EU-GipfelEU-Staaten versprechen Kiew Munition und „Flugkörper“

EU-Gipfel / EU-Staaten versprechen Kiew Munition und „Flugkörper“
Luxemburgs Premier Xavier Bettel meinte gestern im EU-Ratsgebäude, er würde es „toll“ finden, wenn US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping einen Friedensplan für die Ukraine ausarbeiten würden Foto: Ludovic Marin/AFP

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Bei ihrem Gipfeltreffen sicherten die EU-Staaten der Ukraine weitere, vor allem militärische Unterstützung zu. Allerdings ist das dafür vorgesehene Budget aufgebraucht.

In der Regel bestimmen Wirtschaftsthemen den März-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. Doch seit über einem Jahr tobt ein Krieg in Europa, der auch beim gestrigen Treffen der 27 ein großes Maß an Aufmerksamkeit erhielt. Zuvor hatte die Gipfelrunde jedoch den UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu Gast, der beim Eintreffen im Ratsgebäude vor einem „perfekten Sturm“ warnte, der die weniger entwickelten Länder auf der Welt treffen könnte. „Mehr Hunger, mehr Armut, weniger Bildung, weniger Gesundheitsdienste“ sei das Los dieser Länder, so Guterres, der die EU-Staaten in einer Führungsrolle wähnt, um die Agenda der globalen Entwicklungsziele bis 2030 wieder auf die Schiene zu bringen. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe global „enorme Auswirkungen“.

Mit eben diesem Krieg beschäftigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs anschließend, als sie zum wiederholten Male mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Videoschalte einen Austausch hatten. Selenskyj hatte Medienberichten zufolge wieder mehr Waffen und Munition gefordert. Vor allem letztere wollen die EU-Staaten nun liefern. Bereits am Montag hatten sich die EU-Außenminister darauf geeinigt, der ukrainischen Armee unter anderem eine Million an Artilleriegeschossen in den kommenden zwölf Monaten zu besorgen. Kiew werden in der Abschlusserklärung des Gipfels allerdings auch „Flugkörper“ angeboten, womit offensichtlich Raketen gemeint sind, „falls darum ersucht wird“, wie es weiter heißt. Die Munitionsbeschaffung soll in einer „gemeinsamen Anstrengung“ erfolgen, unter Rückgriff auf die sogenannte Friedensfazilität.

Hier beginnen jedoch die Schwierigkeiten. Denn das als Friedensfazilität bezeichnete Finanzierungsinstrument der EU ist, grob gesagt, eine rund 5,7 Milliarden Euro schwere Kriegskasse, die außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt ist und von der in den vergangenen zwölf Monaten erschöpfend Gebrauch gemacht wurde. Nun soll sie wieder gefüllt werden. 3,5 Milliarden Euro sollen die EU-Staaten auf der Grundlage eines Verteilungsschlüssels gemäß ihres Bruttonationaleinkommens beisteuern. Aus Diplomatenkreisen hieß es gestern, dass einige EU-Staaten auf eine schnelle Entscheidung drängten. In der Gipfelerklärung wurde dazu jedoch nichts vermerkt.

Bettel für Friedensplan von USA und China

Eigentlich müssten die EU-Staaten sich angesichts des sich dahinziehenden Kriegsverlaufs Gedanken über eine längerfristige Absicherung der Finanzierung ihrer Militärhilfe an die Ukraine machen. Dazu gibt es bislang jedoch keine Ansätze. Doch immerhin wiederholten die 27 gestern, dass sie weiterhin „uneingeschränkt an der Seite der Ukraine“ stehen und dem Land „starke politische, wirtschaftliche, militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe leisten, solange dies nötig ist“, wie es in der Abschlusserklärung weiter heißt.

Während die 27 weiterhin die „ukrainische Friedensformel von Präsident Selenskyj“ unerstützen und „mit der Ukraine an dem 10-Punkte-Friedensplan arbeiten“ wollen, verlieren sie in ihrer Erklärung kein Wort über die chinesische „Friedensinitiative“, mit der die Führung in Peking jüngst für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Diese Initiative wurde jedoch nicht allein von den EU-Staaten mit Skepsis aufgenommen, wohl auch, weil die beim dieswöchigen Besuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Moskau demonstrierte Verbundenheit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin berechtigte Zweifel geradezu heraufbeschwor. Der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel brachte vor Gipfelbeginn einen weiteren Vorschlag vor, als er meinte, Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden sollten einen gemeinsamen Friedensplan für die Ukraine aushandeln. Er zeigte sich gewiss, dass auch die Ukraine und Russland diesen Plan akzeptieren würden. Doch er habe als kleiner luxemburgischer Regierungschef „wenig Einfluss“ darauf, so Xavier Bettel.

Internationales Spezialgericht schaffen

Den vor einer Woche vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehl gegen Putin und dessen „Kommissarin für Kinderrechte“ wegen des Kriegsverbrechens der Deportation ukrainischer Kinder nach Russland, nahmen die Gipfelteilnehmer lediglich zur Kenntnis. Allerdings sprechen sie sich dafür aus, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen, die „im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ verübt werden, „in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden“. Zudem soll, wie es weiter in der Schlusserklärung heißt, ein „Mechanismus für die Strafverfolgung des Verbrechens der Aggression“ geschaffen werden. Dies ist insbesondere auch für Luxemburg ein wichtiges Anliegen, das die Schaffung eines internationalen Spezialgerichts zu diesem Zweck unterstützt, wie uns aus Diplomatenkreisen erklärt wurde. Dazu fand zu Beginn der Woche eine internationale Konferenz statt, an der ebenfalls die luxemburgische Justizministerin Sam Tanson teilgenommen hat. Dieses Spezialgericht sollte durch einen Beschluss der UNO-Vollversammlung geschaffen werden. Allerdings gibt es bislang noch Meinungsverschiedenheiten darüber, welche Form dieses Gericht haben soll.

Vom späten Nachmittag bis zum Abend befassten sich die 27 dennoch mit Wirtschaftsthemen, wobei unter anderem die Wettbewerbsfähigkeit der EU besprochen wurde. Die EU-Staaten müssten mehr tun für ihre Wettbewerbsfähigkeit, meinte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Anschluss. So müsse der Binnenmarkt besser genutzt und weitere Barrieren abgebaut werden. Es brauche große öffentliche Investitionen, vor allem in die Infrastruktur, wofür wiederum nachhaltige öffentliche Finanzen nötig seien. Zudem müsse weiter mehr für Innovation und Entwicklung ausgegeben werden. „Seit mehr als 20 Jahren“ strebten die EU-Staaten an, drei Prozent des BIP in Innovation und Entwicklung zu investieren. Sie lägen derzeit jedoch nur bei 2,3 Prozent, was weniger sei als andere internationale Wettbewerber in diesem Bereich ausgäben, mahnte die Kommissionschefin.