Der September ist in Italien von einem kurzen, aber harten Wahlkampf gezeichnet. Am 25. wird ein neues Parlament, eine neue Regierung gewählt. Die Rechtsaußenpartei Fratelli d’Italia (FdI) zeigt sich heute schon siegessicher. So sehr, dass Parteichefin Giorgia Meloni ihren Wahlkampf in der einstigen linken Hochburg Marche begann. Die Adria-Region wird seit einiger Zeit von der FdI regiert – jetzt greift Meloni nach ganz Italien.
„Wir haben bewiesen, dass wir regierungsfähig sind, wir haben fähiges Personal gestellt und Lösungen für die Menschen hier gefunden, die die Linke seit Jahrzehnten nicht anzubieten wusste“, tönte Meloni von der Wahlkampfbühne in Ancona. Neue Lösungen zu finden, sei jedoch wichtig, seit sich die Lage in Italien nach eineinhalb Jahren der Regierung Mario Draghis noch desolater darstelle als zuvor, so Meloni. Dabei stellt sie ihre Partei als eine moderate, gutbürgerliche dar.
Etwas Faschismus hier, eine Prise Bürgerlichkeit dort
In einem für die Auslandspresse veröffentlichten Video versprach Meloni gar, sich vom Faschismus und seiner diskriminierenden Rassenideologie zu trennen. Die Parteichefin stellte in Aussicht, die „Fiamma tricolore“ werde aus dem Wahlkampfsymbol verschwinden. Mitte August lief die Frist ab, zu der die Parteien und Gruppierungen ihre Wahlsymbole und Gruppenlisten einreichen mussten. 75 verschiedene Parteien und politische Bewegungen gehen ins Rennen – wie so häufig in Italien zersplittert bis in kleinste Einheiten.
Besonderes Augenmerk richtete sich vor dieser Frist auf das Symbol der Fratelli d’Italia. Die Nachfolgeorganisation des 1946 von Giorgio Almirante gegründeten neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) trug eine Flamme als grün-weiß-rote Trikolore im Innern des Parteisymbols. „La Fiamma tricolore“ wurde im Nachhinein nicht nur von der extremen rechten Partei „La Destra“, sondern auch von der MSI-Nachfolgepartei Fratelli d’Italia genutzt. Organisationen, die sich – wie Gründer Almirante – eng dem Mussolini-Faschismus und unter anderem auch seiner rassistischen Ideen verbunden fühlten.
Nicht ohne Grund forderte deshalb dieser Tage die Auschwitz-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit, Liliane Segre, die FdI-Chefin auf, sich im Wahlkampf des unseligen Symbols zu entledigen. Worte würden nicht reichen, so Segre: „In meinem Leben habe ich mehr als genug Worte und Beteuerungen gehört, als dass ich ihnen Glauben schenkte – Taten müssen beweisen, ob es sich um Demokraten handelt.“
Wir haben Lösungen für die Menschen hier gefunden, die die Linke seit Jahrzehnten nicht anzubieten wusste
Die Fratelli allerdings ziehen mit der Flamme in den Wahlkampf. Deutlicher konnte man ein Signal kaum setzen: „Rechts“ ist eine klare, deutliche Ansage, mit der Giorgia Meloni mit Stimmenzuwachs rechnet. Sollten sich die aktuellen Prognosen bestätigen und die FdI-Chefin an der Spitze einer Dreierkoalition – neben ihrer Partei wären die Lega Matteo Salvinis sowie die Forza Italia Silvio Berlusconis beteiligt – in den Regierungspalast einziehen, so würde genau 100 Jahre nach Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“ wieder eine faschistoide Partei die Macht ergreifen. Darüber sollten auch Melonis jüngste Äußerungen nicht hinwegtäuschen, sie vertrete eine moderate bürgerliche Politik, die selbstverständlich im Einklang mit den EU- und NATO-Bündnispflichten stehe.
Meloni stellt den Faschismus gerne als eine historische und längst überwundene Epoche dar. Von den antisemitischen Rassegesetzen der Mussolini-Ära grenzt sie sich ab. Doch die Ideologie bleibt. Meloni sieht sich selbst als nationalkonservative Katholikin. Strikt homophob, lehnt sie die gleichgeschlechtliche Ehe ebenso ab wie Schwangerschaftsabbrüche. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt sich bereits heute in der Region Marche: Regionalpräsident und Parteikollege Francesco Acquaroli hat hier kurz nach seinem Amtsantritt die Abgabe von Abtreibungspillen in den regionalen Beratungsstellen und Spitälern verboten – eine Abtreibung vorzunehmen ist in dieser Region fast unmöglich geworden.

Auch die von der Chefin vorgegebene Parteilinie, sich vom Faschismus (vorerst) abzuwenden, scheint sich im Osten Italiens nicht durchgesetzt zu haben. Wiederholt wurde Acquaroli auf Gedenkveranstaltungen für Benito Mussolini gesehen. Meloni ist strikt gegen jede weitere Aufnahme von Flüchtlingen. Alleine in der vergangenen Woche wurden wieder Hunderte aus Afrika kommende Flüchtlinge und Migranten von privaten Seenotrettern an die Küsten Italiens gebracht. Es ist kaum vorstellbar, dass ein solches Vorgehen unter einer Meloni-Salvini-Regierung noch möglich wäre.
