Wieder einmal steht Rumäniens Parlamentswahl im Schatten der traditionell im Karpatenstaat stärker frequentierten und wahrgenommenen Präsidentschaftswahlen. Selbst unmittelbar vor der zwischen die beiden Runden der Präsidentschaftswahlen gequetschten „Sandwich“-Wahl der neuen Volksvertretung am Sonntag sorgt vor allem das Tauziehen um eine etwaige Annullierung des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftskür samt der am Freitag begonnenen Neuauszählung aller Stimmen für Schlagzeilen.
Zwei vorzeitig ausgeschiedene und weit abgeschlagene Kandidaten hatten diese Woche die Annullierung des Urnengangs beantragt. Der mit dem Verweis auf die undurchsichtige Finanzierung des TikTok-Wahlkampfs des prorussischen Etappensiegers Calin Georgescu begründete Annullierungsantrag wurde vom Verfassungsgericht am Donnerstag einstimmig abgelehnt. Zur Überprüfung der Vorwürfe von Wahlverstößen der zweitplatzierten liberalen USR-Chefin Elena ordneten die Verfassungsrichter hingegen die Neuauszählung der Stimmen an.
Die oppositionelle USR argwöhnt, dass der von den regierenden Sozialisten (PSD) dominierte Gerichtshof mithilfe der intransparenten Neuauszählung dem in der ersten Runde als Dritter knapp gestrauchelten PSD-Premier Marcel Ciolacu doch noch zum Einzug in die Stichwahl verhelfen soll.
Bis Sonntagabend soll das Ergebnis der Neuauszählung vorliegen: Sollte der Gerichtshof am Montag dem Annullierungsantrag stattgeben, könnte die erste Runde der Präsidentschaftskür am 15. Dezember wiederholt werden und die eigentlich am 8. Dezember angesetzte Stichwahl am 29. Dezember steigen.
Welche Folgen nach Überraschungssieg
Wohin steuern Rumäniens unberechenbare Wähler und Richter den Karpatenstaat? Hitzige Webdebatten gehen vor der Parlamentswahl mit Straßenprotesten gegen das Erstarken der Rechtsextremisten gepaart. Die meisten der diskreditierten Meinungsforschungsinstitute hielten sich nach ihrem Prognosendebakel zum Auftakt der Präsidentschaftswahlen in den letzten Tagen mit Umfragen zurück. Erst am Freitag wagte das AtlantisIntel-Institut, eine neue Vorwahlprognose zu veröffentlichen: Sie sieht die prorussischen Nationalisten der AUR (22,4 Prozent) vor der sozialistischen PSD (21,4 Prozent), der liberalen USR (17,5 Prozent) und der konservativen PNL (13,4 Prozent).
Doch nicht nur, weil der Parlamentseinzug der ultranationalistischen SOS und der neuen, durch TikTok kräftig unterstützten „Jungen Volkspartei“ (POT) noch unklar ist, stochern die Analysten im Nebel. Denn außer der Unverlässlichkeit der Prognosen überschatten zahllose Unwägbarkeiten die Parlamentswahl. Sie verstärken das Gefühl der Unsicherheit – und einer sich verschärfenden Krise.
Es sind die schwer einzuschätzenden Folgen des Überraschungstriumphs von Georgescu, die die Analysen zum Ausgang der Parlamentswahl erschweren. Wird der Großteil der über zwei Millionen Wähler des parteilosen Georgescu (22,94 Prozent) tatsächlich für die rechtsextremistischen AUR, SOS oder POT stimmen? Oder wird ein Teil seiner Protestwähler den Urnen fernbleiben oder gar für die etablierte Konkurrenz votieren? Wie stark oder wie schwach sind die Partner der bisherigen Koalition, die sozialistische PSD und konservative PNL, nach dem Wahldebakel und den Abtritten ihrer Vorsitzenden? So sicher wie Zugewinne für rechtsextreme Oppositionsparteien scheinen kräftige Verluste für die „Systemparteien“ PSD und PNL – trotz des Blitzaustausches ihres Führungspersonals.
Regierungsbildung wird schwierig
Unklar ist, in welchem Ausmaß der Einzug der URS-Chefin Lasconi in die Stichwahl ihrer Partei zusätzliche Wähler erschließt. Doch selbst, wenn die liberale USR – wie erwartet – der PNL als stärkste Kraft im bürgerlichen Lager den Rang ablaufen sollte, könnte sie Schwierigkeiten haben, die anvisierte Regierungsmehrheit unter ihrer Führung und ohne Rechtsextremisten zu realisieren. Denn die Gräben zwischen der vehement gegen Korruption streitenden USR und der Klüngel- und Seilschaftspartei PSD sind tief.
Offen ist auch die Frage, ob die verstärkten Debatten über die prorussische Orientierung und undeutliche Wahlkampffinanzierung von Georgescu dessen Wähler abschrecken – oder in ihrem rechtsextremen Protestvotum bestärken.
Sicher scheint, dass eine noch stärkere Fragmentierung des Parlaments durch die Rechtsextremisten den Koalitionspoker komplizieren dürfte. Koalitionspotenzial haben Parteien wie die AUR oder SOS zwar kaum. Doch sollten erneut über ein Drittel der Wähler für Rechtsextremisten votieren, sind Probleme bei der Regierungsbildung absehbar.
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