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WestbalkanFemizid in Bosnien und Herzegowina: Frauen sind gegen häusliche Gewalt kaum geschützt

Westbalkan / Femizid in Bosnien und Herzegowina: Frauen sind gegen häusliche Gewalt kaum geschützt
Femizide sind in vielen Ländern der Welt ein Thema Foto: dpa/Christophe Gateau

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Ob vom eigenen Partner erschossen, erstochen, erwürgt oder zu Tode geprügelt: Wie in Bosnien und Herzegowina reißt auch in den Nachbarstaaten die traurige Kette erschütternder Frauenmorde nicht ab. Trotz geplanter Gesetze sind Frauen auf dem Westbalkan vor Femizid und häuslicher Gewalt nur schlecht geschützt.

Die eigenen vier Wände wurden für Inela Selimovic in der ostbosnischen Landgemeinde Kalesija zur Todesfalle. Wie ihr 13-jähriger Sohn wurde die 37-Jährige am vergangenen Donnerstag laut Angaben der Polizei in den frühen Morgenstunden erwürgt. Der mutmaßliche Täter wurde in dieser Woche erst nach tagelanger Fahndung in einem Dorf bei Prnjavor gefasst: Die Staatsanwaltschaft in Tuzla wirft Inelas verhafteten Mann Emir den Doppelmord an seinen Angehörigen vor.

„Hört auf, unsere Töchter zu ermorden“ oder „Staat, stoppe endlich die Gewalt gegen Mädchen und Frauen“, so die Aufschriften der selbstgemalten Plakate der erschütterten Einwohner von Kalesija, die in dieser Woche mit einem Schweigemarsch ihrer ermordeten Nachbarn gedachten.

„Wie viele Inelas gibt es noch in der Stille?“, fragt sich angesichts der anhaltenden Kette der tristen Gewaltexzesse gegen Frauen im Vielvölkerstaat das Webportal klix.ba. Allein in Bosnien und Herzegowina wurden in den letzten sechs Jahren über 60 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Männern ermordet. Im benachbarten Serbien hat das „Autonome Frauenzentrum“ (AZC) in Belgrad zwischen 2011 und 2023 gar 406 Femizidfälle registriert.

Ob erschossen, erstochen, erwürgt oder zu Tode geprügelt: Über die Hälfte der Opfer wurden laut der AZC-Erhebungen von ihren Partnern und 54 Prozent in ihrer eigenen Wohnung ermordet. „Der unsicherste Platz für die Frau ist das eigene Heim“, kommentiert das AZC seine tristen Statistiken.

Laut Angaben des „Gender-Zentrums“ in Sarajevo haben 47 Prozent der Bosnierinnen schon Gewalterfahrungen gemacht. Doch auch weil bedrohte Frauen vom Gesetzgeber und den zuständigen Behörden kaum oder nicht effektiv geschützt werden, bringen die betroffenen Frauen in den meisten Fällen häusliche Gewalt kaum zur Anzeige.

Fälle, dass die jahrelangen Peiniger von Frauen nach einer Anzeige zu deren Mördern wurden, sind auf dem Westbalkan keineswegs eine Seltenheit. Ein Problem ist, dass selbst gerichtliche Kontaktverbot-Auflagen von notorischen Eheschlägern oft negiert werden und deren konsequente Umsetzung von den überforderten Justiz- und Sozialbehörden selten effektiv kontrolliert wird.

Tief verwurzelte Vorurteile

Selbst verurteilte Gewalttäter haben in Bosnien laut Erhebungen des Zentrums für Frauenrechte in Zenica in drei Viertel der Fälle nur mit Bewährungsstrafen zu rechnen: Nicht selten belästigen sie auch in Frauenhäuser oder zu Angehörigen geflüchtete Ex-Partnerinnen munter weiter.

Nicht nur Frauenorganisationen, sondern auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Bosnien hat die zuständigen Institutionen nach den Morden von Kalesija dazu aufgefordert, geplante Gesetzesvorhaben zu einem effektiveren Schutz der Frauen trotz endloser Prozedurhürden endlich zu verabschieden und zur Anwendung zu bringen.

Zumindest im Teilstaat der Föderation ist eine Neufassung des Gesetzes zum Schutz gegen Familiengewalt auf den Weg gebracht worden, das unter anderem den Einsatz elektronisch überwachter Fußfesseln vorsieht, um die Einhaltung von Kontaktverboten besser überwachen zu können. Im Teilstaat der Republika Srpska stören sich die Würdenträger derweil genauso wie ihre Amtskollegen in Serbien an dem ihrer Meinung nach „diskriminierenden“ Ausdruck des Femizids.

Statt auf die Verbesserung der Prävention zu setzen, tendieren populistische Stimmenjäger auch bei Frauenmorden lieber zur Ankündigung härterer Strafen. Noch mehr als das Schneckentempo ihrer zaudernden Gesetzgeber machen Frauen jedoch tief verwurzelte Vorurteile und die zögerliche Mentalitätsveränderung auf dem Westbalkan zu schaffen. So sind laut einer etwas in die Jahre gekommenen OSZE-Untersuchung von 2019 zwei Drittel der Bosnierinnen davon überzeugt, dass Gewalt gegen Frauen in ihrem Land „weit verbreitet“ sei.