Sonntag9. November 2025

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Fenster nach Osten: Luxemburger Filmfestival zeigt Osteuropa in zahllosen Facetten

Fenster nach Osten: Luxemburger Filmfestival zeigt Osteuropa in zahllosen Facetten

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Was 2006 als Revue polnischer Filme in der Abtei Neumünster begann, ist heute ein mehrwöchiges Festival mit Produktionen aus 20 Ländern, Diskussionen und Musikveranstaltungen. 2018 ist es die Frage nach den Identitäten, die ein komplexes Netz durch das vielfältige Programm spinnt. Das Tageblatt hat sich mit Radek Lipka und Anna Sowada, zwei der Veranstalter, unterhalten.

Von Tom Haas

Die Liebe zum Film ist Radek Lipka anzumerken, wenn er über das CinEast redet. Die handverlesene Auswahl von mehr als 60 Spielfilmen und 40 Kurzfilmen hat der cinephile polnische „Expat“ mit seinem Team in monatelanger, ehrenamtlicher Arbeit selbst getroffen. Vor dem Hintergrund erscheint das Festival, immerhin eine der umfangreichsten Kinoveranstaltungen Europas, umso beeindruckender.

„Der Wachstum findet organisch statt, wir sind nicht mit einem festen Konzept an die Sache herangegangen“, erklärt Lipka im Gespräch, das nach vielem Hin und Her Platz zwischen einem Radiointerview und einem Koordinationstreffen der Festivalleitung Platz gefunden hat. „Natürlich haben wir uns in den letzten Jahren entwickelt, haben Sponsoren gewonnen und das Programm um Diskussionen, Ausstellungen und Musikveranstaltungen erweitert. Aber im Zentrum steht der Film.“

Anderes Budget, andere Inhalte

„Wir zeigen Filme, die man in Westeuropa normalerweise nicht sieht, einfach weil kein Vertrieb dafür existiert“, erklärt Anna Sowada. Die Filmindustrie in Osteuropa unterscheidet sich in zwei Bereichen signifikant von den landläufigen Produktionen des Westens. Einerseits wird auf inhaltlicher Ebene ein viel größeres Augenmerk auf Individuen und zwischenmenschliches Verhalten in Alltagssituationen gelegt, im Gegensatz zu den Charakteren Hollywoods, die sich in der Regel in einer Ausnahmesituation wiederfinden, welche auch die Rahmenhandlung konstituiert.

„Die andere Seite ist das Budget“, erklärt Lipka. „Ein rumänischer Spielfilm hat ungefähr die Ressourcen eines luxemburgischen Kurzfilms zur Verfügung. Dadurch fallen Spezialeffekte und exotische Standorte in der Regel flach, das wirkt sich natürlich auch auf die behandelten Themen aus.“ Und auch wenn der Fokus des Festivals klar auf Arthouse liegt, ist es den Veranstaltern dennoch wichtig, ein breites Publikum anzusprechen, weswegen mit „The Secret Ingredient“ und „Lemonade Joe“ auch Komödien im diesjährigen Programm vertreten sind.

Die Frage der Identität

Ein anderes Ziel der Veranstaltung ist es aber auch, die in Luxemburg lebenden Menschen zusammenzubringen. „Die Communities in Luxemburg, ob Franzosen, Luxemburger, Engländer oder Osteuropäer, bleiben oft unter sich“, erklärt Sowada. „Und am Anfang war das Festival auch recht homogen. Letztes Jahr hatten wir dann aber eine Vorstellung, bei dem die Leute vor uns englisch, die hinter uns italienisch und die Zuschauer zu unserer Linken luxemburgisch gesprochen haben.“ Um diesem Aspekt der Begegnung Rechnung zu tragen, wurde das Festival dieses Jahr auch nochmal um Diskussionsveranstaltungen mit Schauspielern und Regisseuren erweitert – der Dialog ist neben den Filmen zentraler Baustein des Konzepts geworden.

Die Fotoausstellung „Identities“, die in der Abtei Neumünster stattfindet, geht der gleichen Frage auf den Grund wie die unter „Cinécycle“ zusammengefassten Spielfilme und Dokumentationen: Was verbindet uns? Gibt es eine kollektive (osteuropäische) Identität und wenn ja, was sind ihre konstituierenden Merkmale?

Ähnliche Erfahrungen in verschiedenen Ländern

„Die Länder Osteuropas haben im Laufe des 20. Jahrhunderts teilweise sehr ähnliche Erfahrungen durchlebt – angefangen mit der Unabhängigkeit 1918 für die baltischen Staaten von Russland einerseits, den Teilreichen des Habsburgerreiches andererseits. Dann gerieten sie im Zweiten Weltkrieg zuerst unter die Herrschaft und den Einfluss der Nazis, anschließend unter den hegemonialen Einfluss der Sowjetunion. Und einige Leute, vor allem die Populisten, spielen mit der Dichotomie zwischen Moskau und Brüssel – sie sagen, dass wir in der Europäischen Union wieder unter der Oberherrschaft eines hegemonialen Projektes stehen“, erklärt Lipka. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es in vielen Ländern Osteuropas zu einer Bekräftigung der nationalen Identität, teilweise begleitet von einem Wiederaufstieg der Religion – geboren aus einem Gemeinschaftsgefühl, das wie Efeu entlang des oft maroden, realsozialistischen Staates gewachsen ist. „In Westeuropa gibt es ein Primat des Staates, in Osteuropa versteht man sich als Gemeinschaft – lokal, aber auch national“, führt er weiter aus. „Da setzt der diesjährige ‚Cinécycle‘ an.“

Neben den politisch aufgeladenen Filmen ist allerdings auch für leichtere Kost gesorgt – so zeigen die Veranstalter beispielsweise in der „Kids Show“ auch osteuropäische Zeichentrick- und Stop-Motion-Produktionen für das junge Publikum. Und auch den musikalischen Eigenheiten werden bei der „Baltic Night“ in den Rotondes und der „Balkan Night“ im Melusina Rechnung getragen. Ein besonderes Ereignis ist auch die Aufführung des russischen Stummfilmklassikers „Panzerkreuzer Potemkin“ mit Livemusikbegleitung und das Apéro-Jazz-Konzert von Laco Dêczi am 14. Oktober – am Abend davor läuft die Dokumentation über dessen Werdegang.