Allzu häufig gebe die Sender-Spitze der Kritik aus der Downing Street nach, glaubt Emily Maitlis, die vor ihrem Ausscheiden im Frühjahr Jahrzehnte lang führende BBC-Magazine moderiert hatte. Für die vermeintliche Ausgewogenheit sei neuerdings „ein aktiver Agent der konservativen Partei“ zuständig. Die 51-jährige Journalistin warnte ihren Ex-Arbeitgeber auch davor, beim Thema Brexit eine „kauernde Haltung“ einzunehmen: „Das wirkt wie eine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit.“
Was macht die Kritik so brisant?
Maitlis hielt ihre Rede auf dem TV-Festival von Edinburgh, wo alljährlich die wichtigsten Macher der elektronischen Medien zusammenkommen. Dementsprechend hohe Aufmerksamkeit wird ihrer Kritik geschenkt. Zudem zählt die Moderatorin zu den zahlreichen prominenten Namen, die in den vergangenen Monaten die BBC verlassen haben.
Der erhebliche Brain-Drain hat zum einen mit dringend nötigen Einsparungen zu tun. Von der Kulturministerin Nadine Dorries wurde dem Sender ausgerechnet zum 100. Geburtstag eine brutale Schrumpfkur verordnet, die Rundfunkgebühr für zwei Jahre eingefroren, zukünftige Förderung von Vorgaben in der Personalstruktur abhängig gemacht. Zum Anderen ist die politische Unzufriedenheit im Unternehmen weit verbreitet. Sowohl Chairman Richard Sharp wie Generaldirektor (Intendant) Tim Davie stehen den Konservativen nahe. Wie Maitlis haben viele BBC-Journalisten den Eindruck, die Senderspitze mache sich zu sehr mit den Herrschenden gemein.
Was ist dran an den Vorwürfen?
Maitlis’ Kritik an der „Mauer des Schweigens“ zum Thema Brexit findet großen Widerhall, entspricht sie doch einem weitverbreiteten Gefühl vieler Briten: Medien und Politik, nicht zuletzt die oppositionelle Labour-Party, drücken sich bisher vor einer offenen Diskussion darüber, welche Folgen der von 52 Prozent der Wahlbevölkerung 2016 herbeigewählte EU-Austritt inzwischen zeitigt. Dazu zählen ein massiver Exportrückgang in die EU sowie lange Schlangen am Ärmelkanalhafen von Dover, die Unterbrechung wichtiger Forschungszusammenarbeit sowie der Tiefststand britisch-irischer Beziehungen seit einem Vierteljahrhundert, hervorgerufen vom Streit um Nordirland.

Pikiert reagierte die Intendanz auf den Vorwurf konservativer Einflussnahme. Der von Maitlis etwas melodramatisch als „Agent“ bezeichnete Robbie Gibb gehört dem derzeit 13-köpfigen Aufsichtsrat (Board) seit gut einem Jahr an. Zuvor war der 57-Jährige Jahrzehnte lang für die BBC tätig, zuletzt als Abteilungsleiter Politik, ehe er zwei Jahre lang der Premierministerin Theresa May als Kommunikationsdirektor diente. Seine Kritik an tatsächlicher oder vermeintlicher politischer Korrektheit im journalistischen Herangehen der BBC wird von vielen Konservativen geteilt, darunter auch Kritikern der Johnson-Regierung. Ein BBC-Sprecher nahm Gibb gegen die Kritik in Schutz: Das Board sei kollektiv für die parteipolitische Unabhängigkeit des Senders verantwortlich. „Völlig falsch“ sei zudem der Vorwurf, Gibb habe die Berufung politisch missliebiger Journalisten auf BBC-Führungspositionen verhindert.
Gab es politische Einflussnahme nicht schon immer?
Einerseits stellt die alle zehn Jahre ausgestellte königliche Charta den Sender ausdrücklich jenseits direkten politischen Einflusses. Andererseits gehört das mehr oder weniger gute Einvernehmen mit der jeweiligen Regierung zu den wichtigsten Aufgaben der Sender-Verantwortlichen. Über die Jahre haben Chairman und Intendant den Einflüsterungen von Königshaus und Downing Street mehr oder weniger gut widerstanden – Versuche der Einflussnahme gab es natürlich seit Gründung des 1922 zunächst British Broadcasting Company, seit 1927 BBC genannten Senders.
