Die „Schungfabrik“ wird zum offenen Ort für Kunst, Geschichte und Begegnung: Am kommenden Samstag findet das Festival „This is a Human’s World“ in Tetingen (Gemeinde Kayl) statt. „Das Festival hat immer einen Aufhänger – in diesem Jahr beleuchten wir die Frauen in der Industriegeschichte und ihre vergessenen Stimmen“, so Marieke Jarvis, Event-Organisatorin der Gemeindeverwaltung und Sekretärin des „Musée vun der Aarbecht“ (MUAR).

Was 2020 als Pandemie-taugliches Kulturformat begann, hat sich inzwischen als eigenständiges Festival mit Haltung etabliert. Die Idee: gesellschaftlich relevante Themen auf kreative Weise erfahrbar machen – interdisziplinär, niederschwellig und inklusiv. Musik trifft auf Performance, Theorie auf Praxis, Vergangenheit auf Zukunft. „Wir möchten die Geister unserer Industriegeschichte rufen, sie willkommen heißen, ihnen zuhören und sie dann wieder vertreiben“, erzählt Pascal Useldinger, künstlerischer Leiter der „Schungfabrik“. Was fast schon wie ein Ritual klingt, stellt den roten Faden des multidisziplinären Festivals dar: das kulturelle und geschichtliche Erbe ehren, zeitgenössisch aufgreifen und verarbeiten.
Useldinger drückt dem Kulturprogramm seit 2020 seinen Stempel auf: „Kayl/Tetingen hat irgendwie immer schon anders getickt und wir führen diesen Gedanken weiter – quasi Innovation als Tradition.“ Die Geschichte der beiden Dörfer in einen zeitgenössischen Rahmen zu setzen, gelingt den Kulturbeauftragten nicht nur mit Festivals wie dem „This is a Human’s World“, auch das 2022 eröffnete „Musée Ferrum“ erzählt unter anderem die Geschichten aus der Zeit, in der im heutigen Kulturhaus noch Schuhe hergestellt wurden.
Punk-Konveniat mit Parking-Flair
Die Gemeinde Kayl zählt fast 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Umso beachtlicher ist es, dass die „Schungfabrik“ inklusive Museum mit einer abwechslungsreichen Programmierung keineswegs im Schatten anderer Gemeinden stehen muss. „Wir haben eine große Spielwiese mit vielen Freiheiten“, sagt Marieke Jarvis. Das merkt man auch bei der alljährlichen „Fête de la musique“, die sich in den vergangenen Jahren mit alternativen Acts wie Black Flag, New Model Army und Refused landesweit einen ganz eigenen Namen machte.
Es gibt kaum dokumentierte Geschichte über die Frauen aus der Minett-Region
Für das „Konveniat der alteingesessenen Punks“, wie es einige Musikbegeisterte nennen, braucht es lediglich eine Bühne auf einem Parkplatz im Kayler Dorfkern. Useldinger wuchs in Tetingen auf und war selbst als Frontsänger der Hardcore-Band dEFDUMp 15 Jahre lang im internationalen Musikbusiness unterwegs. Heute bringt er gemeinsam mit seinem Team den Punk-Spirit wieder zurück in die Gemeinde und versucht in der Rolle des Kulturvermittlers die Menschen zusammenzubringen – und gleichzeitig zu empören. „Die Gestaltung unseres Kulturprogramms ist sehr intuitiv: Wir arbeiten mit Konzepten und vieles läuft in Eigenregie“, so Useldinger. „Letztendlich gibt es dabei immer wieder Zufälle, die uns auf magische Weise in eine gewisse Richtung leiten.“
Theater als Erinnerungsarbeit

Ein Beispiel für diese magischen Zufälle ist die diesjährige Thematik des „This is a Human’s World“: „Theaterpädagogin Natalia Sanchez trat an uns heran und schlug uns das Projekt ‚Les Troyennes de la mine‘ rund um das Thema der vergessenen Frauen in der Industriegeschichte vor“, erklärt Useldinger. „Die Produktion wurde sofort zum zentralen Thema der gesamten Ausgabe.“ Aus einer ursprünglich universitären Recherche über Frauen im Minett entwickelte sich ein neunmonatiger Arbeitsprozess, der Wissenschaft, Kunst und persönliche Erinnerung miteinander verbindet. „Es gibt kaum dokumentierte Geschichte über die Frauen aus der Minett-Region“, erklärt Natalia Sanchez im Tageblatt-Interview. Gemeinsam mit sieben Studentinnen und dem Schriftsteller Jean Portante, der das Stück verfasste, möchte man das Unsichtbare sichtbar machen. „Auf der Bühne stehen 15 Frauen im Alter zwischen acht und 65 Jahren – sie verkörpern Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen von Industriearbeitern“, so die Theaterpädagogin. Georges Urwald, Lex Gillen und Gérard Delesse untermalen das Stück musikalisch.
Das Stück beginnt in den 1970ern und reicht bis zur Covid-Zeit. Jede Darstellerin entwickelte ihre Figur selbst, teilweise inspiriert von Familiengeschichten. Begleitet wird die Aufführung von der Ausstellung „Still Images“. „Fotografien und Erzählfragmente zeigen den Alltag der Minett-Frauen und machen deutlich, dass Geschichte nicht im Archiv verstauben muss, sondern auf der Bühne – oder in der zeitgenössischen Fotografie – weiterlebt“, so Sanchez. „Wir kennen zum Beispiel die Geschichten der hart arbeitenden Männer in den Minen, die der Frauen sind aber genauso wichtig.“
Breitgefächertes Festivalprogramm
Neben dem Theaterprojekt umfasst das Festival weitere Programmpunkte: unter anderem eine partizipative Klangperformance mit Trommeln und Soundtracks von „Beat the Drum“, eine Leseecke zu feministischer Science-Fiction der „Science Fiction and Fantasy Society“, ein Workshop über vergessene Frauengesichter vom „Centre national de la culture industrielle“ (CNCI) – und als Abschluss ein Konzert der Berliner Performance-Band Hannelore, die irgendwo zwischen Punk, brachialer Kunst und Theateraufführung einzustufen ist.
Die „Schungfabrik“ wird am Samstag zum offenen Raum für alle, der Eintritt ist frei. Ab 16.00 Uhr heißt es dann kommen, entdecken, mitmachen. Oder wie es das Festivalteam formuliert: „Come together – and let yourself be surprised.“
Das Programm
– 16.00-17.00: Führung durch die Wanderausstellung „Beyond the Frame“ (Musée Ferrum)
– 17.00-17.45: Konferenz mit Dr. Inna Ganschow, präsentiert vom MUAR: „Ouvrières de l’Est dans l’industrie sidérurgique luxembourgeoise“ (Salle multifonctionnelle, Musée Ferrum)
– 18.30-20.00: „Beating the Drum“ (Salle des fêtes)
– 20.30-21.30: „Les Troyennes de la mine“, von Jean Portante (Salle Schortgen)
– 22.00-22.45: Konzert von Hannelore
Ganztags: Besichtigung der Ausstellungen, Workshops, Secondhand-Markt, Foodtruck
De Maart

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