ProtesteWie ein Luxemburger sich für die Opposition in Belarus einsetzt

Proteste / Wie ein Luxemburger sich für die Opposition in Belarus einsetzt
Der 34-jährige Philippe Schockweiler arbeitet als freiwilliger Übersetzer über die Lage in Belarus Foto: privat

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Hunderttausende Menschen beteiligen sich derzeit an den Protesten in Belarus. Sie fordern den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko und verlangen faire Neuwahlen. Die weltweite Solidarität ist groß. Philippe Schockweiler hilft von Luxemburg aus.

Die Instagram-Storys und der Twitter-Feed von Philippe Schockweiler bestehen seit anderthalb Wochen fast ausschließlich aus Bildern demonstrierender Massen, den Folgen der Polizeigewalt und kurzen Texten über die aktuelle Lage in Belarus. Das Land, das der 34-Jährige vor über zehn Jahren lieben gelernt hat.

Schon als Kind interessiert sich Philippe Schockweiler für die Region. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl prägt ihn nachhaltig. Später macht er immer wieder Urlaub in dem unscheinbaren Land, das genau zwischen Russland und der Europäischen Union liegt. Er ist von Anfang an fasziniert von der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen dort. Von 2011 bis 2013 sitzt Philippe Schockweiler im Vorstand der europäischen Föderation der Grünen, in der er zuständig für Osteuropa ist. Die Arbeit stärkt seine Bindung zum Land.

Ich wusste von einigen, die ich kenne, dass sie da jetzt mittendrin sind, und konnte nicht herausfinden, ob es ihnen gut geht

Philippe Schockweiler, übersetzt Nachrichten aus dem Russischen ins Englische

Die Kontakte, die er damals aufgebaut hat, pflegt er bis heute. Sie sind es auch, die ihn dazu gebracht haben, sich in der jetzigen Situation zu engagieren. „Die erste Protestnacht war die intensivste“, erinnert sich Schockweiler. Lukaschenko ließ das Internet sperren, sodass es für Außenstehende sehr schwer war, sich einen Überblick über die Geschehnisse im Land zu verschaffen. „Ich wusste von einigen, die ich kenne, dass sie da jetzt mittendrin sind, und konnte nicht herausfinden, ob es ihnen gut geht.“

Zu dem Zeitpunkt gab es nur eine Handvoll Journalisten, die auf Englisch über das Geschehen berichteten. In verschiedenen Gruppen auf der Messenger-App Telegram war man sich schnell einig: Es müssen mehr Übersetzer her, damit Europa und die Welt mitbekommen und verstehen, was gerade im Osten passiert. „Ich habe mich sofort da reingestürzt“, sagt Schockweiler. Und das, obwohl sein Russisch, das er sich selbst beigebracht hat, alles andere als perfekt ist. „Trotzdem wollte ich helfen, wo ich kann“, sagt er.

Seitdem verbringt er seine Freizeit damit, dem Austausch in Telegram-Gruppen, auf Facebook und den Berichten von Oppositionsmedien zu folgen. Dabei muss er aussortieren, was wichtig ist, checken, ob die Nachrichten der Wahrheit entsprechen und sie anschließend vom Russischen ins Englische übersetzen. Dass er bereits mehrmals in Belarus war und die Orte kennt, an denen die Demos stattfinden, sei dabei von großem Vorteil. Das Ergebnis seiner Arbeit wird auf der Plattform „Pray for Belarus“, die auf Telegram, Twitter und Facebook vertreten ist, veröffentlicht. „Am Anfang waren wir 30, inzwischen sind wir mehr als 100, verteilt in der ganzen Welt, die diese Arbeit machen“, sagt er. Damit ist das Pensum nicht mehr ganz so intensiv wie zu Beginn. „Wir arbeiten in Schichten, jeder so lange, wie er kann“, erklärt der Luxemburger.

Sprachbarrieren überwinden

Diese Übersetzungsarbeit ist deswegen so wichtig, weil es für die Menschen in Belarus enorm kompliziert ist, mit der Außenwelt zu kommunizieren. „Das liegt daran, dass das Internet im Land während der Proteste immer wieder abgestellt wird“, erklärt Schockweiler. Dazu kommt, dass Belarussen ganz andere soziale Netzwerke nutzen, wodurch eine gemeinsame Plattform mit Europa oder den USA fehlt. „Es gibt einfach viel mehr Barrieren zu überwinden, als wenn zum Beispiel ein Protest in Frankreich stattfinden würde.“

Neben der freiwilligen Arbeit für „Pray for Belarus“ hält Philippe Schockweiler seine Follower auf seinem privaten Instagram- und Twitter-Kanal auf dem neusten Stand. „Ich finde es einfach unglaublich wichtig, diesen inspirierenden Protest zu teilen“, sagt er. Dazu hat er bereits ein enormes Feedback bekommen. Viele seien empört darüber gewesen, bisher nicht mehr über die Situation in Belarus gehört zu haben. Manche fragten nach Möglichkeiten, um Geld zu spenden.

Was Philippe Schockweiler besonders an der Lage im Land fasziniert: Die Menschen wurden mit schlimmster Polizeibrutalität konfrontiert, Demonstranten wurden niedergeknüppelt, über 7.000 von ihnen weggesperrt und regelrecht gefoltert – trotzdem gehen sie weiter auf die Straße, um friedlich für ihr Recht auf einen fairen Wahlkampf einzustehen. Die Solidarität ist enorm. „Frauen umarmen Soldaten, die Demonstranten tragen Blumen bei sich, es ist eine riesige demokratische Bewegung“, sagt er.

Aufbruchsstimmung

Dass es nach den Wahlen in Belarus zu Protesten kommt, denen mit Polizeigewalt begegnet wird, ist nicht neu. „Ich war selbst einmal während der Wahlen dort“, sagt Schockweiler. Als die Urnen geschlossen waren, und sich immer mehr Polizisten in der Stadt versammelt hätten, sei das ein sehr bedrückendes Gefühl gewesen, erinnert sich der 34-Jährige. „Ich war sehr dankbar, einen europäischen Pass zu haben und ausreisen zu können.“ Im selben Zug, mit dem er das Land verlassen hat, seien junge Belarussen gewesen, die von der Polizei bis aufs Letzte durchsucht wurden, ihre Laptops wurden gefilzt, Privatsphäre gab es keine.

Bislang nahmen die Proteste allerdings schnell wieder ab, und das Land fand sich mit einer weiteren Legislaturperiode Lukaschenkos ab. In diesem Jahr ist das anders: Die Demonstrationen halten an, auch nachdem Swetlana Tichanowskaja, Lukaschenkos Oppositionskandidatin, das Land verlassen musste. Sogar Fabrikarbeiter und diejenigen, die in den Provinzen leben, sind auf den Beinen. Dabei galten sie bisher als Lukaschenkos Hauptwählerschaft. „Es herrscht eine riesige Aufbruchsstimmung“, sagt Schockweiler. Seiner Meinung nach wird Lukaschenko schon bald keine andere Wahl mehr haben, als einzulenken. „Aktuell schindet er Zeit“, glaubt Schockweiler. Die Zeichen im Land stehen jedenfalls alle auf Veränderung. Es bleibe nur zu hoffen, dass niemand in den Konflikt eingreift – vor allem nicht Russland.