Dienstag11. November 2025

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EditorialFür Erfolg braucht es Einsicht: Über Zwist zwischen Verband und Spitzensportler

Editorial / Für Erfolg braucht es Einsicht: Über Zwist zwischen Verband und Spitzensportler
Nafissatou Thiam reiste mit viel Enttäuschung im Gepäck zurück nach Hause Foto: AFP/Ben Stansall

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Am Samstag wird mit Charel Grethen einer der erfolgreichsten Luxemburger Leichtathleten der vergangenen Jahre von der großen Bühne abtreten. Seine Sportlerkarriere beendet er nur wenige Tage nach seinem Start über 1.500 Meter bei der Weltmeisterschaft. In Tokio stand auch die jamaikanische Kult-Sprinterin Shelly-Ann Fraser-Pryce mit ihren 38 Jahren ein letztes Mal am Startblock. Eine andere Medaillen-Abonnentin war derweil vorzeitig von der WM abgereist – und das nicht unbedingt aus Überzeugung. Die Aufgabe der Belgierin Nafissatou Thiam löste einen Leichtathletik-Skandal im eigenen Land aus. 

Das Tauziehen um die 31-Jährige begann schon vor ein paar Wochen, als sich die dreifache Olympiasiegerin im Siebenkampf weigerte, einen Verhaltenskodex zu unterschreiben, den ihr der belgische Verband vorgelegt hatte. Der Grund: Während der WM pochte Belgian Athletics auf eine Bildrecht-Klausel, wonach es ihren Athleten untersagt war, persönliche Sponsoren in den sozialen Medien zu zeigen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Nominierten, die Logos der Verbandssponsoren zu präsentieren. Dabei wird Thiam privat von einem Ausrüster und einem Versicherungsunternehmen gesponsert – ausgerechnet zwei Konkurrenten der Partner des Verbands, mit denen erst Anfang des Jahres Verträge unterzeichnet wurden.

In diesem außersportlichen Kampf waren Argumente beider Seiten nachvollziehbar. Der Verband ist auf die Unterstützung seiner Sponsoren angewiesen. Für die Leichtathletin dagegen ist es unmöglich, nur von Preisgeldern zu leben. Auch sie muss den Erwartungen ihrer Geldgeber nachkommen. 

Ein Konsens konnte trotz Gesprächen vor dem Start des Wettkampfs nicht gefunden werden. Der Verband gab nach, berief sein Aushängeschild ins WM-Aufgebot. Thiam war die einzige belgische Starterin, die das Regelpapier nicht unterschrieben hatte. Das Resultat: verhärtete Fronten und eine psychisch beeinträchtigte Vorbereitung für eine der größten Medaillenhoffnungen des Landes. Denn in Tokio angekommen, eskalierte der Konflikt. Thiam machte öffentlich, dass man ihr kein Hotelzimmer für das Trainingslager reserviert habe.

Den endgültigen Bruch löste ein Foto aus, das die Athletin auf einem Klappstuhl außerhalb des Stadions zeigte. Ihr privater Physiotherapeut, der sie in ihrer Wahlheimat Südafrika betreut, behandelte sie auf einem Bürgersteig. Belgian Athletics hatte ihn nicht für das Event akkreditiert. Die Erklärung des Verbands: Man könne nicht 30 Athleten einen eigenen Medizinstab zur Verfügung stellen. Zudem bezichtigte man Thiam der Lüge, was die Bedingungen im Trainingslager anging. Der (sportliche) Ausgang dieser „histoire belge“ ist inzwischen bekannt. Die 31-Jährige blieb nach den Tagen des Streits weit hinter den Erwartungen und Medaillenrängen zurück, gab den Wettkampf unter Tränen auf. 

Das Ganze erinnert auch stark an das Kapitel um die Luxemburger Tischtennisspielerin Sarah de Nutte, die 2024 bei den Olympischen Spielen in Paris das Vorgehen der FLTT anprangerte. Die Causa Thiam wirft eine ethische Frage im Spitzensport auf: Darf eine Ausnahmeathletin auf eine Sonderbehandlung bestehen? Die Antwort lautet in diesem Fall ja. In ihrem Alter, aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Palmarès, dürfte Thiam ganz genau wissen, was sie für erfolgreiche Wettkämpfe braucht. Hier wurde nicht im Sinne des Sports gehandelt, sondern ein peinliches administratives Armdrücken – sichtbar für die ganze Welt – aufgeführt.