8. Dezember 2025 - 7.24 Uhr
Vereinigtes Königreich„Großbritannien ist kaputt“ – Jugendprotest gegen soziale Ungleichheit
Am Samstag wurde die feierliche Ruhe gestört. Zwei junge Frauen beschmierten das Glas der Vitrine mit Apple Crumble und gossen Vanillesoße darüber. Die Empörung der Studentin Zahra Ali, 19, und der Verkäuferin Miriam Cranch (21) galt nicht etwa den Tower-Eintrittspreisen (Erwachsene: 41 Euro), sondern dem Zustand ihres Landes. „Die Demokratie ist zerbröselt – Besteuert die Reichen“ lautete ihr Slogan. Und: „Großbritannien ist kaputt.“ Wenig später wurde das Duo mit zwei Komplizen wegen Sachbeschädigung festgenommen.
Die spektakuläre Aktion geht auf das Konto einer neuen Aktivistengruppe namens „Take back power“. Vergangene Woche warfen die jungen Leute im Nobel-Hotel Ritz einen Haufen Pferdemist in die Hotellobby und posierten mit dem Slogan „Ungleichheit ist scheiße“. Die laut Selbstbeschreibung „gewaltlose Widerstandsgruppe“ nennt als Ziele „die Besteuerung extremen Reichtums“ sowie „Großbritanniens Reparatur“.
Mit solchen Forderungen liegen die jungen Leute offenbar im Mainstream ihrer Altersgruppe auf der Insel. Vor einigen Jahren stand noch die Klimakrise, zuletzt vor allem Israels Gaza-Krieg im Fokus. Nun gewinnen soziale Themen wie haushohe Mieten, ständig steigende Studiengebühren und schlechte Job-Aussichten zunehmend an Bedeutung. Politisch schlägt sich dies in den Umfragewerten für die Grünen nieder: Regelmäßig belegt die Öko-Partei bei der Gruppe der unter 35-Jährigen Platz eins; bis zu 40 Prozent der Erstwähler würden dort ihr Kreuzchen machen.
In dieser Altersgruppe liegen die Grünen deutlich vor der regierenden Labour-Party des ungeliebten Premierministers Keir Starmer und auch bei der Gesamtbevölkerung trennt die Partei mit den vier Unterhausmandaten kaum noch etwas von den Sozialdemokraten. Jüngste Umfragen ergaben zwischen 15 und 18 Prozent für die Grünen, für Labour etwa 17 bis 20 Prozent.
Das liegt am neuen Vorsitzenden Zack Polanski. Seit der dynamische Ex-Schauspieler und selbst ernannte Öko-Populist im September den Parteivorsitz übernahm, redet er kaum über Umweltthemen, aber in einem Podcast und kurzen Videos dauernd über die soziale Ungleichheit. Seine authentische Art wirkt glaubwürdig, sein Kommunikationsteam tauscht sich mit Zohran Mamdanis Leuten aus, dem frisch gewählten New Yorker Bürgermeister.
Seine Partei verzeichnet gewaltigen Zulauf; ein einziger BBC-Auftritt Polanskis führte zu mehr als 10.000 Eintrittsbegehren. Inzwischen haben die Grünen mehr als 150.000 Mitglieder und damit mehr als die einst stolzen Konservativen; ein gutes Viertel gehört der grünen Jugend an.
Öko-Partei im Aufschwung, Labour steuert dagegen
Zusätzlich begünstigt wird die einstige Öko-Partei von der Implosion der neuen Linkspartei. Diese wurde im Juli mit großen Hoffnungen aus der Taufe gehoben, nicht zuletzt, weil das einstige Jugend-Idol Jeremy Corbyn zu den Gründern zählte. Doch der frühere Labour-Oppositionsführer (2015-2020) überwarf sich rasch mit seiner 32-jährigen Mitgründerin Zarah Sultana. Schon bald wurde „Your Party“ (Deine Partei) von sektiererischen Flügelkämpfen geschüttelt. Der Gründungsparteitag am ersten Adventswochenende verlief chaotisch, geführt werden soll die neue Gruppierung zukünftig von einem vielköpfigen Zentralkomitee ohne Führungsfigur.
Einstweilen bekennen sich immerhin noch 55.000 Briten zu der Chaostruppe, schon bald aber dürften sich einige auf die Reise nach einer neuen politischen Heimat machen, wie dies auch für Zehntausende enttäuschter Labour-Mitglieder gilt. Häufiges Ziel sind die Grünen.
Der neuen Gefahr von links begegnet Labour mit heftiger Kritik an der nicht sonderlich durchdacht wirkenden grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik einerseits. Andererseits versucht Finanzministerin Rachel Reeves, den eigenen Parteigängern mit sozialen Wohltaten wie mehr Geld für kinderreiche Familien entgegenzukommen. Der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit soll ein neues Programm für strukturschwache Regionen abhelfen: Dort erhalten demnächst 350.000 junge Leute Praktika in der Bauwirtschaft – und in der Gastronomie.
Apple Crumble servieren, anstatt die Kronjuwelen damit zu bewerfen, sozusagen.
De Maart
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