Montag27. Oktober 2025

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KonfliktEU erleichtert Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen

Konflikt / EU erleichtert Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen
Menschen warten vor einem Auffanglager in der moldawischen Hauptstadt Chisinau Foto: AFP/Nikolay Doychinov

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Die Solidarität in Europa gegenüber der Ukraine und Flüchtlingen vor dem Krieg ist groß – aber sie hat Grenzen, wie sich beim Treffen der EU-Innenminister zeigt: Etliche Staaten wollen Flüchtlinge aus der Ukraine, die aus Drittstaaten stammen, von einer Sonderregelung ausnehmen. Dennoch gilt die Entscheidung als „historisch“.

Angesichts mehrerer Millionen Flüchtlinge vor dem Krieg gegen die Ukraine setzt die EU erstmals einen Massenaufnahme-Mechanismus in Kraft. Die für Innen- und Integrationspolitik zuständigen Minister brachten diese beispiellose Regelung am Donnerstag in Brüssel auf den Weg. Damit können alle Ukrainer nicht mehr nur 90 Tage, sondern bis zu drei Jahre in den EU-Staaten bleiben, bekommen sofort Zugang zu den Versorgungs-, Kranken- und Sozialleistungen und auch leichter eine Arbeitserlaubnis, denn ein Asylverfahren ist nicht nötig. Kinder können die Schulen besuchen. Allerdings gilt der besondere Schutz, anders als von der EU-Kommission zunächst vorgeschlagen, nicht für Drittstaatsangehörige.

Die Richtlinie war aufgrund der Erfahrungen mit Flüchtlingen aus dem Balkan 2001 ausgearbeitet worden, aber weder damals noch bei dem letzten Höhepunkt der Fluchtbewegung im Jahr 2015 angewendet worden. Anders als 2015 vor allem von Deutschland, aber auch Luxemburg verlangt, soll es keine festen Aufnahmequoten geben. Die EU-Kommission will eine Steuerung übernehmen, wenn die Aufnahme sich sehr ungleich entwickelt. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedsstaaten an Brüssel melden, welche Kapazitäten sie jeweils zur Verfügung stellen. Seinerzeit war eine ausgewogene Verteilung vor allem an Polen und Ungarn gescheitert – jenen Ländern, die jetzt die meisten Aufnahmen zu schultern haben.

Wir brauchen rasche und unbürokratische Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Da hilft es nicht, wenn wir auch Drittstaatsangehörige mit einbeziehen – das ist ein anderes System.

Österreichs Innenminister Gerhard Karner

Wie es jetzt weitergeht, hängt auch von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. Fast 600.000 meldete allein der polnische Grenzschutz. Die Zahl dürfte europaweit inzwischen die Millionengrenze überschritten haben. Experten rechnen damit, dass sich angesichts der massiven landesweiten Angriffe der russischen Streitkräfte bis zu zehn Millionen Ukrainer entschließen könnten, ihre Heimat zu verlassen. Davon könnten rund vier Millionen in anderen Ländern Schutz suchen. Bei einem Rumänien-Besuch kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, im Land schnellstmöglich ein „humanitäres Zentrum für die Ukraine“ aufzubauen.

Zu der angestrebten Verteilung sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser am Rande des Ministerrates in Brüssel: „Im Moment funktioniert es ja schon.“ Das hänge damit zusammen, dass viele der Geflüchteten zu Freunden und Angehörigen in anderen Ländern gingen, teilweise von ihnen sogar abgeholt würden. „Wir sehen sehr unterschiedliche Fluchtbewegungen im Moment.“ So gebe es große Gruppen ukrainischer Staatsbürger in Spanien und Italien.

Überschattet wurde der Ministerrat von Vorwürfen durch Flüchtlingsorganisationen, die den EU-Staaten Rassismus im Umgang mit Menschen aus der Ukraine vorwarfen. Vor allem Schwarzen werde der Schutz in der EU versagt. Österreichs Innenminister Gerhard Karner sagte am Rande des Treffens, nicht nur Polen, Tschechien und Ungarn, sondern „viele Länder, auch Österreich“, akzeptierten nicht, den Schutz allen Flüchtlingen aus der Ukraine gleichermaßen zukommen zu lassen. „Wir brauchen rasche und unbürokratische Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Da hilft es nicht, wenn wir auch Drittstaatsangehörige mit einbeziehen; das ist ein anderes System“, sagte Karner.

Asselborn warnt vor einer Art „Apartheid“

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte hingegen vor einer Art „Apartheid“. Weder die Hautfarbe, noch die Sprache oder Religion dürfe bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine Rolle spielen. Mit der Gleichbehandlung konnte er sich jedoch nicht durchsetzen. Auch die Kommission hatte zuvor vorgeschlagen, Drittstaatsangehörige in den Schutzmechanismus einzubeziehen, die sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine in dem Land befanden und nicht in ihre Heimatländer zurückkehren könnten. Das hätte alle umfasst, die einen langfristigen Aufenthaltsstatus in der Ukraine hatten oder in einem Asylverfahren waren. Die Minister fassten den Beschluss, Drittstaatsangehörige auszunehmen.

Deutschlands Innenministerin Faeser rechnete damit, dass es auch nach dem Grundsatzbeschluss der Mitgliedsländer noch eine Woche dauern werde, bis der Mechanismus in Gang gesetzt werden könne. Dabei geht es offenbar um umfangreiche Anpassungen, da sich die Richtlinie auf die Rechts- und Gesetzeslage des Jahres 2001 bezieht, sich seitdem aber viele Details geändert haben.

Gleichwohl erklärte Faeser am Abend: „Wir haben heute zwischen den Innenministerinnen und Innenministern der Europäischen Union einstimmig eine historische Einigung getroffen, die bis vor wenigen Tagen kaum denkbar gewesen wäre.“ Erstmals nähmen alle Staaten der EU gemeinsam, schnell und unbürokratisch aus dem Krieg geflüchtete Menschen auf.