Die Hoffnung währte nur kurz. Der am 2. Juli 1925 geborene Patrice Emery Lumumba, der dieses Jahr hundert Jahre alt geworden wäre, erklärte am 30. Juni 1960 in einer bewegenden Rede die Unabhängigkeit der Republik Kongo von Belgien. Nur wenige Monate war er Premierminister des noch jungen Staates im Herzen Afrikas, heute die Demokratische Republik Kongo. Und nur wenige Monate nach seiner Rede wurde er festgenommen und von einem Erschießungskommando ermordet. Lumumba gilt bis heute als Symbolfigur im Kampf gegen den Kolonialismus, für die Befreiung von der belgischen Kolonialherrschaft, zu der auch Luxemburg seinen Beitrag leistete, und als Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Er steht für den Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.
Eine Zeit lang herrschte große Euphorie über das „afrikanische Jahr“ 1960. Erst kürzlich ist ein Film unter dem Titel „Soundtrack zum Staatsstreich“ erschienen, der die Intrigen der Großmächte und die schmutzige Rolle westlicher Staaten beleuchtet. Weil sich Lumumba gegen die westliche Kontrolle stellte, versuchten CIA und die frühere Kolonialmacht Belgien, den Kongo zu destabilisieren. Sie sollen Lumumbas Ermordung in Auftrag gegeben haben. Seit der Kolonialzeit und der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. ist die Geschichte des Landes, das zwischenzeitlich Zaire hieß, von Krieg, Flucht und Not geprägt. Der blutige Konflikt im Osten des zweitgrößten afrikanischen Flächenstaates ist noch immer nicht ausgestanden. Er wird von politischen und wirtschaftlichen Interessen angetrieben, vor allem dreht es sich um die Vorkommen an Coltan, dem Rohstoff für die Herstellung von Smartphones, Laptops und Elektroautos.
Europas koloniales Erbe in Afrika wirkt noch immer nach. Einst drangen die Europäer in andere Regionen der Welt, um diese zu unterwerfen, auszubeuten und zu bestehlen. Unzählige Millionen Menschen wurden deportiert und ermordet. Europa müsse sich erst mal selbst dekolonisieren, fordert der Kameruner Germanist, Literatur- und Kulturwissenschaftler Albert Gouaffo. Es helfe nicht, Afrika als Problemfall zu sehen, sondern man müsse das Bildungswesen in Afrika selbst stärken. Zumindest ist in die Restitution afrikanischer Kulturgüter etwas Bewegung gekommen, aber auch nur schleppend. Dabei gäbe es Europa ohne Afrika nicht, erst recht nicht seinen Reichtum, weil es die afrikanischen Länder jahrhundertelang ausbeuten konnte, schreibt der US-Journalist und langjährige Korrespondent der New York Times Howard W. French in seinem Buch „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“.
Nach wie vor ist die Europäische Union wichtigster Handelspartner Afrikas. Wenn im November der nächste Gipfel zwischen EU und Afrikanischer Union stattfindet, muss Europa mehr anbieten. Dass die Afrikaner allmählich genug von der europäischen Arroganz und Bevormundung haben, zeigt sich in der Hinwendung zahlreicher Staaten zu Partnerschaften mit China und Russland. Während die Chinesen umfassende Investitionen in die Infrastruktur tätigen, bieten russische Söldner den Militärregimen Schutz. Vergangene Woche schlossen Russland und Tansania einen Deal über den Bau einer Anlage zur Uranverarbeitung ab. Federführend ist der russische Atomriese Rosatom. Das Uran wird ausschließlich nach Russland exportiert – Europa ist im Hintertreffen.
Patrice Lumumbas Leichnam wurde in Säure aufgelöst, geblieben sind Fingerknochen und ein Zahn. Im Juni 2022 übergab Belgien den Zahn des getöteten Freiheitshelden an die Demokratische Republik Kongo – im Rahmen einer Zeremonie in Gegenwart des belgischen Königs Philippe und von Regierungschef Alexander De Croo. Letzterer sprach von einer „moralischen Verantwortung“ Belgiens, betonte aber auch, dass es keinen Beweis für eine Verwicklung der belgischen Regierung in Lumumbas Ermordung gegeben habe. Eine wirkliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte klingt anders.
De Maart

Leopold II , das belgische Monster im Herz der Finsternis .