Den Nationalismus mit der Jugend eingesogen
Kaum ein Wort verliert Melonis Partei hingegen zu den sich gravierend ausbreitenden Problemen prekärer Arbeit und den sozialen Folgen daraus. Ähnlich ihrem US-amerikanischen Vorbild Donald Trump verfolgt sie eine Politik von „Italia first“.
Melonis Nationalismus kommt dabei nicht von ungefähr. Schon als 15-Jährige trat sie der römischen Sektion der „Fronte della Gioventù“ bei, der Jugendorganisation der Mussolini-Nachfolgepartei „Movimento Sociale Italiano“ (MSI). Biografen vermuten, dass dies eine Protestreaktion gegen den kommunistischen Vater gewesen sei, der die Familie im „roten Arbeiterbezirk“ Roms, Garbatella, zurückgelassen hatte. Die Journalistin machte bald Parteikarriere. Silvio Berlusconi – der bis heute als ein politischer Ziehvater gilt – holte sie 2008 als Ministerin für Jugend und Sport in sein Kabinett. Mit 31 Jahren war sie zu der Zeit die jüngste Ministerin Italiens.
Mit dem Ende des Berluconismus sank auch die Bedeutung der Alleanza Nazionale (AN), die unter Fini in „Popolo della Libertà“ aufgegangen war. Unzufrieden mit dem Niedergang der Parteipolitik, bei dem die einstigen Ziele von MSI und AN völlig verschwanden, gründete Meloni gemeinsam mit dem militanten Ex-Verteidigungsminister Ignazio La Russa 2012 die Bewegung „Fratelli d’Italia“. Der Name lehnt sich an die erste Zeile der durchaus als martialisch zu bezeichnenden italienischen Nationalhymne an. Befreit von allen Kompromissen, die der als immer moderater geltende Politiker Gianfranco Fini einzugehen bereit war, konnte sich die junge Partei wieder zu den Traditionen bekennen.
Erst Salvinis Erfolge machten Meloni groß
Zwar distanzierte sich Meloni von allzu gestrigen Mussolini-Anhängern, doch sah sie den Faschismus stets als eine legitime Phase in der italienischen Geschichte an. Das Unterfangen, die Lega mit Matteo Salvini an der Spitze rechts überholen zu wollen, war trotzdem schwierig. Erst als Salvini eine Koalition mit der allseits suspekten populistischen Protestbewegung Movimento 5 Stelle einging, ging der Stern der Fratelli und Melonis langsam auf. Und noch mehr, als die Lega sich nach dem Scheitern der beiden Regierungen Giuseppe Contes der Administration Mario Draghis andiente – Meloni konnte nun allen zeigen, dass ihre Partei und sie selber zu ihrem Programm stehen und von allen Kompromissen, Skandalen und Niederlagen „unbefleckt“ ihren Weg gehen. Wie erfolgreich dieser Weg ist, zeigt sich im Vergleich von Wahlergebnissen und Prognosen: Holten die „Fratelli“ bei den Parlamentswahlen 2018 nur etwa vier Prozent der Stimmen, liegen sie jetzt in den Umfragen mit fast 25 Prozent an der Spitze aller politischen Bewegungen.
Was nicht bedeutet, dass die Italiener gerade ihr Herz für ultrarechte Positionen entdeckt haben. Zurückzuführen ist der deutliche Sympathiezuwachs von FdI eher auf die Unzufriedenheit des Wahlvolks mit der aktuellen Politik, dem unentschiedenen Umgang mit den Problemen, die Inflation, Wirtschafts- und Energiekrise sowie die außenpolitische Lage im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt. Quasi aus Protest könnten die Italiener demnach eine postfaschistische Partei an die Macht heben. Dabei ist die streng nationalistische Gangart Melonis selbst im rechten Lager nicht überall beliebt. Aus Protest gegen die Souveränistin verließen führende Forza-Italia-Mitglieder, wie Berlusconis langjähriger Vertrauter Renato Brunetta oder die derzeitige Ministerin für den Süden Mara Carfagna, die Partei.
Um die bürgerlichen Wähler nicht zu verschrecken, beschlossen die drei Rechtsparteien, jeweils mit einem eigenen Kandidaten für das Regierungsamt ins Rennen zu gehen: FI mit Silvio Berlusconi – der sich kurz vor seinem 86. Geburtstag nochmals einen Wahltriumph verspricht –, die Lega mit Matteo Salvini und schließlich FdI mit Giorgia Meloni. Mit der Formel „Wer eine Stimme mehr hat, wird Premier“, scheint sich die FdI-Chefin dennoch siegesgewiss ins Fäustchen zu lachen. Ob sich die „Fiamma tricolore“ dann auch in der Staatsflagge wiederfinden wird, werden die kommenden Monate zeigen.
De Maart
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