Esch 2022: Das sagen die Künstler zum Neubewerbungsverfahren

Esch 2022: Das sagen die Künstler zum Neubewerbungsverfahren

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„Mittlerweile regiert nicht mehr die Kunst, sondern die Politik“

Mischa Kuball, Konzeptkünstler

Mischa Kuball, Konzeptkünstler und Professor für Public Art an der Kunsthochschule für Medien in der Escher Partnerstadt Köln, arbeitet seit Anfang 2017 an Esch 2022. Viermal war er in der Südregion und ist an mehreren Projekten im Bid Book beteiligt. Als die europäische Jury am Tag vor der Entscheidung über den Kulturhauptstadttitel durch „de Minett“ tourte, hatte Kuball eine eigene Performance mit Schulkindern im Hof der Brill-Schule konzipiert und den Lkw mit der Aufschrift Dys(U)topia gestaltet.

Nach der Entscheidung des Verwaltungsrats, dass Janina Strötgen und Andreas Wagner nicht mehr weitermachen, sei niemand mehr zuständig gewesen, erzählt Kuball. Nicht einmal Rechnungen seien mehr bezahlt worden. Daraufhin sei er beim Präsidenten von Esch 2022, Georges Mischo, interveniert, doch dieser habe ihm erklärt, dass alle Absprachen, die mit Wagner und Strötgen getroffen wurden, für den Vorstand nicht mehr verbindlich seien.

Kuball, der auch schon bei der Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010 dabei war, will sich nicht mehr für ein Projekt bei Esch 2022 bewerben. „Mittlerweile regiert nicht mehr die Kunst, sondern die Politik, die jetzt glaubt, Dinge richten zu können. Das ist noch nie gut gegangen“, bedauert der Konzeptkünstler. Geld sei für ihn nicht die entscheidende Frage, sondern die Gesamtidee. „Wagner und Strötgen hatten ganz konkrete Ideen. Das kann ich aus der jetzigen Bewerbungslage nicht ablesen“, sagt Kuball.

Auf die Kritik von Nancy Braun, viele Projekte im Bid Book seien „nicht durchdacht“, reagiert der Hochschulprofessor für Public Art mit Verwunderung: „Wo ist die Kritik? Was ist das Problem mit dem Projekt? Wenn man sagt, ein Projekt ist nicht ausgereift, erwartet der Künstler einen Dialog, in dem man exakt bespricht, wo das Problem liegt.“ Doch weder Nancy Braun noch Christian Mosar hätten sich bislang bei ihm gemeldet.


„Respektlos“ und „kein guter Stil“

Angie Hiesl, Installationskünstlerin

Porträt Angie Hiesl + Roland Kaiser
Foto: Michael Maurissens

Angie Hiesl und ihr künstlerischer Partner Roland Kaiser leben und arbeiten in der Escher Partnerstadt Köln. Im April 2017 wurden sie von Janina Strötgen und Andreas Wagner gefragt, ob sie an der Kulturhauptstadt teilnehmen wollen. Im Anschluss waren sie zweimal für mehrere Tage auf Arbeitsreise in Luxemburg, um die Minetteregion zu besichtigen und Ideen für eine Zusammenarbeit zu entwickeln. Ihr Projekt „x-mal Mensch Stuhl“ sollte bereits 2018 beginnen und bis 2023 dauern. Ein definitiver Vertrag sollte vergangenes Jahr abgeschlossen werden.

Wegen des politischen Wechsels bei Esch 2022 ist der Vertragsschluss aber nicht zustande gekommen. Dass sie sich nun erneut bewerben soll, kann Angie Hiesl nicht verstehen. „Wir stehen im Bid Book, mit unseren Projekten ist geworben worden. Eine erneute Bewerbung ist nicht korrekt“, sagt die Installations- und Performance-Künstlerin.

Die Aussage von Generaldirektorin Nancy Braun, viele Projekte im Bid Book seien nicht durchdacht gewesen, empfindet Hiesl als respektlos und verweist auf den korrekten Umgang miteinander. „Wir haben eine komplette Struktur aufgestellt, alles wurde absolut professionell ausgearbeitet“, betont die erfahrene Künstlerin, die bereits Kunstprojekte auf mehreren Kontinenten umgesetzt hat. Wie man jetzt mit den Künstlern umgehe, sei „kein guter Stil“, sagt Angie Hiesl, die auch die schwierige Kommunikation mit den Verantwortlichen von Esch 2022 kritisiert. Sie bleibe weiter gesprächsbereit, werde sich aber nicht neu bewerben.


„Unappetitlicher Umgang“

Guy Helminger, Schriftsteller

Ich werde mich definitiv nicht bewerben.

Dafür gibt es mehrere Gründe.

1. Dass Künstler sich erneut bewerben sollen, obwohl es klare Absprachen und Zusagen gab, die nun ignoriert werden, zeigt abermals die Arroganz der Politiker und ihre Verachtung den Künstlern und der Kunst gegenüber.

2. Den Zuschlag, Kulturhauptstadt zu werden, gab es aufgrund des von Andreas Wagner und Janina Strötgen ausgearbeiteten Bid Books. Wenn die Politiker glauben, sich nicht an dieses Buch halten zu müssen, vielmehr so tun, als sei es irrelevant, dann sollte die zuständige EU-Kommission Esch den Zuschlag wieder entziehen, weil man sich in der Minettemetropole nicht an die vereinbarten Regeln gehalten hat. Ansonsten scheint mir der Kulturausschuss aus unabhängigen Sachverständigen samt Verfahren, das den Zuschlag bestimmt, ein Witz zu sein.

