Othmar Karas Herz schlug dermaßen laut für Europa, dass sich so manche, mehr auf die Innenpolitik fokussierten Parteifreunde die Ohren zuhielten, wenn er das Wort ergriff. Schon zehn Jahre vor dem EU-Beitritt Österreichs hatte der damalige Obmann der Jungen ÖVP im Wiener Nationalrat als erster Abgeordneter einen Antrag auf Beitrittsverhandlungen mit der EG gestellt. 1999 schaffte er den Sprung ins Europaparlament, wo er es bis zum Ersten Vizepräsidenten brachte.
Doch nun ist Schluss. Karas will nicht mehr. Der seit langem schwelende Konflikt zwischen ihm und der Partei ließ sich nicht mehr weglächeln. Vielleicht kam der 65-Jährige auch nur der Parteiführung zuvor, als er am Mittwoch in Wien zu einer Pressekonferenz lud, das Ende seiner EU-Karriere zu verkünden und mit der ÖVP abzurechnen.
Bewusste Polarisierung
„Mir geht es unheimlich auf die Nerven, von manchen als ‚Linker‘ tituliert zu werden, weil ich dafür einstehe, dass Männer, Frauen und Kinder nicht im Mittelmeer ertrinken“, geht Karas scharf mit dem migrationspolitischen Kurs der ÖVP ins Gericht. Er glaubt zwar, dass es inhaltlich einen Konsens zwischen ihm und der Partei hätte geben können, es sei jedoch gescheitert „an der Sprache, der bewussten Polarisierung und ja, auch dem mangelnden Willen an einer europäischen Lösung zu arbeiten“.
Als weiteres Beispiel für „die immer öfter auftretende sinnlose Emotionalisierung und Polarisierung“ nennt er die von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im Sommer vom Zaun gebrochene Debatte über die Festschreibung des Bargeldes in der Verfassung. Karas: „Solche Debatten sind das Spiel mit den Sorgen der Menschen, ohne faktischen Hintergrund.“ Das stärke am Ende nur jene, „die keine Lösungen wollen. Namentlich die FPÖ“.
ÖVP nicht mehr mittig
Karas kritisiert, dass in den letzten Jahren versucht wurde, „Extreme und Fehlentwicklungen dadurch zu bekämpfen, dass man sich an die Ränder anbiedert und deren Politik kopiert“. Auch in den Parteien, die einst der Motor des EU-Beitritts waren, sei es „schick geworden, auf Brüssel mit dem Finger zu zeigen, anstatt sich gemeinsam beherzt und konstruktiv einzubringen“. Die ÖVP sei „nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe“. Und sie sei auch „leider nicht mehr die Kraft der Mitte“. Er könne „den Weg, den meine Partei politisch immer deutlicher geht, nicht mehr mitgehen“, begründet Karas den Verzicht auf eine erneute Kandidatur bei den EU-Wahlen im kommenden Jahr.
Es ist aber auch der persönliche Umgang der Partei mit ihm, der diese Entscheidung befördert hat: „Ich habe es in 40 Jahren Politik nicht erlebt, dass ein ÖVP-Generalsekretär (Christian Stocker, Anm.) mich als ‚Saboteur‘ … attackiert hat, nur weil ich fordere, dass das illegale Vorgehen bei Pushbacks auch Konsequenzen haben muss.“
„Bleibe ein Kämpfer“
Kritische Stimmen sind in der ÖVP spätestens seit dem gefallenen Star Sebastian Kurz nicht mehr gefragt. Entsprechend auch das Echo in ÖVP-Foren auf Facebook, wo Karas nach seiner Rede als „Verräter“, „Mann ohne Anstand“ oder „unverfrorener Typ“ beschimpft und sein Parteiausschluss gefordert wurde. Genau diesen Gefallen tut er seinen Partei-„freunden“ nicht: „All jenen, die sich vielleicht jetzt über meine Entscheidung freuen, will ich deutlich sagen: Ich bleibe.“ Karas tritt nicht aus der Partei aus. Welche Pläne er für die Zukunft hat, ließ er im Unklaren.
Obwohl die ÖVP-Spitze ihrem Kritiker bestenfalls Krokodilstränen nachweinen wird, befindet sich die in Umfragen abgestürzte Partei nicht in einer Situation, in der sie den Abgang eines der europapolitisch profiliertesten und in Brüssel hoch angesehenen Politikers bejubeln kann. Karas hatte noch dazu ein Asset, das vielen in seiner Branche fehlt: Er war nie in Affären verwickelt und gilt als durch und durch integer.
Wer die ÖVP in den EU-Wahlkampf führen wird, ist offen. Ein heißer Tipp ist Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, die manche schon als weiblichen Kurz sehen. Eine Spitzenkandidatur schloss die 28-Jährige gestern nicht aus.
De Maart
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