1. Dezember 2025 - 13.57 Uhr
Filmfestival in LuxemburgGeneration Widerstand: Die mangelhafte Aufarbeitung der Militärdiktatur im brasilianischen Kino
Der am vergangenen Samstag im Düdelinger CinéStarlight gezeigte „O Agente Secreto“ (2025) von Kleber Mendonça Filho spielt im Jahr 1977 während der brasilianischen Militärdiktatur. Der Film, nicht zuletzt von Kindheitserinnerungen des Regisseurs und seinem vorherigen Dokumentarfilm „Retratos Fantasmas“ inspiriert, handelt von Armando, einem ehemaligen Universitätsprofessor Anfang 40, der mit seinem VW Käfer von São Paulo nach Recife fährt. Wegen „subversiver Aktivitäten“ verfolgt, kommt er unter dem Decknamen Marcelo bei Dona Sebastiana unter, bei der noch andere Personen Schutz finden. Armando trifft seinen kleinen Sohn Fernando wieder, der nach dem Tod seiner Mutter bei den Großeltern mütterlicherseits aufwächst. Dona Sebastiana verschafft ihm eine Anstellung bei der örtlichen Meldebehörde.
Derweil engagiert der frühere Präsident des Energieunternehmens Eletrobrás namens Ghirotti zwei Auftragskiller auf Armando an. Ghirotti hatte einst die Fördergelder für die von Armando geleitete Forschungsgruppe gestrichen und zusammen mit seinem Sohn Armandos Frau entwürdigend behandelt. Armando trifft Elza, die dem politischen Widerstand angehört und Tonbänder mit den Geschichten politisch Verfolgter aufnimmt. Sie soll ihm einen falschen Pass besorgen, damit er mit Fernando ins Ausland fliehen kann. Armando alias Marcelo wird von Wagner Moura gespielt, bekannt unter anderem aus Filmen wie „Tropa de Elite“ (2007) und als Darsteller des Drogenbarons Pablo Escobar in der Netflix-Serie „Narcos“. Auch Mouras eigenes Regiedebüt „Marighella“ (2019) über den gleichnamigen Revolutionär und Theoretiker der Stadtguerilla spielt zurzeit der Diktatur: Nach dem Militärputsch von 1964 scheint die Mehrheit der Bevölkerung die Diktatur zu unterstützen. Unterdessen überfällt Carlos Marighella, gespielt von Seu Jorge, einen Zug, um Waffen zu erbeuten, sowie eine Bank. Vom Regime erbarmungslos verfolgt, erschießen die Stadtguerilleros den US-amerikanischen Botschafter. Marighella wird schließlich vom brasilianischen Geheimdienst exekutiert. Moura zeigt die Eigendynamik der Gewalt. Ihm wurde vorgeworfen, ein zu einseitig positives Bild von Marighella gezeichnet zu haben. Ähnliches hieß es auch über Sergio Rezendes Film „Lamarca“ (1994), in dem der Schweizer Botschafter entführt wird. Hauptperson ist der ehemalige Berufsoffizier Carlos Lamarca, der desertierte und sich der Untergrundbewegung anschloss. Rezende beschwört in seinem Film Parallelen zwischen Lamarca und Che Guevara.
Oscar-Kandidat
Für „O Agente Secreto“ stand Wagner Moura zum ersten Mal in einer brasilianischen Kinoproduktion seit Jahren wieder vor der Kamera. Zugleich ist es der letzte Auftritt des vergangene Woche verstorbenen deutschen Schauspielers Udo Kier. Der Film verbindet das Thema der politischen Gewalt mit einer schwarzen Komödie. Von der brasilianischen Filmakademie wurde er für eine Oscar-Nominierung 2026 ausgewählt. Mittlerweile hat er bereits zahlreiche Preise bei verschiedenen Festivals gewonnen, darunter die für den besten Schauspieler und die beste Regie in Cannes. Und Wagner Moura wird von der amerikanischen Presse als Oscar-Kandidat für den besten Schauspieler gehandelt.