Tory-Premierministerin Margaret Thatcher berief 1986 einen Vertrauten als Chairman, mit dem expliziten Ziel, den Generaldirektor zu feuern; binnen weniger Monate war diese Aufgabe erledigt. Legendär waren um die Jahrhundertwende die geifernden Anrufe von Labour-Premier Tony Blairs Kommunikationschef Alastair Campbell bei dem „heruntergekommenen, überbesetzten, hoch bürokratischen, lächerlichen Unternehmen“. Auch politische Besetzungen kommen immer wieder vor. So amtierte der vormalige Labour-Kabinettsminister James Purnell sieben Jahre lang als Strategie-Direktor und Abteilungsleiter Radio.
Wie positioniert sich die Anstalt für die Zukunft?
Bis 2026 muss eine neue königliche Charta vereinbart werden – eine gute Gelegenheit für die Konservativen, den Giganten stärker an die Kandare zu nehmen. An der Feindseligkeit dürfte sich auch nichts ändern, wenn Anfang nächsten Monats die Nachfolge von Premier Johnson geklärt ist. Besonders die Favoritin, Außenministerin Liz Truss, steht in spöttischen Bemerkungen über den vermeintlich unbotmäßigen Sender ihrem bisherigen Chef in nichts nach. Womöglich belässt sie sogar die Kulturministerin Dorries im Amt. Diese attackiert gern „das Gruppendenken“ und einen angeblichen „Mangel an Objektivität“ in der BBC.
Mindestens ebenso groß ist die Herausforderung durch steinreiche US-Firmen wie Amazon und Netflix, deren per Abonnement zugängliche Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten gut ankommen. Hingegen wird das Publikum herkömmlicher TV-Sender immer älter. Da nützt es auch wenig, dass die Briten ihr „Tantchen Beeb“, wie der Sender im Volksmund genannt wird, noch immer zu 70 Prozent für glaubwürdig halten, weit mehr als vergleichbare Institutionen.

Wenn die Rundfunkgebühr weiterhin bei jährlich 159 Pfund (188,43 Euro) pro Haushalt bleibt, so lautet die interne Rechnung, muss der Mediengigant bis 2027 bis zu 1,4 Milliarden Pfund einsparen. Davie hat deshalb harsche Sparmaßnahmen eingeleitet, stets begleitet vom Wutgeheul vieler seiner 17.500 Mitarbeiter, aber auch der Öffentlichkeit. Erklärtermaßen sollen möglichst rasch 1.000 Arbeitsplätze eingespart und das Sendevolumen verringert werden, um ein Sparziel von jährlich mindestens 200 Millionen Pfund zu erreichen.
Verstärkt wurde auch der Versuch, mehr Programme als bisher aus der Zentrale in London zu verlagern. Damit entspricht die Senderleitung dem ausdrücklichen Wunsch der Regierung, die stets von einer stärkeren Berücksichtigung öffentlicher Ausgaben für die vernachlässigten Regionen des Landes spricht. Davie wie zuvor schon sein Vorgänger Tony Hall trägt aber auch dem Gefühl Rechnung, man habe wichtige gesellschaftliche Entwicklungen übersehen, nicht zuletzt die Feindseligkeit in vielen Regionen gegenüber der EU.
Gibt es auch Streit um die Gehälter?
Alle Jahre wieder. Verschämt wies die BBC bei der Vorstellung des Jahresberichts im Juli darauf hin, man befinde sich „weiterhin in extrem hartem Wettbewerb um die besten Talente“. Gerechtfertigt wurde damit die Liste von 70 prominenten Moderatoren und Spitzenmanagern, die mehr als 150.000 Pfund jährlich verdienen.
Auf Platz eins lag wieder einmal unangefochten der beliebte Fußball-Experte, Ex-Nationalmittelstürmer Gary Lineker, mit 1,6 Millionen Euro Jahresgehalt. Aber auch Sparmeister Davie muss nicht darben: Seine Bezüge stiegen im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 618.000 Euro.
De Maart
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