>LUMUMBA gilt bis heute als Symbolfigur im Kampf gegen den Kolonialismus, für die Befreiung von der belgischen Kolonialherrschaft, zu der auch Luxemburg seinen Beitrag leistete: Seit Jahren habe ich konsterniert die Erzählungen über die "Kongogräuel" im Kopf. In dem Artikel von Herrn Holger KREITLING in der Zeitung WELT vom 13. Dezember 2021 "Grauen in Belgisch-Kongo - 'Ich muß immer die rechte Hand von allen abhacken, die wir töten' " stehen schockierende, für mich kaum erträgliche Berichte. Unter anderem: Belgisch-Kongo: Frauen vergewaltigt, die Hände abgehackt. Mit der Kongo-Akte wurde LEOPOLD II. von Belgien 1885 das riesige Gebiet in Afrika zugesprochen. Die Profitgier der Weißen kostete zehn Millionen Afrikaner das Leben. (…) Der Amerikaner Adam HOCHSCHILD erinnerte 1998 mit dem Buch "Im Schatten des Kongo" an die Verbrechen. (…) Die mit der Verfügungsgewalt verbundenen Absichten LEOPOLDs waren im Prinzip hehr. Der König hatte den Freihandel versprochen wie die harte Bekämpfung des afroarabischen Sklavenhandels. Zudem sollte die Bevölkerung christianisiert werden; sehr viele Missionare machten sich zum Kongo auf. Der König stilisierte sich über Jahrzehnte als Wohltäter und Menschenfreund, der Kultur und freien Handel nach Afrika brachte. Nachdem die als "Kongo-Gräuel" bezeichneten Praktiken öffentlich wurden, bemerkte er, daß "das afrikanische Klima häufig die Ursache für eine Verrohung des Charakters zu sein" scheine. (…) Der belgische Historiker David Van REYBROUCK führt in seiner großen Geschichte des Kongo etliche Offiziere mit ihren Taten auf. Der Distriktkommissar Léon FIEVEZ, ein Bauernsohn aus Wallonien, "unternahm blutige Strafexpeditionen. Bereits nach vier Dienstmonaten hatte er 572 Menschen umgebracht". Binnen weniger Tage ließ er 162 Dörfer plündern und niederbrennen. 1.346 Menschen wurden ermordet. (…) Zunächst standen für Leopold II. gewaltige Ausgaben zu Buche. Bis 1890 hatte er aus seinem Privatvermögen 19 Millionen belgische Francs investiert. Der König stand kurz vor der Pleite. Belgien mußte dem Monarchen unter die Arme greifen und bewilligte 25 Millionen Goldfrancs als Investition. Leopold drängte auf Gewinne. (…) Bis 1890 galten die Verhältnisse im Kongo noch als moderat. Die Radikalisierung vor Ort wurde in Gang gesetzt durch eine Erfindung im fernen Irland. Ein Tierarzt bastelte 1888 in Dublin erstmals einen Gummireifen für ein Fahrrad, angeblich für seinen Sohn. Schnell war klar, daß man mit luftgefüllten Reifen nicht nur Fahrräder bestücken konnte. Weltweit wurde Kautschuk zum gefragten Rohstoff: für Schläuche, Dichtungen, Isolierungen für die neuen Telefone und elektrische Leitungen. Ein fantastisches Geschäft bahnte sich an. (…) 1891 wurden 100 Tonnen Kautschuk vom Freistaat nach Europa exportiert. 1896 waren es 1.300 Tonnen. 1901: 6.000 Tonnen. Unermüdlich forderte König Leopold mehr. Der Kongo lag als Rohstofflieferant weit vor den Plantagen in Südamerika und Asien, die über Jahre erst wachsen mußten. Deshalb auch die Eile und Forcierung bei der Ausbeutung. Die Aktie der "Anglo-Belgian India Rubber Company" stieg innerhalb von zwei Jahren um das 170-Fache an. (…) Die folgenreichsten Gräueltaten im Kongo betrafen das Abhacken der Hände. Wenn die Truppen loszogen, mußten sie den Gebrauch der Munition nachweisen. Die Offiziere fürchteten Aufstände und wollten sicherstellen, daß keine Munition gehortet wurde. Von jedem Toten wurde deshalb die rechte Hand abgehackt und als Beleg in Säcken mitgenommen. Weil die Truppen teilweise über Wochen unterwegs waren, wurden die Hände über Feuer geräuchert, damit sie nicht verwesten. (…) Das Abhacken von Händen und Füßen hatte noch einen weiteren Zweck. So konnten den Opfern ihre Kupferreifen abgenommen werden. König LEOPOLD II. reagierte auf seine Weise auf die Geschichten, die nach Europa drangen. Zu einem Militärberater sagte er: "Hände abhacken, das ist idiotisch! Ich würde eher alles Übrige abschneiden, aber doch nicht die Hände. Genau die brauche ich doch im Kongo!" Adam HOCHSCHILD hat versucht, die Zahl der Toten seriös zu schätzen. Wahrscheinlich ist die Bevölkerung unter Leopolds Herrschaft um etwa zehn Millionen Menschen geschrumpft. Joseph CONRAD, der 1890 auf dem Kongo kurze Zeit Kapitän war, verglich LEOPOLD mit dem spanischen Konquistadoren Francisco PIZARRO, der das Inka-Reich eroberte. Er sah "eine gigantische, obszöne Bestie" am Werk. (…) In vielen Ländern Europas gab es Berichte, Karikaturen, Proteste, Petitionen - und mindestens ebenso viel Getuschel über LEOPOLDs blutjunge Geliebte, die die feinsten Läden von Paris leer kaufte. (…) 1908 mußte LEOPOLD II. seinen Kongo schließlich an Belgien übergeben, er bekam dafür 50 Millionen Franc. Im neuen Kolonialstaat Belgisch-Kongo wurden die Zwangsmaßnahmen sofort unterbunden. Im Jahr darauf starb der Wohltäter und Menschenfreund, der unumschränkte Herrscher und Sklavenbefreier, der Gartenfreund und illustre Gründer mit edlen Bestrebungen. Er hat seinen fernen Privatbesitz niemals betreten.
▪Kommentare: •Dieter A: Für alle des Französisch Kundigen empfehle ich das Buch "Ténèbres" von Paul KAWCZAK. Er beschreibt dort in Romanform die damaligen Zustände im Kongo. •Dieter O: Die Belgier haben in den zwanzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg im Kongogebiet ca. zehn Millionen Menschen ermordet, das entsprach damals etwa der Hälfte der Einwohner. Die Einzelheiten kann man nachlesen im 2009 in Deutschland erschienenen Buch von Philip BLOM "Der taumelnde Kontinent". [König LEOPOLD II. von Belgien (r.) und zwei Opfer seines Regimes. Quelle: picture alliance, United Archives, WHA, picture alliance, Mary Evans Pictures]
MfG, Robert Hottua