MotorsportExklusiv-Gespräch mit Rennsportlegende Emerson Fittipaldi: Ein Champion mit zwei Karrieren

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Emerson Fittipaldi im Lotus Ford im Jahr 1973  Foto: Arthur Thill/ATP images 

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Bis er 2005 von Fernando Alonso abgelöst wurde, war er der jüngste Formel-1-Weltmeister bis dato. Bereits bei seinem vierten Grand Prix war Emerson Fittipaldi erfolgreich und sicherte so seinem beim vorherigen Rennen verstorbenen Teamkollegen den Weltmeistertitel. Vor kurzem unterhielt sich das Tageblatt mit dem brasilianischen F1-Doppelweltmeister und Indy-Champion, hauptsächlich über seine aktive Zeit, aber auch über die Formel 1 von heute.

Emerson, inzwischen 76 Jahre alt, ist viel mit seinem jüngsten, 16-jährigen Sohn in Europa unterwegs. Dieser bestreitet für das Sainteloc-Team die Freca-Nachwuchsserie. „Ich habe drei Söhne, doch nur mein jüngster, Emmo Jr., ist Rennfahrer geworden. Meine kleine Tochter Vittoria (11 Jahre) ist in Miami, wo wir wohnen, einige Kart-Rennen gefahren. Sie hat sich sehr gut geschlagen, aber meine Frau sagte: Stopp! Die beiden Söhne meiner Tochter Juliana fahren ja auch Rennen, Pietro in der WEC und Enzo in der Formel 2. Ich bin regelmäßig mit ihnen in Kontakt, so z.B. auch heute, wo ich soeben Enzos F2-Qualifying auf meinem Mobil-Telefon verfolgt habe.“

Da Fittipaldi heute immer noch sehr eng am Renngeschehen dran ist, wollte das Tageblatt von ihm wissen, was er über die jetzige Formel 1 denkt. „Die modernen Formel-1-Autos sind technisch sehr ausgetüftelt, aber viel zu lang und zu schwer. Ich hoffe, dass dies in Zukunft geändert werden wird. Die letzte aerodynamische Anpassung der Autos war sehr gut und ermöglicht nun engere Positionskämpfe. Stefano Domenicali und Liberty Media machen einen guten Job und haben der Formel 1 viele neue Fans gebracht.“

Der erste Titel mit Lotus …

Wenn man Emersons Mediakanäle verfolgt, sieht man, dass er unter anderem für die Marke Lotus aktiv ist. Diese hat sogar zum 50. Jubiläum seines ersten Weltmeistertitels eine spezielle „Emerson Fittipaldi Edition“ des elektrischen Supercars Evija herausgebracht. Das Tageblatt hat Fittipaldi natürlich auf seine rennsportlichen Aktivitäten zwischen 1969 und 1973 mit Lotus angesprochen. „Mit dem Lotus 72 hatte ich einen fantastischen Rennwagen. Colin Chapman (Red: der Lotus-Gründer) war ein Genie. Es war ein Riesenglück für mich, als Colin mich Anfang 1970 bat, für sein Team zu fahren. Zu dem Zeitpunkt war ich jedoch noch nicht reif für die Formel 1 und somit bat ich ihn, zuerst noch einige Formel-2-Rennen zu bestreiten. Er gab mir sechs Monate und dann debütierte ich Mitte der Saison 1970 in der Formel 1 beim Grand Prix in Brands Hatch.“

„Colin Chapman war ‚mein Macher‘. Er erzählte mir damals, dass er in den Fünfzigern eines Tages mit seiner Frau Hazel in Silverstone vorbeifuhr und dort zum ersten Mal den Motorenlärm von Rennwagen hörte. Vorher sei er noch nie mit Motorsport konfrontiert gewesen. Dies entfachte aber bei ihm den Willen, Rennwagen zu bauen, und so hat alles mit Lotus begonnen! Chapman hatte ein Gespür für seine Rennwagen. Er wusste immer, wie das Auto zu verbessern war. Er war ja ursprünglich Flugzeug-Ingenieur und wohl deshalb musste alles an seinen Rennwagen so leicht wie nur möglich sein. Er war eine ‚lebende Telemetrie‘ und hatte so viele avantgardistische Ideen. Eine davon war der turbinengetriebene Lotus 56, zuerst für Indianapolis 1968 und danach für die Formel 1 1971. Leider hätte die FIA diesen Rennwagen wohl kurzfristig verboten, aber das Auto hatte großes Potenzial.“

Doppelweltmeister und Indy-Champion Emerson Fittipaldi beim Interview mit dem Tageblatt
Doppelweltmeister und Indy-Champion Emerson Fittipaldi beim Interview mit dem Tageblatt Foto: Marie-Jo Nickels