Kleber Mendonça Filho untermalt die Geschichte mit „absurden komödiantischen Wendungen“, schrieb etwa die New York Times. Dabei vermische er „das Erhabene mit dem Vulgären und kombiniert das Raffinierte mit dem Groben (…). Das Leben kann brutal sein, aber es gibt auch Liebe, Musik, warme Sonne, kaltes Bier und natürlich Karneval.“ Der britische Guardian bezeichnete den Streifen als „eine außergewöhnliche und fast romanhafte Analyse der Korruption auf allen Ebenen“. Die Zeitung schreibt weiter, dass der Film noch „ehrgeiziger, komplexer und rätselhafter“ sei als „Ainda estou aqui“ von Walter Salles. Wie dieser ist Mendonça Filho davon überzeugt, dass sich in seinem Film Bezüge zum heutigen Brasilien herstellen lassen. „O Agente Secreto“ sei kein Film über die Diktatur, aber thematisiere er deren Netz aus Überwachung und politischer Verfolgung von Oppositionellen sowie die autoritäre und kriminelle Willkür der korrupten Sicherheitskräfte. Dies wird bereits in der Anfangsszene drastisch gezeigt: Als Armando mit seinem Auto an eine Tankstelle kommt, liegt dort eine seit Tagen verwesende Leiche. Der Gestank lockt streunende Hunde an. Weder der Tankwart noch zwei Polizisten kümmern sich darum. Letztere interessiert vor allem, wie sie ihre Karnevalskasse mit Schmiergeld aufbessern können.
Der Drang brasilianischer KünstlerInnen, sich mit dem Thema Diktatur auseinanderzusetzen, scheint weniger stark als in Chile und Argentinien.
Während der Militärdiktaturen war es in Südamerika so gut wie unmöglich, regimekritische Filme zu drehen, die meisten Filmschaffenden flohen ins Ausland. In den ersten Jahren nach der Rückkehr zur Demokratie gab es jedoch in Brasilien nur wenige Produktionen, die sich mit der diktatorischen Vergangenheit auseinandersetzten. „Dies hängt zum einen damit zusammen, dass mit der wirtschaftlichen Kahlschlag- Politik der Regierung von Collor de Mello die gesamte Filmindustrie des Landes jahrelang am Boden lag“, konstatiert Bettina Bremme in ihrem Buch „Movie-Mientos“ über die Geschichte des lateinamerikanischen Kinos. „Andererseits scheint der Drang brasilianischer KünstlerInnen, sich mit dem Thema Diktatur auseinanderzusetzen, weniger stark als in Chile und Argentinien, wo ja auch viele Filmleute extrem betroffen oder gezwungen waren, ins Exil zu gehen.“
Kurz nach dem Ende der Diktatur (1964-1985) drehte die 1949 geborene Journalistin und Filmemacherin Lúcia Murat „Que bom de te ver viva“ (1988) – auf Deutsch „Wie schön, dich lebend zu sehen“, ein schonungsloses Dokument über die Folgen der Folter bei Frauen. Lúcia Murat hatte selbst für die Guerilla gekämpft und in den 70er Jahren dreieinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. „Dies ist ein Film über die Überlebenden dieser Zeit“, heißt es im Vorspann. Die Regisseurin mischt dokumentarisches Material mit inszenierten Sequenzen, Interviews mit gefolterten Aktivistinnen und einer Szene, in der eine Frau Selbstgespräche führt. Die Folter hat sie gezeichnet, ihr Schmerz will nicht aufhören.
Schon während des Übergangs, der Phase der „abertura“, entstand „Beijo da mulher aranha“ (Kuss der Spinnenfrau), eine brasilianisch-US-amerikanische Koproduktion nach einem Roman des argentinischen Schriftstellers Manuel Puig über zwei Gefängnisinsassen: Molina ist wegen Verführung Minderjähriger hinter Gittern, und Valentin, weil er einer linken Untergrundorganisation angehört. Letzterer muss zusehen, wie seine Gefährten halbtot durch den Gefängnisflur geschleift werden, und wird selbst gefoltert. Das lateinamerikanische Land, in dem der Film spielt, ist nicht genauer definiert, aber zahlreiche Details weisen darauf hin, dass es sich um Brasilien handelt.
