Samstag1. November 2025

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Ukraine-KriegFortschritte bei Verhandlungen, doch die russische Armee nimmt verstärkt Zivilisten ins Visier

Ukraine-Krieg / Fortschritte bei Verhandlungen, doch die russische Armee nimmt verstärkt Zivilisten ins Visier
Eine Frau sucht nach einem Bombeneinschlag in Kiew Trost  Foto: AFP/Aris Messinis

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In der Ukraine wird weiter erbittert gekämpft. Präsident Selenskyj und Russlands Staatschef Putin treten mit scharfer Rhetorik auf. Hinter den Kulissen wird aber an Kompromissen gearbeitet, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.

„Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, sind direkte Gespräche der beiden Präsidenten – und das könnte schon bald passieren“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Mittwoch dem US-Sender PBS. Demnach würden Dokumente ausgearbeitet, die Staatschef Wolodymyr Selenskyj und der russische Präsident Wladimir Putin dann vereinbaren und unterzeichnen können.

Die Zeitung Financial Times berichtete von einem 15-Punkte-Plan, an dem beide Seiten arbeiteten. Podoljak betonte aber auf Telegram, dieser gebe nur die russischen Forderungen wider. Der Zeitung zufolge wird über einen neutralen Status für die Ukraine verhandelt, sie soll aber eine eigene Armee behalten. Staaten wie die USA, Großbritannien und die Türkei sollen zusätzlich die ukrainische Sicherheit garantieren. Das fragliche Papier soll schon einige Tage alt sein.

Selenskyj hatte bereits in der Nacht zu Mittwoch erklärt, die Verhandlungspositionen hörten sich realistischer an. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach am Mittwoch beim Sender der russischen Zeitung RBK von einer „gewissen Hoffnung, einen Kompromiss zu erzielen“. Aussichten für ein Treffen Putins mit Selenskyj dämpfte Lawrow aber.

Angriffe auf Theater

Für einen vermeintlichen Angriff auf Hunderte Zivilisten in einem Theater in Mariupol gaben sich Kiew und Moskau gegenseitig die Schuld. Russische Soldaten hätten am Mittwoch keine Luftangriffe gegen Bodenziele in Mariupol ausgeführt, teilte das russische Verteidigungsministerium der Agentur Interfax zufolge mit. „Nach verfügbaren zuverlässigen Daten“ hätte das ukrainische nationalistische Regiment Asow das zuvor bereits verminte Theatergebäude attackiert, hieß es.

Zuvor hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Russland „ein weiteres entsetzliches Kriegsverbrechen in Mariupol“ vorgeworfen. Das Gebäude sei vollständig zerstört. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Auch Angaben zu Opfern lagen zunächst nicht vor. Zudem wurden nahe Mariupol bei einem Raketenangriff auf einen Flüchtlingskonvoi nach ukrainischen Angaben mehrere Menschen getötet.

In Tschernihiw eröffneten russische Soldaten der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft zufolge das Feuer auf Menschen, die vor einem Lebensmittelladen anstanden, um Brot zu kaufen. „Nach vorläufigen Erkenntnissen wurden zehn Zivilisten getötet.“ Es sei eine Untersuchung wegen „vorsätzlichen Mordes“ eingeleitet worden. Tschernihiw liegt rund 150 Kilometer nördlich von Kiew an der Grenze zu Belarus. Unter den Trümmern eines Wohnhauses in Tschernihiw wurden außerdem fünf Tote geborgen, drei von ihnen Kinder, wie Rettungskräfte mitteilten.

Ich denke, er ist ein Kriegsverbrecher

US-Präsident Joe Biden am Mittwoch über den russischen Präsidenten Wladimir Putin

Auch Kiew wurde am Morgen erneut angegriffen. Der ukrainische Rettungsdienst sprach von zwei Toten, nachdem ein Wohnhaus beschossen worden war. AFP-Reporter hörten Explosionen und sahen Rauchsäulen. In Charkiw im Nordosten starben auf einem Markt drei Menschen durch ein Feuer infolge eines Bombenangriffs, wie Rettungskräfte mitteilten.

Öffentlich ließen Selenskyj und Putin keine Kompromisssignale erkennen. „Russland hat den ukrainischen Himmel zur Quelle des Todes für Tausende Menschen gemacht.“ (…) „Das ist ein Terror, wie ihn Europa seit 80 Jahren nicht mehr erlebt hat“, sagte der ukrainische Präsident in einer Rede per Videolink vor beiden Kammern des US-Kongresses. Selenskyj forderte mehr militärische Unterstützung, neue Sanktionen gegen Russland und erneut die Einrichtung einer Flugverbotszone.

US-Präsident Joe Biden kündigte weitere Waffenlieferungen und Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 800 Millionen Dollar an. Biden attackierte zugleich Putin scharf. „Putin richtet in der Ukraine entsetzliche, entsetzliche Verwüstungen und Schrecken an und bombardiert Wohnhäuser, Entbindungsstationen und Krankenhäuser“, sagte der US-Präsident.

Nach den Worten Putins drängen die „westlichen Schutzherren“ die Ukraine zur Fortsetzung des Blutvergießens. Sie lieferten Waffen, Informationen und schickten Söldner in das Nachbarland, sagte er in Moskau. Russland werde nicht zulassen, dass die Ukraine zum „Aufmarschgebiet einer Aggression gegen Russland“ werde. Putin versicherte, russische Truppen nahe Kiew oder in der Nähe anderer Städte bedeuteten nicht, dass sie die Ukraine besetzen wollten. „Ein solches Ziel haben wir nicht.“

Der Internationale Gerichtshof ordnete am Mittwoch an, dass Russland die militärische Gewalt sofort beenden müsse. Das höchste UN-Gericht gab damit einer Klage der Ukraine statt. Russland blieb der Verlesung der Entscheidung in Den Haag fern. Der Richterspruch ist bindend, Experten bezweifeln aber, dass Moskau sich daran halten wird. Das Gericht besitzt keine Machtmittel zur Umsetzung seiner Entscheidungen. Selenskyj wertete das Votum als „vollständigen Sieg über Russland“ und forderte die Umsetzung durch Moskau. „Das Urteil zu ignorieren, bedeutet für Russland noch größere Isolation.“ (dpa, AFP)