Der Lotus-Teamleader und Emersons Teamkollege 1970, Jochen Rindt, verunglückte in Monza tödlich und so führte der blutjunge Brasilianer nun, nach nur drei Formel-1-Rennen, das berühmte Lotus-Team als neuer Spitzenpilot an. Er siegte dann völlig unerwartet beim darauffolgenden Rennen in Watkins Glen und sicherte mit diesem Sieg Jochen Rindt posthum den Weltmeistertitel. „Ja, Monza war ein schrecklich tragisches Wochenende, aber das darauffolgende Rennen in Watkins Glen war umso fantastischer. Mein Sieg nach so einem schrecklichen Erlebnis gab dem ganzen Team wieder den nötigen Aufschwung. 1971 war eine schwierige Saison. Lotus kam mit den neu eingeführten Slick-Reifen nicht wirklich zurecht. Erst beim letzten Saisonrennen, dem Champions Race in Brands Hatch, hatten wir alles im Griff und das Auto lief perfekt.“

1972 hatte Lotus zur üblichen Hochform zurückgefunden: mit dem nunmehr schwarz-goldenen Lotus 72 D gewann Emerson fünf der zwölf Grand Prix und wurde frühzeitig zum neuen und damals jüngsten Weltmeister aller Zeiten gekrönt. „Ab 1972 fuhren wir mit der ikonischen schwarz-goldenen JPS-Lackierung. Wissen Sie, schon 1971 hatte Imperial Tobacco beim Einsatz des Turbinen-Lotus beim Grand Prix von Monza die Farbgebung Gold mit etwas Schwarz probiert, doch das Goldene kam auf den Fernsehbildern nicht gut rüber. Deshalb entschloss man sich 1972, mit einem schwarzen Auto mit edlen, goldenen Zierstreifen zu fahren – so entstanden die heute noch so ikonischen JPS-Lotus Farben.“

Schwerer Unfall in Zandvoort

Vor genau 50 Jahren, 1973 in Zandvoort, hatte Emerson Fittipaldi den einzigen schweren Unfall seiner Formel-1-Karriere. Er hatte damals mehr Glück als der junge Roger Williamson, der am darauffolgenden Tag, nur wenige hundert Meter von Fittipaldis Unfallstelle entfernt, in seinem Auto verbrannte. Das Tageblatt wollte wissen, ob dieser Unfall, bei dem er sich Fußverletzungen zugezogen hatte, die ihn für zwei Rennen mehr oder weniger außer Gefecht setzten, die Ursache dafür war, dass er seinen Titel 1973 an Jackie Stewart verlor:

„Ich habe nie wirklich nachgerechnet, aber es waren wohl verschiedene Ursachen. In Zandvoort musste ich nach zwei Runden wegen der Schmerzen aufgeben und beim darauffolgenden Rennen am Nürburgring war permanent ein Arzt zugegen und ich fuhr unter Lokalanästhesie (Red: am Ende Platz 6), obschon jedermann mir von einem Start abgeraten hatte. Mein Unfall in der ultraschnellen Zielkurve in Zandvoort ereignete sich nach einem Felgenbuch vorne links. Ich hatte unheimliches Glück: Das Auto schlug in die Leitplanken, stieg in die Luft und als es wieder neben der Strecke landete, waren meine Füße im Vorderwagen eingeklemmt und ich saß in dem auslaufenden Benzin bei munter weiterlaufender Benzinpumpe. Wegen der Explosionsgefahr zögerten die Streckenposten, sich dem Auto zu nähern. Jo Ramirez, Jackie Stewarts Mechaniker, kam mit seinem Werkzeugkasten aus den Boxen zu meinem Unfallwagen gerannt und zusammen mit Graham Hill, der seinen Rennwagen gestoppt hatte, gelang es ihnen, nach langen, bangen Minuten mich aus dem Wrack zu befreien. Dies war ein Beweis für den großen Kameradschaftsgeist, der damals herrschte. Nicht nur ich, sondern alle, die an meiner Bergung beteiligt waren, liefen ein großes Risiko, denn ein Funke hätte genügt, um einen Feuerball zu entfachen!“

Das Lotus-Kapitel schloss sich für Fittipaldi, als beim Lotus-Doppelsieg in Monza 1973 Colin Chapman die Vereinbarung einer Teamorder (Red: zu Ungunsten von Ronnie Peterson) nicht einhielt, die es Fittipaldi ermöglicht hätte, seine Titelchancen zu wahren.

