sich nicht nur chemisches Düngemittel nicht leisten, es würde auch den ohnehin komplexen Tropenboden zerstören. Deswegen ist die Herstellung von natürlichem Düngemittel von höchster Relevanz.

Ein derart zärtlicher Umgang mit der Erde war lange undenkbar. Boden, der nach der Ernte nicht gerodet worden war, galt als schmutzig. Christoph Gempp schaut zurück: „Als ich vor mehr als 20 Jahren begann, zu erklären, dass das Abbrennen der Felder nicht zielführend sei, sagte man im hiesigen Dialekt: ‚Ach das ist wieder das Stroh im Kopf des Padre, das sich bemerkbar macht.'“

Heutzutage haben mindestens 3.000 Familien damit aufgehört. Dies sind die Zahlen, die der Schule durch den engen Kontakt mit den Familien der Schüler und den umliegenden Dörfern bekannt sind. Es könnten durch Mund-zu-Mund-Propaganda noch mehr sein. All dies verlange viel Zeit und Geduld. Auf Kekchí gibt es eine Ausdrucksweise, die lautet „xink‘ay“, was so viel bedeutet wie „ich habe mich gewöhnt“. Eine neue Vorgehensweise muss zu einer „costumbre“, also zur Gewohnheit werden. Ein langwieriger Prozess, der sich wohl gelohnt hat, aber längst noch nicht abgeschlossen ist.

Im Logbuch von Anne Schaaf auf finden Sie noch mehr Fotos sowie Videos.