KorruptionEU-Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro streichen

Korruption / EU-Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro streichen
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn erklärte gestern die einstimmig getroffene Entscheidung der Kommission zum Vorgehen gegen Ungarn Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

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Die EU-Kommission hat gestern vorgeschlagen, Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und Korruption einstweilen die Zahlung von 7,5 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfond zu verweigern. Der Rat der EU-Staaten muss in spätestens drei Monaten über den Vorschlag entscheiden.

Nachdem das Europäische Parlament am vergangenen Donnerstag in einer nicht bindenden Resolution Ungarn den Status einer Demokratie abgesprochen hatte, folgte gestern der nächste Schlag gegen den ungarischen Regierungschef Viktor Orban und dessen Fidesz-Partei. Für diese wohl nicht unerwartet leitete die EU-Kommission die nächste Phase im ersten Fall eines Sanktionsverfahrens unter Anwendung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus ein. Bereits im April erhielt die Regierung in Budapest ein Schreiben aus Brüssel, dass ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn eingeleitet werde, da diese eine Gefahr für den EU-Haushalt darstellen, wie der EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn gestern in Brüssel erklärte. Es sei der erste Fall dieses auch Konditionalitätsmechanismus genannten Verfahrens, der gestrige Beschluss sei einstimmig, betonte der Kommissar.

Ungarn werden unter anderem „systematische Unregelmäßigkeiten sowie Mängel und Schwächen im öffentlichen Beschaffungswesen“ vorgeworfen. So wies Johannes Hahn darauf hin, dass in Ungarn bei öffentlichen Ausschreibungen in 50 Prozent der Fälle nur ein Anbieter ein Angebot abgibt. Immer wieder wird darüber berichtet, dass in Ungarn bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen Freunde oder gar Familienangehörige des Regierungschefs zum Zuge kommen und Unternehmen nur eine Chance haben, von der EU finanzierte Aufträge zu erhalten, wenn sie zumindest der regierenden Fidesz-Partei nahestehen. Demnach besteht der Verdacht, dass die Ausschreibung öffentlicher Aufträge auf bestimmte Anbieter zugeschnitten sind.

Weiter führt die Kommission „Schwächen bei der wirksamen Durchführung von Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in Fällen, in denen Unionsmittel involviert sind und Mängel im Rahmen der Korruptionsbekämpfung“ an, die zu der gestrigen Entscheidung geführt hätten. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Hinweisen der EU-Anti-Betrugsbehörde Olaf auf mögliche Verdachtsfälle von den ungarischen Strafverfolgungsbehörden kaum bis gar nicht nachgegangen wird.

Budapest muss 17 Maßnahmen umsetzen

Über den Sommer hinweg führte die EU-Kommission bereits Gespräche mit Budapest darüber, welche Maßnahmen nun getroffen werden müssen, um den bevorstehenden Geldentzug abzuwenden. „Der Druck zeigt seine Wirkung“, meinte Johannes Hahn. Wohl habe die ungarische Regierung reagiert und entsprechende Schritte eingeleitet. Doch bestehe weiterhin eine Gefahr für den EU-Haushalt, sprich es besteht weiterhin die Gefahr, dass EU-Gelder in Ungarn nicht ordnungsgemäß verwendet werden, weshalb die EU-Kommission das Verfahren nun fortsetzt, wie Johannes Hahn weiter erklärte. Orbans Regierung hat sich dazu verpflichtet, 17 Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, darunter die Einsetzung einer sogenannten Integritätsbehörde, eine neue Anti-Korruption-Taskforce, in der spezialisierte Nichtregierungsorganisationen involviert sind, aber auch Änderungen im öffentlichen Beschaffungswesen und bei der Strafverfolgung.

Bereits diese Wochen sollen in diesem Zusammenhang erste Gesetze im ungarischen Parlament beschlossen werden. Allerdings bräuchte deren Umsetzung und Bewährung in der Praxis Zeit, so der EU-Kommissar, weshalb die Kommission den EU-Rat auffordere, die volle ihr zur Verfügung stehende dreimonatige Frist abzuwarten, bevor sie ihre Entscheidung trifft. Wobei sich Johannes Hahn gestern ziemlich sicher zeigte, dass der Rat zu den gleichen Schlussfolgerungen kommt wie die Kommission.

Bei den 7,5 Milliarden Euro handelt es sich um rund ein Drittel der für Ungarn vorgesehenen Mittel aus dem sogenannten Kohäsionsfonds des gemeinsamen EU-Haushalts 2021-2027. Dabei hätte die Kommission jene Kohäsionsprogramme ausgewählt, in denen am meisten öffentliche Ausschreibungen vorgesehen sind und die ein Problem darstellen, wie Johannes Hahn weiter erläuterte. Der Kommissar ist sich sicher, dass sich mit dem Rechtsstaatsmechanismus die Dinge in Ungarn zum Besseren wenden. Es sei ein „Gamechanger“, wie Hahn gestern mehrmals betonte. Nicht nur sehe der Rechtsstaatsmechanismus einen festgelegten Zeitrahmen vor, innerhalb dessen Entscheidungen getroffen werden müssten. „Wir können das Instrument immer wieder anwenden“, sagte Hahn und ließ damit wohl durchblicken, dass die Kommission zumindest im Fall Ungarn nicht lockerlassen wolle.