Montag20. Oktober 2025

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Esch/AlzetteGaming ohne Grenzen – Wie ein Spieleprojekt Inklusion neu spielt

Esch/Alzette / Gaming ohne Grenzen – Wie ein Spieleprojekt Inklusion neu spielt
Brettspiele und Konsolen vereint: Beim Gaming Day ist für jeden etwas dabei Fotos: Carole Theisen

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Wie ein kleines Team aus freiwilligen Gamern mit dem „Gaming Day“ Barrieren einreißt, Menschen verbindet und warum es jetzt einen Gang zurückschalten muss.

Esch/Alzette, Samstag, 14.00 Uhr: Das Escher Jugendhaus füllt sich langsam mit neugierigen Besuchern. Kein Massenandrang, sondern eine entspannte Atmosphäre. Einige checken das Spieleangebot, andere haben sich längst ihre Lieblingskonsole gesichert. Keine Eintrittsgebühr, kein starrer Ablauf, keine festen Regeln – nur die eine Konstante: Alle sind willkommen!

Livia Braga und ihr Team testen Spiele, organisieren Events und sorgen für ein inklusives Spielerlebnis
Livia Braga und ihr Team testen Spiele, organisieren Events und sorgen für ein inklusives Spielerlebnis

Die Idee für diesen inklusiven Gaming Day wurde nicht einfach so aus dem Boden gestampft. Livia Braga, Leiterin des Projektes und Mitglied des Vereins „videogames.lu“, erinnert sich: „Wir waren auf einer Anime-Convention und haben gemerkt, dass viele Events nicht wirklich auf Menschen mit Behinderung ausgelegt sind. Also dachten wir uns: Warum nicht etwas Eigenes schaffen?“

Gaming für alle? Klingt gut, ist aber auf jeden Fall eine Herausforderung. Welche Spiele sind geeignet? Wie schafft man Barrierefreiheit? Braga und ihr Team haben monatelang recherchiert, getestet und gelernt: „Wir haben uns von August bis Februar auf das erste Event vorbereitet. Welche Spiele funktionieren für Menschen mit eingeschränkter Mobilität? Wie erklären wir Senioren ein neues Game? Hinter den Kulissen steckt also eine Menge Arbeit. Was nach Spaß und gemütlichem Zocken aussieht, ist minutiös geplant.
Ein wichtiger Beitrag kommt dabei von ‚Bei de Minettsdäpp‘ in Zusammenarbeit mit der Lëtzebuerger Blannevereenegung, die an der Entwicklung von Steuerungen für blinde Spieler arbeiten. Auch das Event profitiert von ihren Erkenntnissen.“

Wir wollten einfach einen Raum schaffen, in dem Gaming für alle zugänglich ist – ohne Barrieren, ohne Grenzen

Livia Braga, Projektleiterin

Aus einer Idee wurde schließlich ein durchdachtes Konzept, das dank der Organisation der Agentur Anefore über den European Solidarity Corps eine Förderung von 8.000 Euro erhielt. Damit konnte der Gaming Day ins Leben gerufen werden. Nicht als einmaliges Event, sondern als eine Reihe von monatlichen Veranstaltungen, die Gaming zugänglicher machen sollte. Das Besondere: Die Veranstaltung wandert: mal im Jugendhaus, mal in Altenheimen, mal in APEMH-Einrichtungen oder bei speziellen Workshops. Die Idee: Gaming als Werkzeug für Inklusion nutzen, Vorurteile abbauen und Menschen durch gemeinsame Erlebnisse verbinden. Ein besonderes Highlight fand im letzten Sommer statt, als das Team sogar eine Trophäe vom European Solidarity Corps erhielt – eine Anerkennung für seinen außergewöhnlichen Einsatz.

Lösungen fanden sich jedoch fast überall: „Wii Sports“ für Bewegungsfreiheit, „Timelines“ für Erinnerungsarbeit, „Rummikub“ zur Aktivierung des Gedächtnisses. Und wo es keine passenden Spiele gab, wurden sie einfach angepasst. Farbcodierte Karten bekamen Symbole, Gestensteuerung wurde vereinfacht, Spielregeln flexibel gestaltet.

Gaming als Therapie?

Gaming als Therapie-Tool? Klingt futuristisch, funktioniert aber. Besonders für Menschen mit Motorik-Problemen oder Autismus wurden gezielt Spiele ausgesucht. Braga, die selbst Autismus hat, erklärt: „Bewegungsgesteuerte Spiele wie Wii Sports helfen, motorische Fähigkeiten zu verbessern. Auch Musikspiele wie Wii Music können therapeutische Effekte haben, weil sie Rhythmus und Bewegung kombinieren.“

Marc Berbiche, Erzieher im Escher Jugendhaus, lobt das Konzept: „Es ist toll, weil es zwei Welten verbindet: klassische Konsolenspiele und Brettspiele. Auch wenn Brettspiele wieder im Trend sind, viele Jugendliche müssen sie erst noch entdecken. Und hier können sie das.“

Und tatsächlich – zwischen Switch-Controllern, Wii-Sports-Challenges und VR-Brillen sieht man immer wieder kleine Gruppen, die sich über Brettspiel-Klassiker wie „Mensch ärgere Dich nicht“ beugen. Bei Senioren besonders beliebt ist das Gedächtnisspiel „Timelines“, bei dem man historische Ereignisse in die richtige Reihenfolge bringen muss. „Wir haben Leute, die auf jedes Event kommen. Einer unserer Stammgäste ist ein älterer Herr, der immer dabei ist und jedes Mal als Erstes seine Bowling-Partie startet. Er liebt es“, freut sich Braga.

Game Over? Nicht ganz!

Doch ein Event wie der „Gaming Day“ funktioniert nicht ohne ein starkes Team und Verbündete. Vom Escher Jugendhaus über das Boardgame-Café „Bei de Minettsdäpp“ bis hin zu engagierten Einzelpersonen – das Netzwerk wuchs mit jeder Veranstaltung. Sarah Campill, M.Sc. in Gerontology, brachte wertvolle Expertise für den Umgang mit älteren Menschen ein. Lara Pierri von der Escher Jugendinfo half nicht nur mit der administrativen Organisation, sondern auch maßgeblich beim Aufbau des Projekts. Der Gaming-Laden „Le Reservoir“ stellt Material zur Verfügung und das Escher BiBSS vermittelt Kontakte zu Altenheimen.

Das Organisationsteam um Leiterin Livia Braga koordiniert das Projekt und sorgt für einen reibungslosen Ablauf: Raphael Kauffmann unterstützt beratend und administrativ. Gilles Tomasini kümmert sich um die IT und Logistik, während Julia Neuberg Social Media, Grafik und Logistik betreut.

Trotz des Erfolgs ist die Zukunft des Projekts ungewiss. Ursprünglich für ein Jahr geplant, wurde es verlängert, doch das Kernteam ist geschrumpft. Zeitmangel, berufliche Verpflichtungen – der Gaming Day fordert viel Einsatz. Livia Braga: „Wir machen auf jeden Fall noch bis Ende des Jahres weiter, aber dann schauen wir. Vielleicht reduzieren wir auf Events alle drei bis vier Monate.“