4. November 2025 - 7.02 Uhr
Großbritannien Grünen auf Erfolgskurs, Sozialisten in der Parteigründung – Labour-Regierung erhält Opposition von Links
Unterdessen aber erwächst den Sozialdemokraten zunehmend Gefahr von links. Mit ihrem dynamischen Vorsitzenden Zack Polanski, einem selbsternannten Öko-Populisten, eilen die Grünen von einem Mitgliederrekord zum nächsten. Unter den Neulingen befinden sich zu Tausenden auch linke Labour-Leute, die ihrer Enttäuschung über Starmers Regierungshandeln Luft machen. In diesem Monat soll nach monatelangen Querelen eine zweite Partei Opposition von links betreiben, angeführt von Starmers Vorgänger im Labour-Vorsitz, dem einstigen Hoffnungsträger Jeremy Corbyn.
Schon bei der Unterhauswahl im Juli 2024 manifestierte sich mangelnde Begeisterung über Labours Wahlprogramm. Die alte Arbeiterpartei gewann mit 34 Prozent der Stimmen dank des Mehrheitswahlrechts zwar zwei Drittel der Mandate; doch jagten neben dem aus der Partei ausgeschlossenen Corbyn auch fünf linke Muslime unter dem Label „Pro Palästina“ den Sozialdemokraten Parlamentssitze ab. Zudem konnten sich die Grünen von einem auf vier Mandate verbessern.
Den Umfragen zufolge liegt die Regierungspartei nicht nur seit Monaten um zehn Punkte hinter Reform UK; die Firma YouGov wartete vergangene Woche sogar mit einer Befragung auf, wonach sich derzeit nur noch 17 Prozent für Labour entscheiden würden. Starmers Truppe lag dabei gleichauf mit den Torys, lediglich einen Punkt vor den Grünen und zwei Punkte vor den Liberaldemokraten. Auch bei Nachwahlen zu Kommunalvertretungen und für einen Sitz im walisischen Regionalparlament folgt eine Schlappe der anderen.
Grüne holen auf
Der Regierung und ihrem Spitzenpersonal fehlt es, so legen es immer neue Kleinstaffären nahe, an elementarer Kompetenz, von politischem Fingerspitzengefühl zu schweigen. Hinter vorgehaltener Hand machen sich sogar enge Mitarbeiter lustig über den Chef, dieser habe den umgekehrten Midas-Effekt – selbst Gold werde unter seinen Händen zu menschlichem Abfallprodukt.
Da haben es die Herausforderer leicht. Der Grüne Polanski macht mit eleganten Medien-Auftritten und eingängigen Parolen Punkte. Seit seiner Wahl vor zwei Monaten hat die Zahl der Mitglieder um 84 Prozent zugenommen und ist an Liberaldemokraten und Konservativen vorbeigezogen. Der 43-Jährige wettert gegen den „Scharlatan“ Farage sowie den „Genozid in Gaza“ und verspricht eine Reichensteuer. Diese soll unter anderem neue Sozialleistungen sowie die Rück-Verstaatlichung der privatisierten Wasserversorger finanzieren. Seine Botschaft an Labour lautet: „Wir wollen euch ersetzen.“
Freilich machen sich erfahrene Grüne Sorgen wegen eines strukturellen Problems. Die vier Unterhausmandate verteilen sich auf die Universitätsstädte Brighton und Bristol, wo Polanski vor allem bei Jungwählern gut ankommt. Die zwei ländlich geprägten Wahlkreise in den Grafschaften Hereford und Suffolk hingegen sind konservativ strukturiert; dort hatten Basispolitiker in jahrelanger Kärrnerarbeit die Wählerschaft von ihrer Seriosität, insbesondere bei Umweltthemen, überzeugt. Die Klimakrise, Bodenerosion oder Luftqualität aber erwähnt der Chef nur am Rande.
Corbyns Männerverein
Das ist bei „Your Party“ kaum anders. Vielmehr steht dort der Streit im Vordergrund, vor allem zwischen den beiden Spitzenleuten, dem 76-jährigen Corbyn und Zarah Sultana, 32. Im September versandte die junge Muslima, wohl aufgeschreckt von Polanskis publizistischem Erfolg, eine E-Mail an die Hunderttausenden auf der „Your Party“-Mailing-Liste: Gebeten wurde um konkretes Interesse an einer Mitgliedschaft, untermauert durch Zahlung von 55 Pfund (62,74 Euro). Binnen 90 Minuten hatten mehr als 20.000 Menschen ihre Zahlung geleistet.
Doch am selben Tag grätschte das Corbyn-Lager dazwischen: Sultanas E-Mail sei „unautorisiert“ gewesen. Die Betroffene schimpfte aufgebracht über den „sexistischen Männerclub“, drohte sogar mit einer Verleumdungsklage. Tatsächlich haftete Corbyn schon zu seinen Zeiten als Oppositionsführer (2015-20) der Ruf an, seinem engsten Team würden ganz überwiegend Männer angehören.
Ob wenigstens die Übereinstimmung bei der Palästina-Frage einem Bündnis der „Grünen Linken“ den Weg ebnet? Umfragen zufolge denken beinahe die Hälfte der Labour-Wähler von 2024 über eine zukünftige Stimme für diese Allianz nach. Starmer hingegen wird darauf hoffen müssen, dass Corbyns Vehikel gar nicht erst vom Fleck kommt – und sich die Grünen inhaltlich zerstreiten, wenn die kommenden Wahlen Anfang Mai näher rücken.
De Maart
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