Laura Steil und das Team des „FerroForum“ sind bestürzt. Seit letztem Jahr veranstalten sie gemeinsam die Partyreihe „Feierowend“, welche die Feierkultur an der Escher „Grenz“ in der Nachkriegszeit wiederaufleben lässt. Jetzt bietet „frEsch“ im Rahmen der „Biennale 2024“ mit „Lëtz’Dance“ ein ähnliches Konzept an – doch Steil und das „FerroFroum“ blieben bei der Organisation außen vor. Gemeinsam richteten sie sich deshalb mit einem Brief an den Verwaltungsrat von „frEsch“.
Post für „frEsch“
In dem Schreiben bedauern Steil und das Team des „FerroForum“ die ausbleibende Kommunikation und Koordination kultureller Aktivitäten in Esch vonseiten von „frEsch“. Es werde nicht transparent über bevorstehende Projekte kommuniziert, die Themen aufgreifen, mit denen sich lokale Akteur*innen bereits befassen. Allgemein fehle es an der Bereitschaft, im Rahmen der „Nuits de la culture“, die „frEsch“ inzwischen verwaltet, mit jenen zusammenzuarbeiten. Dies widerspreche den Absichten, die im Escher Kulturentwicklungsplan „Connexions II“ festgehalten wurden. Doch es ist auch von Taktlosigkeit gegenüber von Laura Steil die Rede.
Die Postdoktorandin am „Centre for Contemporary and Digital History“ (C2DH) an der Universität Luxemburg verfolgt seit 2020 das historische Forschungsprojekt „Feieren. Fester, Musek an Danz am Minett“; untersucht als Teil der Forschungsgruppe „Popkult 60“ zudem die europäische Popkultur der 1960-er Jahre. Wichtig: Die Verantwortlichen von „frEsch“ wissen das. Sie erhielten schon vor vier Jahren Einblick in Steils Projekt, als sie dem „Service culturel“ der Stadt Esch und Loïc Clairet – heute Generaldirektor von „frEsch“, damals Leiter der „Nuit de la culture“ – ein entsprechendes Dossier aushändigte.
„Pour la petite histoire“
Es folgten Gespräche mit Clairet, der Kulturfabrik und dem Escher Theater. „Clairet war dabei, hörte aber vor allem zu“, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Tageblatt. „Es stand im Raum, 2022 ein eigenes Event bei der ‚Nuit de la culture‘ an der ‚Grenz‘ zu veranstalten, doch dazu kam es nie. Zwar fand eine Art Tanzball statt, doch das hatte nichts mit meinem Konzept gemein und das dargebotene Repertoire spiegelte in keiner Weise die Musik der damaligen Zeit.“ Steil schwebte ein intergenerationelles Orchester vor, bei dem Zeitzeug*innen und jüngere Musiker*innen gemeinsam authentische Tanzmusik aus der Nachkriegszeit spielten. Eine Idee, die Clairet und sein Team nicht übernahmen.

Steil veranstaltete in der Zwischenzeit u.a. Tanzbälle mit der Escher Kulturfabrik und der „Swing Dance Luxembourg“ („Swingin’Esch“, 2022), bevor sie mit dem Team des „FerroForum“ in Kontakt trat und sie „Feierowend“ (2023) ins Leben riefen. Auch mit dem Escher Theater besteht der Austausch fort. Weitere Veranstaltungen und ein Buch zum Projekt, das zusammen mit dem „FerroForum“ entsteht, sind derzeit in Planung. Von „frEsch“ wurde Steil hingegen nicht mehr auf ihr Projekt angesprochen.
Das sagt „frEsch“
Auf Nachfrage des Tageblatt schreibt „frEsch“ dazu: „Les travaux de recherche remarquables de Mme Steil, avec qui nous avions échangé en 2020, traitent d’un sujet en effet connexe, mais avec une approche universitaire qui ne correspond pas à notre proposition artistique. Il n’était donc pas pertinent de l’associer à cet événement.“ Das sieht Steil anders, immerhin bemüht sie sich um die Einbindung der breiten Öffentlichkeit. „Mir ist es wichtig, Bürger*innen in meine Forschung einzubeziehen und ihnen Erlebnisse zu ermöglichen“, unterstreicht sie.