3. Mich erneut zu bewerben, hieße, den extrem unappetitlichen Umgang der Politik mit den Kuratoren Wagner und Strötgen gutzuheißen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Nein, es ist nichts in Ordnung. Was sich die Politik mit dem diffamierenden Rauswurf der beiden geleistet hat, reiht sich ein in eine lange Liste selbstgefälliger, ignoranter Aktionen in diesem, unserem Land, die allesamt von einer unfassbaren Borniertheit zeugen. Ich hätte meine Geburtsstadt Esch gerne unterstützt, sehr gerne, aber das Handeln der verantwortlichen Politiker hat mir diese Möglichkeit genommen. Ich werde mich nicht zum Büttel einer politischen Liga machen, die Kunst permanent demontiert und die sich am Ende, wenn Kunst sich gegen alle Widerstände doch durchgesetzt hat, hinstellt, um den Applaus zu kassieren, der ihr nicht zusteht.


„Unangenehm und peinlich für Esch und Luxemburg“

Daniel Teige, Audio-Designer

Daniel Teige ist seit fast zwei Jahren bei Esch 2022 dabei. Er ist an drei Projekten im Bid Book beteiligt, darunter die monumentale Interpretation des Werkes Persepolis des griechischen Komponisten Iannis Xenakis im ehemaligen Arbeitslager in Thil (F). Das Projekt mit dem Arbeitstitel „Polytope-Thil-22“ hätte im Herbst 2018 beginnen sollen. Ende 2019 wollte Teige schon anfangen, mit den Schulklassen an der Vorbereitung der Performance zu arbeiten. Dazu wird es nun aber nicht kommen.

Nachdem die Verträge von Strötgen und Wagner nicht verlängert worden waren, habe er lange Zeit nichts mehr von Esch 2022 gehört. Das neue Team habe er nach dessen Amtsantritt selbst angesprochen. „Ihr habt unter anderem mit meinen Projekten und mit meinem Namen den Titel gewonnen. Wie ist der Stand?“, habe er den neuen Künstlerischen Leiter gefragt. Christian Mosar habe ihn daraufhin gebeten, ein Projektpapier abzugeben, was Teige dann getan habe. Danach habe wieder Funkstille geherrscht. Als er sich erneut bei Mosar gemeldet habe, habe er kürzlich die Antwort erhalten, er müsse sich neu bewerben.

„Das ist ein Unding“, sagt Teige. „In diesem Leuchtturmprojekt, das mit ausschlaggebend für den Kulturhauptstadttitel war, steckt so viel Vorarbeit.“ Ferner entspreche eine Neubewerbung nicht dem ursprünglichen Konzept, das darin bestand, die Projekte gemeinsam mit der Künstlerischen Leitung zu entwickeln. Die ganze Geschichte sei „unangenehm und peinlich für Esch und Luxemburg“. Als Künstler werde er in eine politische Geschichte hineingezogen, mit der er eigentlich gar nichts zu tun haben wolle. Teige kritisiert auch, dass Esch 2022 nur noch 50 Prozent zur Finanzierung der Projekte beisteuert. Für „Polytope-Thil-22“, das über den Projektzeitraum von vier Jahren bis zu 1 Million Euro kosten sollte, sei es unmöglich, die fehlenden 50 Prozent jetzt noch aufzutreiben.


„Folklore statt Kunst“

Nico Helminger, Schriftsteller

Eins vorweg: Ich habe nie einen Hehl gemacht aus meiner Freundschaft zu Janina Strötgen und Andreas Wagner; die Art und Weise, wie sie gegangen wurden, finde ich absolut unannehmbar. Das augenblickliche Durcheinander ist die Folge von politischem Geschacher und macht wieder einmal deutlich, dass Kunst und Kultur nur dann für Politiker von Interesse sind, wenn es für sie in dem Bereich etwas zu holen gibt. Ansonsten herrschen Gleichgültigkeit, Desinteresse und Ignoranz.

So wie es im Augenblick aussieht, wird das Ganze ohnehin mehr mit Folklore als mit Kunst zu tun haben; das mag als Konzept aufgehen, aber für solche Events bin ich nicht zu haben. Literatur spielt da ohnehin keine Rolle. Im Bid Book liest man meinen Namen in Zusammenhang mit einem größeren Projekt; dazu stehe ich. Einen erneuten Antrag auf ein Projekt werde ich jedenfalls nicht einreichen.


Kontrollverlust?

Das Künstlerkollektiv ILL

„Den neuen „Appel à projets“ und die damit einhergehenden neuen Bewerbungen finden wir eigentlich nicht so schlimm – abgesehen davon, dass er natürlich etwas spät kommt. Das neue Team aber hat den Kontakt mit uns gesucht, was wir auf jeden Fall begrüßen.

Etwas Unbehagen löst aber die maximale Co-Finanzierung, die ja nun bei 50 Prozent liegt, aus. Hier stellen wir uns die Frage, inwiefern dies wirklich im Sinne der Künstler*innen ist, weil es eben diejenigen favorisiert, die verstärkt über finanzielle Mittel verfügen (wie z.B. die Kulturinstitutionen). Es besteht zwar die Möglichkeit einer Zusammenarbeit, aber hier läuft man als Kollektiv oder als Künstler die Gefahr, künstlerische und organisatorische Kontrolle abzugeben. Wie wohl viele andere mögliche Teilnehmer am Großprojekt machen wir uns große Sorgen, wie wir die restlichen 50 Prozent finanziell stemmen sollen.“

von Luc Laboulle und Jeff Schinker

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Esch 2022: So verteidigt Generaldirektorin Nancy Braun den Neubewerbungsprozess

Miriam
11. März 2019 - 11.38

Es wird wohl gut sein dass aufgeräumt wird. Wie kann es sein dass solch ein Kunstopportunist an mehreren Projekten beteiligt ist?