Am Anfang kostet es uns mächtig Überwindung, die zarten, grünen Triebe einfach abzubrechen. Vor allem, wenn wir daran schon winzige Träubchen erkennen können. Was sich wie die mutwillige Sabotage unseres Weinbau-Projektes anfühlt, ist in Realität jedoch lebenswichtig für die Weinreben in unserer Domaine Tageblatt. Zum Schutz vor Krankheiten und für die nachhaltige Entwicklung der Rebstöcke. Es ist Donnerstagmorgen, kurz nach acht Uhr morgens. Die Sonne wärmt die Hänge der Mosel an diesem Maitag bereits ungewöhnlich stark. Winzerin Corinne Kox kniet neben einem Rebstock und erklärt dem Tageblatt-Team, welche Arbeiten heute im Weinberg anstehen. Das schöne Wetter der vergangenen Wochen hat die Triebe an unseren Rebstöcken explodieren lassen. Es wird höchste Zeit, sie zu „putzen“.

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Ausbrechen für nachhaltige Entwicklung
Mit geübter Hand pflückt Corinne einige noch junge Reben ab. Währenddessen erklärt sie uns, welche Triebe wir stehen lassen sollten – und welche geschnitten werden müssen. Saftig grüne Reben fallen zu Boden. Für uns fühlt sich das noch immer komisch an, wir sind zögerlich. Corinne lacht. „Mein Vater wäre schockiert, wenn er sehen würde, dass wir Reben in diesem Stadium auf den Boden werfen.“ Eine andere Generation Winzer, in der man nichts verschwenden wollte. Tatsächlich aber sind der Putz und das Ausbrechen sehr wichtig für die nachhaltige Entwicklung der Pflanzen, wie uns Corinne erklärt. Im Grunde geht es um die Frage: Wie viele Reben kann jeder einzelne Rebstock mit Energie versorgen? Wie viel schafft er? „Man muss sich jeden Rebstock, jede Pflanze ganz genau anschauen“, sagt Corinne. „Wir sind hier in einem sehr alten Weinberg, jede Rebe hat sich individuell entwickelt.“

Nach der Einführung trauen wir uns nach und nach selbst an die Rebstöcke. Am Anfang fragen wir noch bei jeder zweiten Rebe nach: Darf ich die abbrechen? Oder muss die stehen bleiben? Je mehr Zeit vergeht, desto weniger werden jedoch unsere Fragen. Die Sonne steigt, eine meditative Stille senkt sich über den Weinberg.
„Coursan“ und „Baguette“

In der vergangenen Woche sind unsere Rebstöcke mit Pflanzenschutzmittel behandelt worden. Heute leisten wir mit unseren Händen und ein paar Scheren einen weiteren Beitrag zum Schutz der Reben vor Pilzkrankheiten. Man beginnt unten am Fuß der Rebe. Alle Triebe und Knospen, die aus dem alten Holz wachsen, müssen gesäubert werden. „Weil sonst der Mehltau vom Boden auf die Blätter hochspringen und dann auch den Rest infizieren kann“, sagt Corinne. Es braucht eine physische Barriere. Nach dem Fuß geht es an den Hauptteil des Stocks. Hier wird die Sache für uns Laien kompliziert. Um entscheiden zu können, was stehen bleiben darf und was weg muss, müssen wir zuerst den sogenannten „Coursan“ identifizieren. Das ist der Teil des jungen Holzes, der für das kommende Jahr aufbewahrt wird. Neben dem „Coursan“ darf noch ein zweiter Trieb stehen bleiben, der im kommenden Jahr als sogenannte „Baguette“ dienen kann, der Teil, aus dem die Reben mit den Trauben wachsen werden. „Das ist unser Aufbau, um den natürlichen Fluss im Stamm beizubehalten“, sagt Corinne.
Nach den zukünftigen „Coursan“ und „Baguette“ kommen wir zum Wuchs der aktuellen Reben. Auch hier müssen wir ausbrechen. Corinne erklärt uns, dass das Wachstum der Reben auf der horizontal gebundenen „Baguette“ möglichst gleichmäßig sein soll. Ein Zeichen, dass der Rebstock genug Energie für alle Reben produziert. Bei vielen unserer Rebstöcke beschreiben die Reben jedoch eher eine Kurve. Am Anfang und am Ende stark, in der Mitte dünn. Wir waren zu vorsichtig beim Rebschnitt im Winter, das rächt sich jetzt. Einige „Baguettes“ sind zu lang, der Stock hat nicht genug Energie, die Reben wachsen ungleich. An manchen Stellen lässt sich das noch korrigieren, an den meisten müssen wir damit leben.
Luftige Laubwand
Corinne schaut auf unsere Reben: „Man kann jetzt schon zählen, wie viele Trauben man haben wird, wenn alles gut ausgeht.“ So weit sind wir an diesem Tag noch nicht. Unsere gesamte Konzentration geht für das Ausbrechen der Reben drauf. Wir entfernen Triebe, die aus demselben Auge wachsen. Es soll keine Doppelungen geben, die Laubwand muss luftig bleiben. „Damit sie schnell abtrocknen kann, sollte es viel regnen, so wie letztes Jahr“, sagt Corinne.
Regen ist für die nächsten Tage nicht angesagt. Die Reben auf unserem Weinberg sprießen munter weiter in der Sonne. Alle drei bis vier Wochen werden wir sie jetzt putzen müssen, erklärt uns Corinne. Das bedeutet wohl, den ein oder anderen Zwischenstopp in Remich einzulegen, wenn einer von uns gerade in der Nähe ist.
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