Dienstag21. Oktober 2025

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Großbritannien„Er kennt keine Regeln“: Wie immer neue Enthüllungen Boris Johnson in Bedrängnis bringen

Großbritannien / „Er kennt keine Regeln“: Wie immer neue Enthüllungen Boris Johnson in Bedrängnis bringen
Der britische Premier Boris Johnson steht unter Druck Foto: AFP/Hollie Adams

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Immer mehr Briten finden, dass ihr Premier die Öffentlichkeit zum Narren hält. Jetzt droht neuer Streit. Wieder geht es um Corona-Einschränkungen. Doch gerade die lassen böse Erinnerungen hochkommen.

Unsaubere Geldgeschäfte bei der Renovierung seiner Dienstwohnung in der Downing Street, immer neue Enthüllungen über Weihnachtspartys diverser Ministerien vor Jahresfrist im Lockdown, eine Rebellion in Kabinett und Fraktion gegen neue Corona-Einschränkungen – Premierminister Boris Johnson steckt in schwersten Turbulenzen. Nun legt ein am Sonntag veröffentlichtes Foto nahe, was bisher noch niemand behauptet hatte: Der Chef selbst soll gegen Corona-Maßnahmen seiner eigenen Regierung verstoßen haben.

Der Sunday Mirror druckte das Dokument auf seiner Titelseite: Johnson im korrekten Anzug mit Krawatte wird dabei von zwei Mitarbeitern flankiert, deren Kleidung auf legeren Zeitvertreib schließen lässt. Es habe sich um ein Weihnachtsquiz gehandelt, bei dem in der Regierungszentrale reichlich Schaumwein geflossen sein soll, behauptete das Boulevardblatt, das traditionell der oppositionellen Labour-Party nahesteht. Gar nicht wahr, teilte später Bildungsminister Nahim Zahawi mit: Johnson habe keinerlei Alkohol konsumiert, auch nur zehn bis fünfzehn Minuten an der überwiegend online durchgeführten Feier teilgenommen: „Er wollte sich bei seinen Mitarbeitern bedanken.“

Niemand nimmt die Dementis noch ernst

Freilich hat die Glaubwürdigkeit solcher Dementis in den vergangenen Tagen schweren Schaden genommen. Praktisch jeden Tag kommt ein neuer Vorwurf hinzu, und alle laufen auf das Gleiche hinaus: Während sich das Land im Advent 2020 nach und nach mit harten Kontaktbeschränkungen, zuletzt sogar mit einem erneuten Lockdown, abfinden musste, tanzte in den Ministerien der Bär. Beamte im Bildungs- und Finanzministerium, mehrfach die Mitarbeiter der Downing Street – sie alle sollen „die Öffentlichkeit zum Narren gehalten“ haben, wie Labour-Chef Keir Starmer empört formuliert.

Beim Mirror-Foto hingegen agiert der Oppositionsführer vorsichtiger als die Vertreter kleinerer Parteien, die am Sonntag unisono Johnsons Rücktritt forderten: Es „habe den Anschein“, so der frühere Leiter der Staatsanwaltschaft, als stelle die Teilnahme seines Kontrahenten an der Feier einen Rechtsbruch dar. Offenbar will Starmer sein Pulver trockenhalten für den letzten Schlagabtausch bei der Fragestunde des Premierministers am Mittwoch.

Zuvor muss sich Johnson am Dienstag gefährlicherer Feinde erwehren: Mehr als 60 Konservative wollen ihrem Chef die Gefolgschaft verweigern, wenn das Unterhaus über die neuesten Corona-Einschränkungen berät. Dabei fallen diese gegenüber vielen Ländern auf dem Kontinent noch sehr milde aus. Arbeitnehmer sollen soweit möglich von daheim aus arbeiten, das Tragen von Nase-Mund-Schutz wird in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften wieder verbindlich vorgeschrieben. Noch immer aber ist von Impfnachweisen zum Betreten von Restaurants, Kinos oder Sportveranstaltungen gar nicht die Rede, wie sie anderswo seit Monaten selbstverständlich sind. Am Wochenende waren Läden, Fußballstadien und Konzertsäle gesteckt voll wie in jeder normalen Vorweihnachtszeit.

Alle über 30 können jetzt Booster-Termin buchen

Gesundheitsexperten verfolgen mit Sorge die rapide Ausbreitung der aus Südafrika stammenden Omikron-Variante von SARS-CoV-2. Die Inzidenz pro 100.000 Einwohner stieg am Samstag auf 502, Infektions-, Hospitalisierungs- und Todeszahlen gehen allesamt, wenn auch nur langsam, nach oben. Das Auffrisch-Impfprogramm des Nationalen Gesundheitssystems NHS geht langsamer voran als erhofft. Immerhin dürfen ab Montag alle Briten über 30 ihre Booster-Dosis buchen.

Die Abstimmung im Unterhaus wird Johnson allen Rebellen zum Trotz schon deshalb gewinnen, weil Labour aus staatspolitischer Verantwortung die Zustimmung signalisiert hat. Schwieriger dürften die Termine mit dem höchsten Beamten des Landes sowie Johnsons Ethikberater werden. Simon Case untersucht – peinlich genug – die Partys der vergangenen Adventszeit. Lord Christopher Geidt aber will Johnson zur Rede stellen, weil dessen Aussagen zur Finanzierung einer teuren Renovierung in der Downing Street nicht mit der Realität übereinstimmen.

Dabei müsse doch längst klar sein, glaubt der konservative Times-Kolumnist Matthew Parris, dass sich der Brexit-Premier die Wirklichkeit immer nur zurechtlüge: „Er kennt keine Regeln und keinen Ehrenkodex.“ Erstmals spiegelt sich diese Einschätzung auch in den Umfragen wider: Übers Wochenende lag Labour um bis zu acht Punkte vor der konservativen Regierungspartei. Prompt wetzen die innerparteilichen Gegner die Messer, laufen sich Finanzminister Rishi Sunak und Außen-Ressortchefin Elizabeth Truss als Nachfolge-Kandidaten warm. Zwei Jahre nach seinem triumphalen Wahlsieg, so scheint es, geht es für Johnson ums politische Überleben.