Das markante dunkelblau-rote Helmdesign steht für Fittipaldi in der F1 und in der CART-Serie
Das markante dunkelblau-rote Helmdesign steht für Fittipaldi in der F1 und in der CART-Serie Foto: ATP/Arthur Thill/CART – Norbert Nickels

Zweiter Titel mit McLaren

Wenn man heute die Formel 1 am Bildschirm verfolgt, sieht man den Brasilianer noch sehr oft als Grand-Prix-Gast bei McLaren. Wir haben ihn natürlich auch auf seine Zeit beim Team des neuseeländischen Gründers angesprochen. „Nach den Geschehnissen von Monza 1973 war ich so von Colin Chapman enttäuscht, dass ich das Team wechseln wollte. So kam es, dass der Marketing-Chef von Philip Morris (Marlboro) mich anrief und mir sagte – ‚Such dir egal welches in England angesiedelte Formel-1-Team für 1974 aus, Marlboro wird dein Sponsor sein!‘ Ich nahm also Verhandlungen auf mit Ken Tyrrell, mit Bernie Ecclestone, dem damaligen Besitzer von Brabham, und mit Teddy Mayer von McLaren. Am Schluss haben mich all die supermotivierten Neuseeländer bei McLaren überzeugt und ich unterschrieb für das (Red: damals noch) kleine, aber sehr enthusiastische und effiziente McLaren-Team. Übrigens, 1974 habe ich bereits in Indianapolis einen Indy-McLaren getestet, aber es kam damals für mich nie infrage dort zu starten, weil die Rennwagen mit den Aluminium-Chassis zu der Zeit viel zu lebensgefährlich waren.“ Emersons Entscheidung, für McLaren Formel 1 zu fahren, erwies sich als goldrichtig, da er am Schluss der Saison dem neuseeländischen Team dessen ersten Weltmeistertitel bescherte, und dies gegen die eigentlich schnelleren Ferrari von Niki Lauda und Clay Regazzoni. Im darauffolgenden Jahr waren Lauda und Ferrari aber nicht mehr zu schlagen und Emerson blieb nur der Vizeweltmeister-Titel.

Unerfüllter brasilianischer Formel-1-Traum

Mit den großen Erfolgen von Emerson Fittipaldi war in Brasilien eine regelrechte Euphorie für die Formel 1 ausgebrochen und so kam es, dass Emersons Bruder Wilson, mit der Unterstützung der brasilianischen Zuckerindustrie, beschloss, ein eigenes Formel-1-Team zu gründen. 1975 fuhr Wilson dort selbst, jedoch mit sehr wenig Erfolg. Ende 1975 schlug dann die Nachricht in der Formel-1-Welt wie eine Bombe ein: Emerson wird ab 1976 für das brasilianische Copersucar-Fittipaldi-Formel-1-Team fahren. Dies erwies sich im Nachhinein als keine gute Entscheidung, denn mit seinem Familienteam gelang Emerson in den fünf kommenden Saisons lediglich zwei Podiumsplatzierungen. Der vormals große Emerson war völlig in die Anonymität geraten und beschloss Ende 1980, seine Rennfahrerkarriere zu beenden.

Vor 50 Jahren: Emerson Fittipaldi mit dem schwarz-goldenen JPS-Lotus 72 der Jahre 1972 und 1973 (ATP-Arthur Thill)
Vor 50 Jahren: Emerson Fittipaldi mit dem schwarz-goldenen JPS-Lotus 72 der Jahre 1972 und 1973 (ATP-Arthur Thill) Foto: ATP/Arthur Thill

„Ich habe die Copersucar-Erfahrung aber nicht bereut. Ich habe damals viel dazugelernt und es eröffnete mir in gewisser Weise die Gelegenheit, nach Indianapolis zu gehen. Die Erfolge eines Team hängen immer von den Leuten ab, die das Ganze bilden. Es brauchte vier Jahre, bis wir beim Fittipaldi-Team die richtigen Leute zusammen hatten, aber 1980 war es dann endlich so weit: Wir hatten Peter Warr (früher Lotus) als Teammanager, die Konstrukteure Dr. Harvey Postlethwaite (später Ferrari, Tyrrell, Honda) und Adrian Newey (später Williams, McLaren, Red Bull) sowie Keke Rosberg (Weltmeister 1982) als zweiten Fahrer. Mitte der Saison teilte uns aber unser damaliger Sponsor Skol-Brasil mit, dass sie das Sponsoring beenden würden, und somit hatten wir für 1981 nicht mehr die nötigen Finanzen. Daraufhin zog ich mich nach Brasilien zurück und es dauerte drei Jahre, bis mich Ralph Sanchez aus Miami 1984 wieder zum Rennfahren brachte. Wissen Sie, ich war bis dahin noch niemals in Miami gewesen und ich dachte immer, dass dies die Stadt der Drogendealer und der alten Leute ist. Aber als ich Miami zum ersten Mal richtig erlebte, verliebte ich mich in die Stadt mit ihren vielen Kanälen und dem Meer, sodass ich beschloss, dort zu leben. Ich fuhr also damals 1984 beim IMSA Miami Grand Prix Sanchez’s March-Chevrolet (Red: Er lag lange Zeit in Führung, bis er mit Defekt ausschied). Danach kontaktierte mich Pepe Romero, damit ich sein Auto beim Indy 500 fahren sollte. Das Team hatte eine kleine, kompetente Mannschaft zusammenbekommen und inzwischen waren auch die Indy-Autos sicherer geworden. Deshalb sagte ich zu.“

