„Im Moment schießen sie so stark wie 2015“, sagt Anna Welitschko, die in der ostukrainischen Stadt Awdijiwka lebt. Awdijiwka liegt oberhalb der Frontlinie, die 39-Jährige hat einen guten Blick auf die Stadt Donezk, die Hauptstadt der gleichnamigen „Volksrepublik Donezk“. Von dort feuern die Separatisten regelmäßig auf Awdijiwka. Welitschkos Wohnhaus wurde bereits kurz nach dem Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine 2014 bei Bombardements schwer beschädigt.
In letzter Zeit ist die Gewalt erneut aufgeflammt. Gelegentlich gab es Bombardements, dabei wurden am Montag zwei ukrainische Soldaten und ein ukrainischer Zivilist getötet. Und die Gefahr eines offenen Krieges zwischen der gesamten Ukraine und Russland scheint Tag für Tag zu wachsen.
Bei Anna Welitschko überwiegt aber nicht Angst, sondern Wut. „Ich möchte Putin und Selenskyj ohrfeigen“, sagt sie. Der russische Staatschef und sein ukrainischer Gegenspieler Wolodymyr Selenskyj sollten sich „endlich hinsetzen und sich einigen, um diesem Krieg ein Ende zu machen“.
Doch eine solche Lösung scheint weiter entfernt denn je. Trotz scharfer Sanktionsdrohungen des Westens hat Putin am Montagabend in einer langen Rede Donezk und Luhansk als unabhängige Republiken anerkannt. Damit begrub er praktisch das ohnehin fragile Minsker Abkommen, das 2015 unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs geschlossen worden war, um in der Ostukraine einen Friedensprozesses einzuleiten.
Aber wir haben nichts, wohin wir fliehen könnten, weil meine Eltern auf der anderen Seite sind, in Donezk. Weder sie noch wir können irgendwohin. Das ist unser Land.
Was genau Putins Schritt für Menschen wie Welitschko bedeutet, ist noch unklar. Es hängt davon ab, ob Russland sich mit der Anerkennung der Separatistengebiete zufriedengibt oder die Kontrolle in der gesamten Region von Donezk und Luhansk übernehmen will, die vor dem Krieg eine ukrainische Verwaltungseinheit war. Im zweiten Fall würde sich die Frontlinie voraussichtlich weiter nach Westen verschieben. Die Menschen in den derzeit von Kiew kontrollierten Gebieten in der Ostukraine haben Angst, dass bald die ersten russischen Panzer in ihre Heimatorte rollen. Entsprechend bereiten sich die Einwohner von Awdijiwka auf das Schlimmste vor.
„Putin ist ein Mistkerl“
Die 67-jährige Tetiana Politschuk hat selbst in den furchtbarsten Kriegstagen ihre dortige Wohnung nicht aufgegeben. Jetzt gebe es aber vielleicht keinen anderen Ausweg mehr, sagt die Rentnerin. „Sie haben angefangen, viel mehr zu feuern.“ Taschen mit dem Nötigsten und wichtigen Dokumenten hat sie schon an der Tür bereitgestellt.
Politschuk sagt, wenn die Russen einmarschierten, würde sie zu ihrer Tochter nach Kiew flüchten. Auch die 67-Jährige ist wütend. „Putin ist ein Mistkerl“, sagt sie. Der Kreml-Chef habe die fixe Idee, „ein Reich für sich zu schaffen, nach dem Vorbild der UdSSR“.
Über den Status von Donezk und Luhansk macht sich Jewgen Wassylenko keine großen Gedanken, er ist in Sorge wegen des zunehmenden Beschusses seiner Stadt. Er wolle nicht noch einmal erleben, „was 2014, 2015, 2016 passiert ist“, sagt der 30-jährige Fabrikarbeiter. „Das waren keine angenehmen Momente.“
Jewgen Zyganok musste schon einmal fliehen. Er kam nach der Eroberung von Donezk 2014 nach Awdijiwka. Der Konflikt bestimmt bis heute sein Leben. „Manchmal wird eine sehr große Granate oder so was abgeschossen und Du spürst das mit Deinem gesamten Körper“, sagt der 27-Jährige. „Aber wir haben nichts, wohin wir fliehen könnten, weil meine Eltern auf der anderen Seite sind, in Donezk“, sagt Zyganok. „Weder sie noch wir können irgendwohin. Das ist unser Land.“ (AFP)
De Maart
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