Den Vorwurf, „frEsch“ habe sich ungefragt an Steils Ideen bedient, wollen die Verantwortlichen nicht auf sich sitzen lassen – und holen weiter aus: Die Idee für „Lëtz’Dance“ beruhe nicht auf dem Austausch mit Steil, sondern sei in Absprache mit dem „Conservatoire“ und dem „Service culture“ der Stadt Esch entstanden „qui souhaitaient faire renaître, comme c’était le cas jadis, le Grand Bal annuel du Conservatoire“.
Davon ist im Veranstaltungstext zu „Lëtz’Dance“ keine Rede, dort heißt es nämlich gleich zu Beginn: „Saviez-vous que jusque dans les années 1960, Esch-sur-Alzette était le bastion des soirées festives ? Les dancings et salles de bal faisaient vibrer la rue d’Audun, dans la région frontalière ,Esch-Grenz‘.“ Dies deckt sich übrigens nur teilweise mit dem Line-up in den verschiedenen Cafés: Dort wird stattdessen u.a. orientalische und kapverdische Musik sowie Hip-Hop und Rock aus den 1970er-Jahren geboten. „Les dancings de l’époque sont une inspiration, mais plus d’un point de vue de l’ambiance que de la proposition artistique de l’époque“, erklärt „frEsch“.
Weiter im Text wird die Veranstaltung zwar mit dem Musical „SL’ESCH“ über Migration und die Geschichte des Escher „Conservatoire“ in Verbindung gebracht, doch dasselbe gilt für andere Events rund um die „Biennale 2024“. Die Tanzbälle sind in der Tat nur eine von vielen Veranstaltungen, die „frEsch“ am Wochenende präsentiert, und das Motto „Lëtz’Dance“ als Übertitel zu verstehen. Die Parallelen zu den Events von Steil und dem „FerroFroum“ bestehen trotzdem fort. Auch erklärt es nur bedingt, warum kein Austausch stattfand, zumal „frEsch“ betont: „C’est en concertation avec les institutions culturelles de la ville, comme tous les autres projets proposés dans le cadre de la Biennale Esch Capitale culturelle, que l’orientation de cet événement (…) a été choisie.“
Mix statt Kopie?

Führt „frEsch“ als Grund für den Ausschluss von Steil und des „FerroForum“ in erster Linie die Auslegung des Gesamtkonzepts an, fällt ein weiteres Detail auf: Loïc Clairet, zuvor im Kontext der Kulturhauptstadt Mons 2015 bei der „Fondation Mons 2015“ beschäftigt, entwickelte seinerzeit selbst das Tanzballkonzept „Tout Mons Dance“. Dieses Projekt vereint – wie Lëtz’Dance – u.a. Tanzveranstaltungen mit einem Brunch und weiteren Events. „Les représentants de la ville d’Esch, alors en travaux et en recherches pour monter le dossier d’Esch 2022, étaient venus assister à cet événement qui était en effet assez similaire à ce que Lët’z Dance propose aujourd’hui“, schreibt „frEsch“. „À l’époque, l’événement avait beaucoup plu, notamment par sa proximité avec l’histoire d’Esch.“
Die Stadt Esch zeigte also bereits 2015, lange vor Clairets Ankunft im „Minett“, Interesse an einer solchen Veranstaltung – statt es mit lokalen Akteur*innen anzugehen, setzten die Verantwortlichen aber auf Clairet. Das Konzept wurde zunächst als Abschluss des Kulturjahres Esch2022 angedacht, die Idee jedoch verworfen. „Il a fallu attendre que toutes les volontés convergent et que le timing soit idéal (celui de la clôture de la première Biennale)“, sagt „frEsch“, „pour que ce projet souhaité par tous prenne finalement vie.“
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