Zweiter Frühling in den USA

So begann Emersons zweite Karriere bei den IndyCars (Red: damals CART) in den USA. Nach der ersten Teilsaison im kleinen Team von Romero wechselte er 1985 zum etablierten Patrick Racing Team und gewann im gleichen Jahr sein erstes Oval-Rennen auf dem Superspeedway von Michigan. Inzwischen war auch Marlboro wieder als sein Sponsor zurückgekehrt und mit dem weiß-roten Design folgten über die nächsten Jahre alle weiteren CART-Siege. Der Höhepunkt von Emersons amerikanischer Karriere erfolgte 1989. Das Patrick-Team, mit Mo Nunn als Ingenieur und Chip Ganassi als Teilhaber, setzte für Fittipaldi einen privaten Penske-Chevrolet ein. Hiermit erzielte „Emmo“, wie er nunmehr in Amerika genannt wurde, seinen ersten Indy-500-Sieg sowie vier weitere Erfolge und war am Ende der Saison CART-Champion. Nachdem wir vorhin 50 Jahre zurückgeblickt haben, wollten wir nun die Zeit 30 Jahre zurückdrehen und noch etwas über Emersons zweiten Indy-500-Sieg 1993 wissen.

„Wissen Sie, Indianapolis ist für mich etwas ganz Spezielles. Schon als ich 1970 bei Lotus war, wollte ich mehr über Indy erfahren. Lotus hatte ja das Rennen 1965 mit Jim Clark gewonnen. Colin Chapman liebte Indianapolis, aber Jochen Rindt hasste es – er meinte ‚It’s a shit race‘. Beim Rennen 1993 hatte ich über die 200 Runden à 2,5 Meilen einen harten Kampf vor allem mit Nigel Mansell und Arie Luyendyk. Bei der letzten Gelbphase lag Nigel noch in Führung, aber ich hatte einen super Restart und konnte ihn überholen. Ich hatte mir für den Schluss des Rennens den besten unserer sieben Reifensätze aufgespart, sodass mein Auto für den Schlussspurt perfekt ausbalanciert war, und ich sagte mir ‚Let’s go for it‘. Bis zur Zielflagge kam niemand mehr an mir vorbei.“ Emerson Fittipaldi hat die gefährliche Zeit der Siebziger in der Formel 1 überlebt. Im Jahr 1996 beendete aber ein schwerer Unfall, bei dem er sich arge Rückenverletzungen und einen Lungenkollaps zuzog, mit 50 Jahren seine aktive Rennfahrer-Karriere. Dem Rennsport bleibt er aber wohl immer ganz eng verbunden: „Racing ist alles für mich und ich hoffe, dass auch der letzte Tag in meinem Leben auf einer Rennstrecke sein wird!“

Steckbrief

Name: Emerson Fittipaldi
Geboren am 12.12.1946 in São Paulo
Verheiratet mit Maria-Helena/Theresa/Rosanna
7 Kinder aus den 3 Ehen
ab 1960: Motorrad, Karting und Automobilsport in Brasilien
1969: Formel 3 Lombard Champion in England
1970: Debüt für Lotus beim GP von England in Brands Hatch, erster GP- Sieg bei seinem 4. Rennen in Watkins Glen, 10. der Gesamtwertung
1971-73: Formel 1 für Lotus
1971: 6. der Formel 1
1972: Formel-1-Weltmeister
1973: Formel-1-Vizeweltmeister
1974-75 Formel 1 für McLaren
1974: Formel-1-Weltmeister
1975: Formel-1-Vizeweltmeister
1976-80 Formel 1 für Copersucar-Fittipaldi (bestes Resultat: 2. GP Brasilien 1978)
1984-96: IndyCar-CART-Series
1989: CART-Champion/Sieger Indy 500
1993: Sieger Indy 500
1996: Ein schwerer Unfall auf dem Michigan Oval beendet seine Rennfahrerkarriere