Blinder Fleck
Die brasilianische Militärdiktatur dauerte nicht nur länger als jene in Argentinien, Chile und Uruguay, sondern fand nach ihrem Ende generell nur eine mangelhafte Aufarbeitung. Eine Debatte darüber entzündete sich etwa 1996 an Bruno Barretos Verfilmung des Buches „O que é isso, companheiro?“ von Fernando Gabeira: In Rio de Janeiro halten die Guerilleros des „Movimento 8 de Outubro“ (MR-8) im September 1969 den US-Botschafter in einer Villa als Geisel. Sie wollen die Freilassung von 15 politischen Gefangenen und die Verlesung ihres Manifests in Radio und Fernsehen. Zu Beginn des Films haben sich der junge Journalist Fernando und sein Freund Cézar der Guerilla angeschlossen. Doch die beiden Intellektuellen eignen sich nicht für militärische Aktionen. Auch kommen ihnen Zweifel. Ein zentraler Konflikt entwickelt sich zwischen den jungen Guerilleros und zwei erfahrenen Kadern. Die „Vier Tage im September“, so der deutsche Titel, entwickeln sich zu einem Nervenkrieg. Auch die Anführerin Maria, die anfangs besonders tough wirkte, wird immer dünnhäutiger. Hauptdarstellerin Fernanda Torres erzählte später, dass die Generation, die am Widerstand teilgenommen hatte, besorgt darüber gewesen sei, wie sie im Film dargestellt werden würde: „Weil Bruno Barreto nie politisch engagiert war, waren sie skeptisch, ob es ihm wirklich gelingen würde, sie zu porträtieren.“
Die 1965 geborene Schauspielerin kritisierte, dass „die Geschichte der Diktatur in der offiziellen Darstellung nicht vorkommt“. In ihren Schulbüchern habe sie kein Wort über Gabeira oder andere Revolutionäre gelesen. Torres sprach von einer Informationslücke, einem blinden Fleck. Sie spielt übrigens auch die Hauptrolle in „Ainda estou aqui“ (Noch bin ich hier) von Walter Salles aus dem Jahar 2024. Im Zentrum des Oscar-prämierten Films steht die Politikergattin Eunice Paiva, die während der Diktatur ihren 1971 verschwundenen Ehemann Rubens sucht. Erst Jahrzehnte später erhält sie die Gewissheit, dass er zu den „Desaparecidos“ gehört, den Verschwundenen, die entführt, gefoltert und ermordet wurden.

„Festival du film brésilien“
Das diesjährige Festival, das vom 26. bis 30. November stattfand, organisiert von Cultura Brasileira em Luxemburgo unter Leitung von Dominique Santana, wurde mit dem Spielfilmdebüt „Manas“ der jungen Regisseurin und Drehbuchautorin Marianna Brennand Fortes eröffnet. Der Streifen aus dem Jahr 2024 war auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg mit dem International Newcomer Award und dem Student Award ausgezeichnet worden. Er handelt von der 13-Jährigen Tielle, die auf der Insel Marajó im Amazonas-Delta aufwächst, sexuell missbraucht wird und schließlich von der Insel flieht. Der Film basiert auf jahrelangen Recherchen der Regisseurin und konfrontiert mit der sexuellen Gewalt, der unzählige heranwachsende Frauen in der Region ausgesetzt sind. Das Festival endete am Sonntag mit „Iracema: Uma transa amazônica“ (1974) von Jorge Bodanzky über eine indigene Prostituierte und einen weißen Lastwagenfahrer, die in dem Bundesstaat Pará auf der Transamazonas-Fernstraße durch den Amazonas-Regenwald fahren. Die Aufnahmen sind teils dokumentarisch.
De Maart

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