Montag10. November 2025

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Hintergrund„Grüner Stahl“: Warum ArcelorMittal 1,2 Milliarden in den USA investiert

Hintergrund / „Grüner Stahl“: Warum ArcelorMittal 1,2 Milliarden in den USA investiert
Monlevade, erstes Stahlwerk von Arbed in Brasilien Foto: ArcelorMittal

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Einer der weltgrößten Stahlkonzerne, die luxemburgische ArcelorMittal-Gruppe, investiert 1,2 Milliarden US-Dollar (1,16 Milliarden Euro) in den USA. Der Konzern baut dort das derzeit modernste Elektrostahlwerk der Welt. Es wird nahezu CO2-frei arbeiten. Gleichzeitig greift der Konzern auf die Forschungseinrichtungen der Gruppe zurück, verbindet Erfahrungen in Europa mit Entwicklungen in den USA und erliegt den Verführungen der Vereinigten Staaten, Angebote an ausländische Unternehmen in den USA zu investieren. Calvert in Alabama ist ein Beispiel für die weltweite Vernetzung der Stahlindustrie, für die Anstrengungen einer Industrie, ein „grünes Produkt“ herzustellen, und die damit verbundenen Milliarden-Investitionen.

Anfang Februar: Sie sind alle da, die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivy, Senatorin Katie Britt, der Kongress-Abgeordnete Barry, die regionale Wirtschaftsministerin Ellen McMair und die Präsidentin des Parlaments des „Count of Mobile“ Merceria Ludgood. John Brett, CEO ArcelorMittal Nordamerika, wird so schnell nicht wieder den gesamten politischen Adel eines US-Staates empfangen. Allerdings: Der Anlass ist wichtig für Alabama, das Mobile County und ArcelorMittal. In Calvert, in Reichweite einer Walzstraße von ArcelorMittal, entsteht ein Elektrostahlwerk der besonderen Art: Hier wird Schrott mit Eisenschwamm gemischt und dann zu Stahl „gekocht“. „Mit dieser Art der Mischung gelingt es uns, Flachstahl in einem Elektrostahlwerk herzustellen.“ Das war bisher nicht möglich. Flachstahl, insbesondere für die Automobilindustrie, musste in Hochöfen gekocht werden, eine für die heutige Zeit so nicht mehr vorstellbare Art.

Hochöfen sind Dreckschleudern mit sehr hohem Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2). Die Reduzierung von CO2 ist eine Grundvoraussetzung für die Verlangsamung des Klimawandels. Die Stahlunternehmen rund um den Globus arbeiten daran. ArcelorMittal beschäftigt sich mit der Reduzierung von CO2 und der Herstellung von „grünem Stahl“ in Duisburg, Hamburg, Belgien und Spanien. Wesentlicher Punkt: das sogenannte Direkt-Reduzierung-Verfahren, bei dem dem Eisenerz das Eisen in Form von Eisenschwamm entzogen wird (siehe Kasten).

Walzwerkmonster von ThyssenKrupp, heute ArcelorMittal
Walzwerkmonster von ThyssenKrupp, heute ArcelorMittal Foto: ArcelorMittal

ArcelorMittal ist dabei, im Süden der Vereinigten Staaten eine Insel aufzubauen, aus der heraus die US-Automobilindustrie mit Elektrostahl versorgt werden kann. „Die Nachfrage ist groß und dauerhaft und kann nicht befriedigt werden“, sagt John Brett. Verschwiegen wird dabei nicht, dass der „Inflation Reduction Act“ mit besonders günstigen Steuern eine große Versuchung ist. ArcelorMittal wird in Calvert, Alabama, für sein Elektrostahlwerk eine Steuergutschrift in Höhe von 280 Millionen US-Dollar erhalten. Für den Staat ist das nicht so teuer. Kay Ivy freut sich: „Während der Bauzeit bis zur Inbetriebnahme im Jahr 2027 werden hier 1.300 Menschen arbeiten“, erzählt sie. Danach sollen zwischen 200 und 270 Menschen ihren festen Arbeitsplatz im Stahlwerk finden. Die Rentabilität der Steuervergünstigung ist gesichert. Möglich wurde die Aktion durch eine Entscheidung des US-Energieministeriums, das Elektrostahl aus Elektro-Stahlwerken als „critical material“ im Sinne einer aus dem Jahr 2023 stammenden Entscheidung einstufte.

