Samstag8. November 2025

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LondonGroßbritannien übt scharfe Kritik an Israel und erkennt den Staat Palästina an

London / Großbritannien übt scharfe Kritik an Israel und erkennt den Staat Palästina an
Menschen in London halten Plakate und palästinensische Flaggen während eines nationalen Marsches für Palästina Anfang September hoch Foto: AFP/Justin Tallis

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In Koordination mit den Commonwealth-Partnern Kanada und Australien hat das Vereinigte Königreich am Sonntag den Staat Palästina offiziell anerkannt.

Damit wolle seine Regierung „die Hoffnung auf Frieden für Palästinenser und Israelis sowie auf die Zwei-Staaten-Lösung wiederbeleben“, sagte Labour-Premier Keir Starmer zur Begründung. Zu den G7-Staaten Kanada und Großbritannien wollen sich zu Wochenbeginn auch die EU-Staaten Frankreich, Portugal, Luxemburg (siehe Artikel Seite 3) und Malta sowie möglicherweise Belgien gesellen.

Auf der Insel ist die Entscheidung zwischen den Parteien umstritten. Während der liberaldemokratische Vorsitzende Edward Davey den Schritt auf dem Jahrestreffen seiner Partei begrüßte, sprach Oppositionsführerin Kemi Badenoch von einer „Belohnung für Terroristen“. Die konservative Politikerin befindet sich damit im Einklang mit der größten jüdischen Organisation Großbritanniens sowie mit der israelischen Rechts-Außen-Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Dieser hatte bereits im August erklärt, einen palästinensischen Staat werde es niemals geben.

Starmer kritisierte die Gaza-Offensive der IDF: „Der Hunger und die Verwüstung sind völlig unerträglich.“ Mit der Verweigerung dringend nötiger Hilfe für die Zivilbevölkerung bediene sich Israel einer „grausamen Taktik“. Der Regierungschef ging auch ausdrücklich auf die Kritik aus Jerusalem ein, wonach die Anerkennung die Terrortruppe Hamas belohne. Die Forderung nach einer „echten Zwei-Staaten-Lösung“ sei das genaue Gegenteil der „hasserfüllten Vorstellung“, welche die Hamas-Bewegung forciert. Starmer erwähnte seine Gespräche mit den britischen Angehörigen der überlebenden Geiseln von Gaza und forderte deren umgehende und bedingungslose Freilassung.

Die britische Einigkeit mit Kanada und Australien sowie mit wichtigen EU- und NATO-Partnern – Spanien, Irland und Norwegen hatten Palästina bereits vor sechzehn Monaten anerkannt – kontrastiert mit dem Protest von US-Präsident Donald Trump. Das Vorgehen im Nahen Osten gehöre „zu den wenigen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns“, teilte Trump am vergangenen Donnerstag zum Abschluss seines Staatsbesuchs auf der Insel mit.

Seit langem mit einem Glaubwürdigkeitsproblem

Der bereits vor zwei Monaten angekündigte Schritt stellt den vorläufigen Höhepunkt einer schrittweisen Revision der britischen Politik dar. Nach dem Hamas-Massenmord vom Oktober 2023 gab sich das Vereinigte Königreich sowohl unter der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak wie auch unter seinem Labour-Nachfolger Keir Starmer als enger Verbündeter Israels. Der Gaza-Feldzug Israels mit der flächendeckenden Bombardierung des Territoriums und die Bilder der hungernden Zivilbevölkerung haben die Einstellung in der britischen Politik und Gesellschaft geändert.

Starmer selbst kämpft seit langem mit einem Glaubwürdigkeitsproblem. Nach Übernahme des Labour-Vorsitzes 2020 säuberte er die Partei energisch von der antisemitischen harten Linken, die unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn floriert hatte. Das Massaker des 7. Oktober hat ihm nach Angaben aus seinem Umfeld persönlich schwer zugesetzt; seine Frau Victoria ist Jüdin und hat Verwandtschaft in Israel. In einem Medieninterview wenige Tage nach den Morden, Folterungen und Vergewaltigungen schien der einstige Menschenrechtsanwalt sogar die Blockade der Wasser- und Stromversorgung des Territoriums durch Israel gutzuheißen.

Dieser katastrophale Fehler – ein späteres Dementi fand keine Beachtung – hat den damaligen Oppositionsführer und heutigen Regierungschef in weiten Teilen der Labour-Wählerschaft, nicht zuletzt bei Muslimen, auf Dauer diskreditiert. Bei der Unterhauswahl verlor die alte Arbeiterpartei mehrere Sitze an Gaza-Aktivisten und alte Israel-Kritiker wie den mittlerweile aus der Partei ausgeschlossenen Corbyn.

Die schrittweise Abkehr von Israel in den vergangenen Monaten hat den bestehenden Vertrauensverlust bei Linken und Muslimen nicht ausgeglichen, hingegen die gerade erst zurückgewonnenen jüdischen Gruppen verärgert. „Wir hinken immer einen Schritt hinterher“, analysiert Labour-Hinterbänkler und Mediziner Simon Opher. Der erfahrene Arzt sowie sein Kollege Peter Prinsley wollten vergangene Woche die Gesundheitssituation auf der besetzten West Bank persönlich erleben; Israel verweigerte den britischen Parlamentariern die Einreise, was vom Foreign Office als „völlig inakzeptabel“ gebrandmarkt wurde.