Nur 45 Sekunden lang spricht Bijan Djir-Sarai, danach tritt er den kurzen Weg zu der Tür an, aus der er gerade erst gekommen ist. In sechs Sätzen erklärt der FDP-Generalsekretär am Freitag in der Parteizentrale seinen Rücktritt – und seine Unkenntnis über das „D-Day“-Papier. Der Umgang mit diesem Strategieplan zum Ampel-Aus hat die Partei in eine tiefe Krise gestürzt.
„Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert“, sagt Djir-Sarai sichtlich bewegt am Vormittag. Er habe selbst „keine Kenntnis“ von diesem Papier gehabt. Dafür übernehme er die politische Verantwortung. Djir-Sarai hatte noch am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung betont: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“
Doch am Donnerstagabend veröffentlichte die FDP selbst, wohl auf Druck durch Presseanfragen, das Papier auf ihrer Webseite.
Es ist ein internes, detailliertes Dokument zu möglichen Szenarien für den Ausstieg aus der Ampel-Koalition, die Kommunikation danach sowie ein vorbereitetes Statement für den FDP-Parteivorsitzenden und damaligen Finanzminister Christian Lindner.
Die Kommunikation um das Papier war fehlerhaft, ja indiskutabel schlecht
Bereits vor zwei Wochen hatten Recherchen von Zeit und Süddeutscher Zeitung für Empörung gesorgt, nach denen die FDP das Ampel-Aus durch Provokationen gezielt herbeiführen wollte. Das neue Papier befeuert diese Vorwürfe an die Partei.
Bei Djir-Sarais Rücktritt bleibt es am Freitag nicht. Auch Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zieht sich aus der Parteiführung zurück. Er war als Autor des Papiers genannt worden. In einer schriftlichen Erklärung von Reymann heißt es, er habe Lindner den Verzicht auf sein Amt angeboten. Lindner habe dieses Angebot angenommen. „Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte.“ Die FDP stehe vor einer wichtigen Bundestagswahl, die eine Richtungswahl für Deutschland sei. „In diesen Wahlkampf sollte die FDP mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten gehen.“ Djir-Sarai sagt in den wenigen Sekunden seines Statements noch diesen Satz: Er trete zurück, um „Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden.“
Ein „Papier im Entwurfsstadium“
Doch wie kann es sein, dass der FDP-General nichts vom Papier wusste, in dem die FDP-Strategen mit dem historischen Begriff „D-Day“ in Anlehnung an die Offensive der Alliierten zur Befreiung Europas von Hitler-Deutschland hantieren und auch nicht vor Worten wie „Feldschlacht“ zurückschrecken?
Noch vor Djir-Sarais Rücktritt sagte Parteichef Christian Lindner dem Tageblatt auf die Frage, ob die FDP insgesamt ein falsches Spiel gespielt habe: „Nein, denn zu jedem Zeitpunkt ging und geht es uns um den Politikwechsel, den dieses Land braucht. Die Ampel konnte ihn nicht mehr liefern.“ Lindner sprach von einem „Papier im Entwurfsstadium“, das Mitarbeiter verfasst hätten und das in die Öffentlichkeit gebracht worden sei. „Jenseits der Details will ich aber sagen, dass es professionell ist, wenn Mitarbeiterstäbe Eventualitäten durchspielen. Der Kanzler hat sich ja auch drei unterschiedliche Reden schreiben lassen.“
Am Freitag kochte die Kritik an dem Umgang mit dem Papier in der Partei hoch, richtete sich aber nicht direkt gegen Lindner. FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte eine ernsthafte Aufarbeitung von Fehlern. „Der Rücktritt des Generalsekretärs und des Bundesgeschäftsführers ist angesichts der Kommunikation der letzten Tage unausweichlich gewesen. Wer führt, muss auch Verantwortung übernehmen“, sagte Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur. Sie zollte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann Respekt für ihre Rücktritte. „Es braucht eine starke FDP, die sich keine Clownerie leistet, sondern sich ihrer Verantwortung bewusst ist“, so Strack-Zimmermann. Sie erklärte, die dramatische wirtschaftliche Situation und die internationale Sicherheitslage „schreien nach einer starken liberalen Partei“. Und: „Wir werden geschlossen und ernsthaft unsere Fehler aufarbeiten, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.“
Parteichef Lindner bisher nicht unter Druck
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki sagte der Welt am Sonntag: „Die Kommunikation um das Papier war fehlerhaft, ja indiskutabel schlecht.“ Bei der politischen Konkurrenz hielt sich das Bedauern erwartungsgemäß in Grenzen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fühle sich „durch die aktuellen Veröffentlichungen in seiner Entscheidung bestätigt“, FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister entlassen zu haben, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch nannte den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs ein „durchschaubares Bauernopfer“.
Wie es in der FDP-Spitze nun weitergeht, ist offen. Am Freitag war nicht erkennbar, dass Parteichef Lindner so stark unter Druck geraten könnte, selbst einen Rücktritt in Erwägung ziehen zu müssen. Zugleich wurden bereits Namen ins Gespräch gebracht für eine mögliche Nachfolge in den freigewordenen Ämtern. So werden beispielsweise der frühere Justizminister Marco Buschmann und FDP-Fraktionsmanager Johannes Vogel genannt.
Die FDP wäre ohne die Stimmen einiger Jungwähler gar nicht über 5% gekommen und dieselben Jungwähler werden nach diesem Trauerspiel die Konsequenzen ziehen im Februar 2025
Wird jetzt Strack Zimmermann die Führung übernehmen? Oder wird die Partei noch vor der Linken von der Bühne verschwinden? Die Demokratien sind am Abgrund, nicht nur in Deutschland.