Kapazität von fünf Millionen Tonnen

Warum aber Calvert in Alabama? Hier steht ein überdimensionales Walzwerk, das von der Kapazität und Technik her alles in den Schatten stellt, was an Walzwerken in der Welt existiert. ThyssenKrupp hat es in die Landschaft gestellt und ist mit 2.700 Mitarbeitern auch gleich der zweitgrößte Arbeitgeber im County geworden.

Nur: Ausgelastet war das Ungetüm mit fünf Warm- und Kaltwalz-Straßen nie. Als die Anlage zum Preis von 115 Millionen Dollar zum Verkauf stand, griffen ArcelorMittal und Nippon Steel zu und kauften es aus dem Markt. „Gebaut hätten wir das wohl nicht, aber wir konnten das auch nicht auf dem Markt sein lassen“, hieß es damals gegenüber dem Tageblatt. Genutzt wurde die Anlage dann zur Verarbeitung von Halbzeug, das ArcelorMittal aus seinen Werken in Brasilien und Mexiko liefern ließ. Zur Auslastung des Walzwerkes wird das neue Elektrostahlwerk nicht reichen. Das Walzwerk hat eine Kapazität von fünf Millionen Jahres-Tonnen. Das Elektrostahlwerk wird 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr produzieren.  „Wir werden weiter aus Brasilien und Mariko Vorprodukte übernehmen und auf den Markt zukaufen“, sagt ArcelorMittal Unternehmenssprecher Paul Weigh gegenüber dem Tageblatt. Der Luxemburger Stahlgigant ist zwischenzeitlich alleiniger Besitzer des Walzwerkes geworden. Nippon Steel will US Steel kaufen und hat sich für einen symbolischen Dollar aus dem Walzwerk verabschiedet.

ArcelorMittal hat die Strategie, zum Weltmarktführer bei „grünem Stahl“ zu werden. Gas gibt es in den USA genug und der Schritt zum Wasserstoff ist nicht weit. Calvert ist dabei nur der vorläufig letzte Schritt in der US-Strategie. Vor zwei Jahren bereits hatte der Konzern seinen österreichischen Konkurrenten im texanischen Corpus Christie 80 Prozent einer sauberen Anlage für etwa eine Milliarde US-Dollar abgekauft. Die Vereinbarung sieht vor, dass Voestalpine für den Anteil der verbleibenden 20 Prozent „grüne Stahlprodukte“ erhält. Zum Zentrum der grünen Stahlwerke von ArcelorMittal-Stahlwerken wird Calvert aber nicht. Das Elektrostahlwerk wird in die texanische Führung integriert. Allerdings: Corpus Christie verfügt über einen Tiefseehafen, wie Mobile auch. Nicht auszuschließen ist also, dass „grünes Halbzeug“ eines Tages von Texas nach Alabama zum Walzen geliefert wird.  

Direktreduktionsverfahren wie das von ArcelorMittal in den USA verwendete Midrex-Verfahren verarbeiten das eisenreichere Erze mit oxidierenden Zuschlägen und gewinnen in der Endstufe des Verfahrens Eisenschwamm. Der derart gewonnene Eisenschwamm ist porös und rigide. Er wird in der Regel vor der weiteren Verarbeitung „brikettiert“, also zerschlagen. Diese Pellets sind dann Bestandteil für die Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenofen. Nach Auskunft von Unternehmenssprecher Paul Weigh schmilzt ArcelorMittal die Briketts aus Eisenschwamm zusammen mit oxidreichem Schrott, verringert damit den Kohlenstoffgehalt weiter und überspringt so die Roheisenstufe des Hochofenprozesses. Das Midrex-Verfahren ist derzeit das wirtschaftlich bedeutendste Verfahren in der weltweiten Produktion von direktreduziertem Eisen (DRI). Das Eisenerz wird im Gegenstromprinzip mit einem wasserstoffreichen Gas reduziert. In der Regel wird hierzu Erdgas eingesetzt, wobei das Ziel ist, grünen Wasserstoff zu nutzen. Das Endprodukt Eisenschwamm ist sehr rein (C-Gehalt zwischen 0,5 und 3 Prozent) und kann direkt anstelle von Roheisen zur Stahlerzeugung verwendet werden.

Elektrostahlwerk in Calvert
Elektrostahlwerk in Calvert Foto: ArcelorMittal